Doch nicht mehr Geld für Entwicklungspolitik

EU-Finanzrahmen
Sogar für Brüsseler Verhältnisse war es ein zähes Ringen: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Gipfel im Juli erst nach vier Tagen und Nächten auf den Mehrjährigen Finanzrahmen und einen Corona-Wiederaufbauplan geeinigt. Der von der EU-Kommission geplante Aufwuchs der Entwicklungshilfe wurde dabei geopfert. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU für 2021 bis 2027 wird seit 2018 diskutiert. Wegen der Corona-Krise hatte die EU-Kommission im Mai ihre Pläne für den MFR geändert und ihm einen Wiederaufbaufonds zur Seite gestellt. Er soll die Hauptlast der wirtschaftlichen Krisenbewältigung schultern und gesondert finanziert werden. 

Vor zwei Jahren hatte die Kommission im Rahmen ihres Entwurfs für den MFR für den Haupttopf der künftigen Entwicklungsfinanzierung, das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI), rund 79 Milliarden Euro vorgesehen. Nach den Plänen vom Mai 2020 sollten sogar rund 86 Milliarden Euro in den Topf fließen, verteilt über MFR und Wiederaufbaufonds (alle Angaben in Preisen von 2018). 

Dem hat der EU-Gipfel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf einen Finanzrahmen in Höhe von 1,074 Billionen Euro und den Aufbaufonds von 750 Milliarden Euro – das größte Finanzpaket der EU-Geschichte. Der von der Kommission geplante NDICI-Betrag schrumpfte dabei aber auf 70,8 Milliarden Euro und würde vollständig über den normalen Finanzrahmen laufen. Im Wiederaufbaufonds strichen die Staats- und Regierungschefs die Mittel für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit sogar komplett.

Eine EU-Offizielle weist zur Erklärung auf zweierlei hin: Erstens änderten die Politiker im Laufe ihres Treffens die Aufteilung des Fonds. Von den 750 Milliarden Euro werden nun nur 390 Milliarden Euro statt 500 Milliarden wie ursprünglich geplant als nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährt. Damit habe die Streichung der NDICI-Mittel nahegelegen, sagt die EU-Offizielle und setzt dabei voraus, dass diese Mittel unter die Zuschüsse verbucht worden wären.

Zweitens gab es ein juristisches Problem. Der Aufbaufonds beruht auf Artikel 122 des Lissabon-Vertrages, der Hilfen für die EU-Mitgliedstaaten betrifft – von Entwicklungsländern und anderen Drittstaaten ist darin keine Rede. Daher hatte der juristische Dienst des Rates vor dem Gipfel gewarnt, dass Unterstützung für Drittländer im Aufbaufonds schwer zu rechtfertigen wäre. Zugleich deuteten die Experten eine Alternative an, nämlich die rechtliche Grundlage des Fonds zu erweitern. Das hielten die Politiker und Diplomaten aber offenbar für nicht angebracht. 

Der Politikexperte Niels Keijzer vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik findet die vereinbarten 70,8 Milliarden Euro für den größten Topf für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit trotz allem annehmbar und vergleicht sie mit den 2018 vorgeschlagenen rund 79 Milliarden Euro, als vom Corona-Wiederaufbaufonds noch keine Rede war. „Wenn man sich vor Augen führt, dass in der Regel der verabschiedete Haushalt insgesamt niedriger ausfällt als der ursprüngliche Vorschlag der Kommission, dann ist dies in der gegenwärtigen Situation ein zufriedenstellendes Gesamtergebnis angesichts aller anderen konkurrierenden Forderungen.“ 

Kritisch äußerte sich dagegen der Verband europäischer Entwicklungsorganisationen Concord. Die Schrumpfung des NDICI werde zum Beispiel die Fähigkeit der EU gefährden, Multilateralismus zu fördern, ihren Menschenrechtsaktionsplan umzusetzen und lokale Gemeinschaften in Drittländern zu unterstützen. 

Das letzte Wort über die Finanzen steht noch aus, weil das Europaparlament mitzureden hat. Zwar beschränkt sich dessen Macht formal auf den MFR und hier wiederum darf es eigentlich nur zustimmen oder ablehnen. Die Parlamentarier können diese Macht aber als Hebel für Änderungen am Finanzrahmen und womöglich auch am Aufbaufonds nutzen. In einer kurz nach dem Gipfel verabschiedeten Parlamentsresolution heißt es, man stimme dem MFR „in seiner derzeitigen Fassung nicht zu“. Das Parlament besteht auf mehr Geld für verschiedene Programme – unter anderem für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2020: Idealismus und Karriere
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