Ausgeschult 

Sofi Lundin

Homeschooling im Freien: Justin Anwar liest mit seiner Tochter Susan. Als Lehrer kann Anwar im Gegensatz zu vielen anderen Eltern seinen Kindern bei den Schulaufgaben helfen.

Uganda 
Seit März sind die Schulen in Uganda geschlossen. Homeschooling funktioniert nur für eine Minderheit. Für viele Kinder und Jugendliche könnte die Corona-Krise das Ende ihrer Schulzeit bedeuten. 

„Ich lese vor und ihr wiederholt, was ich sage, einer nach dem anderen”, sagt Richard Odongkara. Er sitzt auf einer Bambusmatte im Schatten zweier Bäume und unterrichtet eine Gruppe von Kindern. Die Kinder, alle zwischen sechs und zehn Jahre alt, folgen dem Finger des Lehrers, der auf eine Reihe von englischen Wörtern in einem Lehrbuch zeigt, die er in ihre Muttersprache Acholi übersetzt.

Wir sind im Dorf Olinga im Bezirk Amuru im Norden Ugandas. Odongkara arbeitet hier als Grundschullehrer. Als die Schulen im Land am 20. März schließen mussten, wurden Millionen von Schülern und Lehrern nach Hause geschickt. Odongkara begann von Haus zu Haus zu laufen, um den Unterricht fortzusetzen. Er und zwei weitere Lehrer der Grundschule versuchen seitdem, die rund 800 Schüler weiter zu betreuen. Das ist keine einfache Aufgabe. „Die Behörden haben Unterichtsmaterial verteilt, aber vielen Kindern hilft das nicht. Sie verstehen die Aufgaben nicht und ihre Eltern können meist weder lesen noch schreiben. Wir Lehrer geben unser Bestes, aber wir sind zu wenige, um alle zu unterstützen“, sagt Odongkara.

Okeny Oneka ist Vater von sechs Kindern in Olinga. Wie viele in der Region lebt die Familie seit Generationen von der Landwirtschaft. Seit die Schulen geschlossen sind, müssen Onekas Kinder auf dem Feld arbeiten. „Ich wünschte, ich könnte meinen Kindern mit den Schulaufgaben helfen, aber ich habe selbst keine Schule besucht. Weil nun alle Kinder zuhause sind und wir mehr Essen brauchen, müssen die Kinder mir bei der Feldarbeit helfen“, sagt er. Vor ihm auf dem Tisch liegen die Schulaufgaben, die die Behörden verteilt haben. „Die Vorgabe ist, dass das Material in Englisch sein muss. Aber die Kinder hier verstehen Englisch noch nicht gut genug und nur Wenigen bringt das Homeschooling irgendetwas“, sagt der Lehrer Odongkara. 

Ungenutztes Schulmaterial 

Als Uganda am 21. März den ersten Covid19-Fall registrierte, waren die Schulen und Universitäten bereits geschlossen. Im April begann das Bildungsministerium damit, Lernhilfen für das Homeschooling über Radio und Fernsehen zu verbreiten. Anfang Mai wurden Pakete mit Lernmaterial vorbereitet, die an Kinder in den Grund- und weiterführenden Schulen des Landes verteilt werden sollten. Aber die Verteilung schleppt sich bis heute hin, viele Schüler haben noch immer nichts davon erhalten. 

Richard Odongkara unterrichtet seine Schüler in Kleingruppen. Das Lernmaterial hat die Regierung bereitgestellt.

„Die Schließung der Schulen war extrem hart für ärmere Familien“, sagt Dan Basaija, die im Norden Ugandas für die Hilfsorganisation Save the Children tätig ist. „Die meisten Kinder, mit denen wir arbeiten, haben die Schule komplett abgebrochen. Viele haben keinen Fernseher oder Radio zuhause, oder der Strom fehlt.“ Im Juli warnte Save the Children, bis zu zehn Millionen Kinder könnten auch nach der Corona-Krise vom Unterricht fernbleiben. In Uganda hat die Organisation in Absprache mit dem Bildungsministerium Unterlagen für 45.000 Schulkinder bereitgestellt. „Die Behörden haben Pakete mit Lernmaterial und Radios versprochen. Aber bis heute hat mehr als die Hälfte aller Schüler nichts davon zuhause. Wir versuchen, diese Lücke zu füllen, auch wenn unsere Bemühungen nicht ausreichen“, sagt Basaija.

Nachhilfe via App

In einem Wohngebiet der Hauptstadt Kampala sitzt Nakasi mit einem Tablet im Schoß im Garten. Die Zwölfjährige besucht die siebte Klasse der Privatschule Ga Khan und erhält Nachhilfe über die Microsoft-App „Teams“. „Der Online-Unterricht funktioniert gut. Aber es ist schwierig, Fragen zu stellen und Themen zu diskutieren, weil so viele Schüler im digitalen Klassenzimmer sind. Das erschwert das Verständnis“, sagt Nakasi. Um das auszugleichen, haben sie und ihr Bruder zwei private Nachhilfelehrer, die ihnen an Wochentagen mit dem Unterricht helfen. „Das Beste am Homeschooling ist, dass ich viel Freizeit habe und Klavier und Schach spielen kann“, erzählt Nakasi.

Laut des Portals „Uganda Schools Guide“ gab es im vergangenen Jahr mehr als 13.000 Privatschulen in Uganda. Während viele Privatschüler Zugang zum Internet und zu Nachhilfe haben, sind andere Kinder komplett von der Schulbildung ausgeschlossen.

Justin Anwar sitzt mit seiner zehnjährigen Tochter Susan vor seinem Haus im Dorf Buryugi. Susan liest laut aus einem Buch vor, während ihr Vater, der Grundschullehrer ist, ihre Aussprache korrigiert. Als von den Behörden keine Lernhilfen kamen, haben Anwar und einige andere Lehrer mit Save the Children eine mobile Bibliothek aufgebaut. Die Initiative hat bislang rund 2000 Kinder in verschiedenen Dörfern in Norduganda erreicht. „Ich lese jeden Tag mit meiner Tochter und kümmere mich um 70 Schüler hier im Dorf. Ich glaube, dass die Schüler, die Zugang zu diesen Lehrbüchern in ihrer Muttersprache Acholi haben, das Homeschooling besser nutzen können, als die Kinder, die die englischen Lernmaterialien der Behörden erhalten haben“, sagt Anwar. 

Die Schulschließung hat nicht nur Folgen für die Bildung der Kinder. Tausende Lehrer haben seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten. Die Lehrer an öffentlichen Schulen werden zwar weiter bezahlt, Lehrer an Privatschulen gehen aber meist leer aus. Viele schlagen sich nun mit Gelegenheitsjobs als Taxifahrer, Bauarbeiter oder Obstverkäufer durch, wie ein Artikel in der Zeitung „The Observer“ beschreibt. Zudem seien in der Krise viele Lehrer aus den Städten aufs Land gezogen, und kommen womöglich nicht mehr von dort zurück.

Mehr Schwangerschaften unter Teenagern 

Florence Amony ist seit einigen Jahren Lehrerin. Die 49-Jährige hat beschlossen, ihre Freizeit zu nutzen, um Mädchen im Teenageralter zu helfen. „Diese Krise ist besonders gefährlich für junge Mädchen, die außerhalb der Schule extrem verletzbar sind. Traditionell hat die Bildung für Jungen Priorität. Seit die Schulen geschlossen sind, werden viele junge Mädchen schwanger und einige haben geheiratet“, sagt Amony. Als Freiwillige für die Organisation SOS macht sie Hausbesuche, um mit den Mädchen und ihren Familien darüber zu sprechen, wie wichtig es ist, die Schule weiter zu besuchen. „Einige Eltern haben Probleme mit ihren Kindern im Teenageralter. Sie glauben, dass sie außerhalb der Schule undiszipliniert sind“, sagt Amony.

Autorin

Sofi Lundin

ist freie Journalistin und Fotografin in Uganda.
Die 15-jährige Lucky Ayubu lebt in einem Dorf in Norden Ugandas. Als die Schulen geschlossen wurden, fing sie an, sich mit Jungs zu treffen. Ihre Brüder erzählen, sie habe Pläne gehabt, die Familie zu verlassen, um zu heiraten. „Zum Glück haben wir es geschafft, sie aufzuhalten. Sie hat das Interesse an der Schule verloren und wir sind besorgt“, sagt Luckys Bruder Alan Oboma. Lucky selbst will den Vorfall nicht kommentieren, sagt aber, dass sie von einer Ausbildung träumt. „Mein Traum ist es, in einer Bank zu arbeiten, und ich möchte nur wieder zur Schule gehen.“ 

Die Schließung der Schulen wird langfristige Folgen für Millionen von Kindern haben: „Die Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch ein sicherer Ort, an dem die Kinder jeden Tag eine Mahlzeit erhalten. Seit die Schulen geschlossen sind, haben wir viele Fälle von Kinderarbeit, Alkoholismus bei jungen Menschen und Schwangerschaften bei Teenagern registriert. Viele Kinder haben das Interesse an der Schule völlig verloren. Das wird zu einem starken Rückgang der Zahl der Schulkinder führen“, sagt Basaija von Save the Children. 

Das Schuljahr wird wiederholt

Angesichts der Probleme fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die afrikanischen Länder dazu auf, die Schulen möglichst bald wieder zu öffnen. Im August hatten einem Bericht der WHO und UNICEF zufolge in nur sechs afrikanischen Ländern die Schulen wieder geöffnet. Kenia gab im Juli bekannt, dass die Schulen für den Rest des Jahres geschlossen bleiben und die Schüler das Schuljahr wiederholen müssen. Diese Entscheidung habe auch mit der gravierenden Ungleichheit unter den Schülern zu tun, erklärte ein Vertreter der kenianischen Regierung gegenüber der „New York Times“. 

In Uganda hat das Bildungsministerium jüngst Richtlinien für die Wiedereröffnung und den Betrieb von Schulen und Universitäten festgelegt. Im Oktober soll zunächst der Unterricht für Abschluss- und Übergangsklassen wieder aufgenommen werden. Ugandas Präsident Yoweri Museveni bestätigte die Pläne Mitte September in seiner inzwischen 20. Rede an die Nation während der Pandemie: „Wir denken, dass es sicher ist, weil die Schulabgänger mit 1,2 Millionen weniger als zehn Prozent aller Schüler ausmachen“, sagte Museveni. 

Bis alle Schüler wieder zurück an die Schule kommen, könnte es angesichts der seit dem vergangenen Monat steigenden Infektionsrate noch dauern. Bis zum 20. September wurden in Uganda 6468 Covid-19-Infektionen und 63 Todesfälle registriert. 

Laut eines Berichts der Zeitung „Daily Monitor“ von Anfang September haben die Behörden inzwischen rund neun Millionen Batterieradios produzieren lassen, die nun an Kinder im ganzen Land verteilt werden sollen. Peninah Mbabazi von Save the Children sieht darin keine Lösung. „Die Öffnung der Schulen ist der einzige Weg, um die Ausbildung der Kinder sicherzustellen. Die Krise hat zu Unterschieden zwischen denen geführt, die das getan haben und denen, die noch immer zögern“, sagt sie. 

Aus dem Englischen von Sebastian Drescher.

Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier

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