Inmitten der Ebola-Krise verteilt das UN-Welternährungsprogramm im August 2019 nahe Butembo im Osten der DR Kongo Lebensmittel. Während des Ebola-Nothilfeeinsatzes sollen dutzende Frauen von Mitarbeitern von UN-Organisationen sexuell missbraucht worden sein.
Mehr als zwei Jahre sind seit dem letzten großen Skandal vergangen: Im Februar 2018 berichtete die britische Zeitung „The Times“ als erste, dass einige Oxfam-Führungskräfte aus Großbritannien während ihres Hilfseinsatzes 2011 nach dem Erdbeben in Haiti Sexpartys mit Überlebenden gefeiert hatten. Der Zeitung war eine vertrauliche Oxfam-Untersuchung zugespielt worden. Daraus ging auch hervor, dass einem der Führungskräfte in Haiti, Roland van Hauwermeiren, schon 2006 als Leiter von Oxfam im Tschad Sex mit Prostituierten vorgeworfen worden war – und genauso 2004, als er Landesdirektor der Hilfsorganisation Merlin in Liberia war. In keinem der Fälle folgte ein strafrechtliches Verfahren. Er durfte selbst kündigen und arbeitete nach 2011 noch mehrere Jahre für die Hilfsorganisation Action Against Hunger in Bangladesch.
Wie kann jemand, der mehrmals schamlos seine Machtposition gegenüber Hilfsbedürftigen ausgenutzt und deren Grundrechte verletzt hat, so lange und ohne Folgen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein? Und wie kann man so etwas verhindern?
Vielleicht hätte in diesem Fall ein internationales Register für humanitäre Helfer geholfen, über das derzeit das britische Entwicklungsministerium DfID diskutiert. Seit Januar 2019 haben schon 46 Hilfsorganisationen weltweit das sogenannte Misconduct Disclosure Scheme umgesetzt – weitere sollen folgen. Dort werden Personen erfasst, die schon mal durch sexuelle Übergriffe auffällig wurden und gegen die Untersuchungen oder disziplinarische Maßnahmen laufen. Hilfsorganisationen sollen sich damit über die Vergangenheit ihrer Bewerber informieren können. Das vom DfID vorgeschlagene Aid Worker Registration Scheme soll darüber hinaus biometrische Daten enthalten, auch Interpol soll darauf zugreifen können.
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Vorwürfe werden in der Regel erstmal intern untersucht
Aber sexuelle Ausbeutung und Missbrauch (SEA) sind in der Entwicklungshilfe keine seltene Ausnahme. Seit 2001 ein Skandal in Westafrika bekannt wurde — Mitarbeiter von Hilfsorganisationen hatten im Tausch für Hilfe Sex gefordert —, ist das verbreitete Problem erkannt. Bei NGOs und den Vereinten Nationen folgten Bekenntnisse zur „Null-Toleranz-Politik“ und die Verschärfung von Verhaltenskodizes. Seit ihrer Einführung 2016 gelten bei den meisten Hilfsorganisationen die Standards zum Schutz vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch, die vom Inter-Agency Standing Committee (IASC) der Vereinten Nationen erarbeitet wurden. Sie sehen auch Mitarbeiterschulungen und die Einrichtung von Hotlines oder E-Mail-Adressen für Whistleblower vor.
Doch eines der Hauptprobleme bei sexuellen Übergriffen im humanitären Sektor bleibt, dass Kontrolle von außen fehlt. Die Vorwürfe werden in der Regel erst einmal intern untersucht und jede NGO entscheidet für sich, wie sie reagiert. Insider sagen, die öffentlich bekanntgewordenen Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. Denn viele Betroffene oder Hinweisgeber würden aus Angst vor Jobverlust oder Repressionen schweigen.
Bei den UN kann man immerhin tagesaktuell in einer Datenbank nachschauen, wie viele und welche Vorwürfe gegen UN-Personal es gibt und wie der Status quo ist. Seit 2017 hat die UN bis Ende August 2020 281 Vorwürfe wegen sexueller Ausbeutung oder Missbrauch aufgelistet mit mutmaßlich 324 Opfern und 296 Tätern. In einer anderen Tabelle finden sich für 2020 bisher 39 Vorwürfe gegen Blauhelmsoldaten. Doch gerade bei UN-Personal ist die Aufarbeitung der Fälle besonders schwierig. Denn die meisten UN-Mitarbeiter genießen durch ihr Mandat zunächst Immunität und können daher nicht strafrechtlich verfolgt werden. Und bei Peacekeeping-Soldaten entscheidet das entsendende Land darüber, ob der Fall untersucht wird und welche Strafen verhängt werden.
Paula Donovan ist Leiterin der globalen Kampagne Code Blue, die sich seit 2015 für Opfer sexualer Gewalt durch UN-Mitarbeiter einsetzt. Sie kritisiert, die Aufklärungsquote sei niedrig: „2019 lag der Anteil der Anklagen, die entweder wegen Mangels an Beweisen fallengelassen oder nicht aufgeklärt wurden, bei 94 Prozent.“ Um die Interessenskonflikte innerhalb der UN zu umgehen und mehr Fälle aufzuklären, fordert Code Blue eine Art unabhängige Rechtsinstanz (Special Court Mechanism), die jeweils in der Nähe der jeweiligen Missionen angesiedelt ist und die Vorwürfe untersucht. Die UN zeigen sich davon nicht überzeugt.
Auch die Idee von unabhängigen Ombudsleuten, die in den Projektländern Ansprechpartner für Betroffene von SEA sein sollen, wurde seitens der NGOs immer wieder verworfen. Statt eines internationalen Registers für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen hält Asmita Naik andere Mittel für wirksamer, um sexuelle Ausbeutung und Missbrauch vorzubeugen und zu bekämpfen: Verletzliche Gruppen stärken, mehr Frauen einstellen, sichere und zugängliche Beschwerdemechanismen schaffen, unabhängige Untersuchungen einleiten, die Täter bestrafen und dies auf faire Weise öffentlich machen. Kombiniert mit einer besseren Kontrolle seitens der Geldgeber und unangemeldeten Prüfungen vor Ort würde man damit nach außen zeigen, dass SEA nicht toleriert wird.
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