Der Ölfluch droht dem Paradies

Sandra Weiss

Sie wollen nicht, dass vor der Küste Guyanas nach Öl gebohrt wird: Anhänger der oppositionellen Indo-Guyanischen Progressiven Volkspartei bei einer Wahlkampfveranstaltung in Stewartville Anfang 2020.

Guyana
Guyana, die frühere britische Kolonie in Südamerika, wollte Vorreiter sein beim Umweltschutz. Ölfunde haben stattdessen Gier, Korruption und politische Instabilität entfacht. Die Rolle der Ölkonzerne ist ebenso dubios wie die der Weltbank.

Fairville ist ein Ort wie im Paradies: dichter Regenwald, so weit das Auge reicht, mit einem ohrenbetäubenden Konzert tropischer Vogelstimmen. Ein schwarzer Kaiman durchpflügt im letzten rosaroten Licht des Sonnenuntergangs langsam die spiegelglatte Oberfläche des Essequibo-Flusses. „Zuflucht“ haben die Makushi-Indigenen in Guyana diesen Ort 275 Kilometer südlich der Hauptstadt Georgetown getauft – Iwokrama. 

Er ist Guyanas Kronjuwel des Umweltschutzes. Das kleine Land an Südamerikas Ostküste war rasch an Bord, als der Schutz der Regenwälder nach dem Umweltgipfel von Rio de Janeiro 1992 international mehr Priorität bekam und es mehr Geld dafür gab. Guyana mit seinen gerade einmal 780.000 Einwohnern und einer konstanten Armutsrate von 35 Prozent sah darin eine Chance auf Entwicklung.

Mit Unterstützung des Commonwealth wurde 1996 in der ehemals britischen Kolonie das 371.000 Hektar große Naturschutzgebiet Iwokrama eingerichtet. Die Regierung entwarf mit Hilfe der Vereinten Nationen eine „Grüne Entwicklungsstrategie“ und holte wichtige Geldgeber und Mäzene an Bord, von Prinz Charles bis zum Land Norwegen.  Die Idee klang verlockend: Tourismus wird kombiniert mit nachhaltiger Forstwirtschaft, internationale wissenschaftliche Forschung mit der Einbindung indigener Gemeinden in produktive Projekte wie die Herstellung von Ölen oder in Ökotourismus.  Ziel ist, die Wälder als Lebensraum und Kohlenstoffsenke zu schützen und sich trotzdem wirtschaftlich nachhaltig zu entwickeln. Ein Gegenmodell zum benachbarten Brasilien, das auf Abholzung, Monokulturen und Bergbau in Amazonien setzt. Und ein Balanceakt, der jetzt nach den Erdölfunden vor der Küste Guyanas auf der Kippe steht – auch weil sich viele Erwartungen an die „Grüne Entwicklung“ nicht erfüllt haben.

Hauptadressat des Projekts waren die Indigenen, die einen Anteil von zehn Prozent an der Bevölkerung haben, der Rest verteilt sich auf Indo- und Afro-Guyaner sowie einen kleinen Anteil mit europäischen Wurzeln. Während die letzten drei Bevölkerungsgruppen auf dem schmalen Küstenstreifen rund um die Hauptstadt Georgetown leben, sind die Indigenen im Hinterland bestimmend. Für sie ist Iwokrama bis heute ein Leuchtturmprojekt, das ihnen Anschluss an die Moderne erlaubt – anders als im benachbarten Brasilien. 

Einer der Pioniere ist Michael Patterson. Der 50-Jährige ist Manager der Iwokrama-Lodge am Essequibo-Fluss und selbst halb Makushi, halb Arawak. 1996 durchlief er den ersten zweijährigen Ausbildungskurs, aus dem seither mehrere Hundert einheimische Ranger, Naturführer, Hotelangestellte, Forstexperten und Wissenschaftler hervorgegangen sind. „In meine Heimatgemeinde waren einige Jahre zuvor die Goldgräber eingefallen“, erzählt der gedrungene Mann. Er erlebte, wie sich die Gemeinde spaltete. Die einen lockten Geld und Konsum, die anderen warnten vor dem Verlust der Kultur und der intakten Natur. Einen Mittelweg schien es nicht zu geben.

Autorin

Sandra Weiss

ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.
Doch Iwokrama eröffnete ihn. „Wenn Indigene Nutzen aus dem Wald ziehen, werden sie ihn verteidigen. Ein Wald, der nicht in den Wirtschaftskreislauf integriert ist, ist sehr viel verwundbarer“, resümiert Jocelyn Dow von der Nationalen Forstkommission. Guyana, betont sie, habe es mit seiner grünen Strategie geschafft, 85 Prozent seiner Fläche im ursprünglichen Zustand zu bewahren, die jährliche Abholzungsrate liege bei unter einem Prozent. 

Doch außer den Indigenen hat niemand direkt Nutzen davon. Kaum ein Guyaner war je in Iwokrama. Die Fahrt dorthin über Schlammpisten ist beschwerlich, ein Flug teuer, eine Übernachtung kostet so viel wie in einem Fünf-Sterne-Hotel. Iwokrama ist sowohl ein Naturreservat, ein Projekt wie auch ein Unternehmen, welches eine Holzsparte zusammen mit der lokalen Firma Farfan & Mendes betreibt. Die resolute Funktionärin Dow sieht besonders in diesem Bereich Verbesserungsbedarf: „Bislang exportieren wir Holz, aber wir sollten daraus Möbel machen, das schafft zehnmal so viele Arbeitsplätze.“ Dem allerdings stehen die billigen, zollfreien Holz- und Möbelimporte aus den USA und Kanada entgegen. Zudem sind die Zertifikate für Guyanas nachhaltig geschlagenes Holz teuer. Das bekannteste, FSC, hat den   Antragsteller, in diesem Falle Iwokrama, alles in allem bislang zwölf Millionen US-Dollar gekostet, klagt sie. Darin sind einmalige und laufende Kosten etwa für die Satellitenüberwachung und Kartograpfie enthalten. 

Obwohl Iwokrama als einziges Unternehmen in Guyana dieses Siegel hat, trägt es sich wirtschaftlich nicht, wie Generaldirektor Dane Gobin einräumen muss. Weder die Forstwirtschaft noch die durchschnittlich 1200 ausländischen Touristinnen und Touristen pro Jahr spielen die Kosten herein. Über die Grenzen des Schutzgebietes hinaus hat das Projekt keine Strahlkraft. Schon wenige Kilometer außerhalb buddeln Goldgräber tiefe Löcher in die Ufer der Flüsse. Das Problem ist laut Gobin ein buchhalterisches: „Der Regenwald im Urzustand hat für Ökonomen keinen bezifferten Wert, obwohl er der Menschheit so wichtige Dienste leistet, wie Kohlenstoff und Wasser zu speichern.“ Die internationale Gemeinschaft habe zwar viele warme Worte übrig für Guyana, aber nicht genügend Geld. 

Ganz anders der Erdölkonzern ExxonMobil. Er hat nach jahrelangem Suchen 2016 vor Guyanas Küste Öl entdeckt; der erste beladene Öltanker lief Anfang 2020 aus. In den nächsten fünf Jahren will der US-Ölkonzern mit seinen Partnern aus China (China National Oil Offshore Corporation) und der privaten US-Ölfirma Hess Corp. bis zu 750.000 Fass Öl pro Tag fördern.  

Nun dreht sich alles nur noch ums Öl. Die Regierung will mit Petrodollars Autobahnen bauen und einen daraus gespeisten nationalen Fonds einrichten nach dem Vorbild Norwegens. Daraus könnte vieles finanziert werden: Von billigem Benzin träumen die Autofahrer; von einem stabilen Schutzwall gegen die Meeresfluten die Reisbauern, deren Felder nach Dammbrüchen immer wieder versalzen; von Geld für Bildung und Forschung die Universitätsprofessoren; von einem besseren Gesundheitssystem eigentlich alle; von mehr Arbeitsplätzen und steigenden Löhnen die Jugendlichen, die bislang in Scharen auswandern. Sogar für Iwokrama gibt es nun Petrodollars: Über fünf Jahre lang wird ExxonMobil die wissenschaftliche Forschung dort finanzieren.
Ist damit die nachhaltige Entwicklungsstrategie vom Tisch? Die Regierung verneint und mogelt sich aus der Verantwortung: „In die CO₂-Bilanz eines Landes fließt die Offshore-Förderung nicht ein“, erklärt Dow. Denn verarbeitet wird das Öl nicht in Guyana, sondern in US-Raffinerien. So könne der Lebensstandard der Bevölkerung angehoben werden, ohne dafür die Umwelt zu opfern oder Regenwald abzuholzen, versprechen Minister. Die Folgen einer möglichen Ölpest werden nicht erwähnt. Ebenso wenig, dass das CO₂ aus der Nutzung des Öls anderswo freigesetzt wird und den Meeresspiegel auch vor Guyana weiter ansteigen lässt. Und die von der Regierung geplanten Überlandstraßen werden den Siedlungs- und Explorationsdruck auf den Regenwald erhöhen. 
Das räumt Gobin von Iwokrama ein. Trotzdem ist er nicht gegen Straßenbau: „Infrastruktur ist wichtig für die Entwicklung unseres Landes.“ So könne man die Transportkosten senken und noch viel mehr Guyanern den Besuch von Iwokrama ermöglichen und sie für den Naturschutz sensibilisieren.

Eine Debatte über die Ölförderung findet in den Medien und der Bevölkerung kaum statt. Greenpeace hat zwar eine Kampagne zum Schutz des Amazonasriffs gestartet: Wegen der Gefahr von Lecks soll die offshore-Erdölförderung vor den zwei Guyanas und Surinam verboten werden. In Guyana selbst findet die Kampagne aber wenig Unterstützung. Die heimische Kritik richtet sich gegen ein greifbareres Übel: die Korruption. 

Einer der Wortführer ist Troy Thomas, Universitätsprofessor und Vertreter von Transparency International (TI). Ihn beunruhigt vor allem die Intransparenz und das Ungleichgewicht zwischen der Regierung eines Entwicklungslandes und einem US-Konzern, der das 80-fache des Bruttoinlandsproduktes von Guyana umsetzt. Bisher erwirtschaftet das Land 3,6 Milliarden US-Dollar jährlich und hat ein Pro-Kopf-Einkommen von 4600 US-Dollar, etwas mehr als Paraguay. „Unser Justizsystem ist problematisch, unsere Institutionen sind schwach, die Straffreiheit ist hoch und verlässliche Daten produzieren wir wenig“, sagt Thomas. Im letzten Weltkorruptionsindex von TI landete das Land auf Platz 85 von 180 Ländern. Unter diesen Umständen sei es unwahrscheinlich, dass die Öleinnahmen transparent und zum Nutzen aller verwendet würden. Schon jetzt hat Thomas eine ganze Latte von Unregelmäßigkeiten im Zuge der Lizenzvergabe, der Umweltverträglichkeitsprüfung und der Ausarbeitung der Rahmengesetze dokumentiert. 

Der Mathematiker ist nicht allein. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die internationale nichtstaatliche Organisation (NGO) Global Witness läuten die Alarmglocken. Der von Guyana mit ExxonMobil ausgehandelte 50-prozentige Gewinnanteil am geförderten Öl plus zwei Prozent Lizenzgebühren (Royalties) liege unter dem internationalen Durchschnitt, warnen beide. Mexiko hat beispielsweise 75 Prozent Gewinnanteil ausgehandelt; Länder wie Mosambik und Nigeria erhalten zwischen 65 und 85 Prozent.

Die deutsche NGO Urgewald hat weitere Mauscheleien gefunden. Darin verwickelt ist die Weltbank, die öffentlich beteuert, keine fossilen Energieträger zu fördern. In Guyana, so Urgewald, hat die Institution mit Sitz in Washington aber einen Kredit über 20 Millionen US-Dollar vergeben, damit die Regierung die Steuer- und Rahmengesetze für die neue Erdölära ausarbeiten kann. Dafür seien externe Berater eingestellt worden, die zuvor in den Diensten von ExxonMobil standen. Etwa der Brite Michael Warner oder die US-Anwaltskanzlei Hunton Andrews Kurth, die seit 40 Jahren den Ölkonzern in Rechtsstreitigkeiten vertritt. 

Warner hat einen von einem anderen internationalen Experten erstellten Entwurf für das Gesetz über lokale Zulieferer überarbeitet. Sein Hauptbeitrag bestand darin, den Absatz zu streichen, in dem die Ölfirmen zur Veröffentlichung ihrer Rechenschaftsberichte in der Materie gezwungen werden. Nun ist Warner laut lokalen Medien ausgerechnet derjenige, der ExxonMobils Zentrum für lokale Zulieferer managen soll. „Mit so einem Vorgehen verstößt die Weltbank gegen ihre eigenen Regeln zum Schutz vor Interessenkonflikten“, schreibt Urgewald in einem Brief an den deutschen Direktor der Institution. Eine Antwort sei bisher nicht eingegangen, so Urgewald-Vertreterin Ute Koczy. „Das hat System und ist Taktik. Denn dieses Schweigen verhindert eine Debatte“, kritisiert Koczy. ExxonMobil sprach in einer Stellungnahme gegenüber dem „Guardian“ von „grundlosen Spekulationen“. 

Bereits jetzt hat das Öl für politische Instabilität gesorgt. Rivalitäten und politische Gewalt gab es in Guyana seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1966 immer wieder. Das hat mit der kolonialen Vergangenheit des Landes zu tun. „Die Europäer brachten erst afrikanische Sklaven, dann nach dem Ende der Sklaverei Gastarbeiter aus Indien für die Plantagen zu uns. Die kleine europäische Oberschicht sicherte sich die Macht, indem sie die Volksgruppen segregierte und zwischen ihnen Misstrauen säte“, erläutert die Historikerin Melissa Ifill. 

Die politischen Gräben verlaufen weiterhin entlang ethnischer Grenzen. Die Partei Apnu von Präsident Granger repräsentiert die Afro-Guyaner, die bislang oppositionelle Progressive Volkspartei (PPP) die Indo-Guyaner. Regiert wird jeweils zum Vorteil der eigenen Bevölkerungsgruppe, um die eigene Machtbasis zufriedenzustellen. In Wahlen wird die Balance neu verteilt. 

Doch das ist zuletzt misslungen. Denn mit den Öleinnahmen steht nun viel mehr auf dem Spiel und gibt es mehr Geld zu verteilen als früher – und jeder will etwas vom Kuchen abhaben. Granger hat im Dezember 2018 ein Misstrauensvotum verloren und hätte drei Monate später Neuwahlen des Parlaments anberaumen müssen. Stattdessen regierte er über ein Jahr lang kommissarisch weiter. Das Parlament ist aufgelöst, die Gesetzgebung gelähmt. 

Die Wahlen haben dann am 2. März dieses Jahres stattgefunden, aber bis heute liegt kein Ergebnis vor; es gibt Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. Die Zahlen aus einer bevölkerungsreichen Küstenregion sind umstritten und bis heute nicht überprüft. Klammert man diese Region aus, dann liegt die PPP mit 51.000 Stimmen vorne. Das heißt, die Oppositionspartei PPP hätte die Mehrheit im Parlament. Die Apnu behauptet hingegen, in Region vier den Vorsprung aufgeholt und die PPP überrundet zu haben. Wahlbeobachter aus Europa und den USA halten dies für unglaubwürdig. Der Spitzenkandidat der PPP, Irfaan Ali, gehört zu den Kritikern der ausgehandelten Ölverträge und hat eine genaue Überprüfung in Aussicht gestellt. 

Doch solange kein Wahlsieger ausgerufen ist, regiert die Apnu mit Granger weiter, wenngleich ohne Rechtsgrundlage. Auch die Ölfirmen arbeiten seither ohne klaren Rahmen. Und ihre Rolle im politischen Machtkampf ist nebulös. PPP-Anhängern zufolge favorisieren sie die Apnu. Eine Gruppe von über hundert internationalen Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen hat die Ölfirmen nun aufgefordert, nur mit einer rechtmäßigen Regierung Geschäfte zu tätigen. 

„Die Unruhen der vergangenen Wochen sind das erste Zeichen des Ölfluchs“, sagt die Aktivistin Carroll Muffett stellvertretend für die Unterzeichner. „Für die Mehrheit der Bevölkerung führt das Öl nicht zu Entwicklung, sondern es gefährdet Grundrechte, die Freiheit und die Umwelt.“ 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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