Die Einsamkeit von Frauen in der Fremde

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Toni Keppeler

Brenda Vanegas findet, dass es genug Dokumenta­tionen über die Gewalt in El Salvador gibt. Die 37-Jährige porträtiert lieber in ihrem Film „Volar“ eine Frau, die sich in einem fremden Land zurechtfinden muss. 

Spielfilm aus El Salvador
Seit sechs Jahren arbeitet die salvadorianische Filmemacherin Brenda Vanegas an ihrem ersten Spielfilm. In ihrem Film „Volar“ verarbeitet sie auch ihre eigene Biografie. Jetzt ist er fast fertig, aber die Corona-Krise hat ihn vorerst auf Eis gelegt.

Der erste Spielfilm von 90 Minuten ist für jeden Filmemacher eine große Sache. In El Salvador ist diese Sache noch viel größer. In dem kleinen Land in Zentralamerika wurden in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend Dokumentarfilme gedreht – über den Bürgerkrieg zwischen 1980 und 1992 und seine Folgen und zuletzt über die Gewalt der Maras genannten Jugendbanden. In diesen Filmen wird viel geschossen. Brenda Vanegas aber arbeitet an einem eher stillen Spielfilm, und das schon seit sechs Jahren. Jetzt ist er so gut wie fertig. Es fehlt nur noch eine letzte Finanzspritze für die Postproduktion des Tons.

Der Film heißt „Volar“, „Fliegen“. Er handelt von einer Frau aus El Salvador, die zu Hause nicht über die Runden kommt und ihre letzten Ersparnisse zusammenkratzt, um nach Spanien zu fliegen und Arbeit zu suchen. Sie betreut in Barcelona eine alte Frau, die an Alzheimer erkrankt ist. Es geht dabei vor allem um die Einsamkeit von Frauen, die ihre Heimat verlassen, um anderswo ein wirtschaftlich sichereres Leben zu finden. „Ich wollte keinen weiteren Film über den gefährlichen Weg der Migranten durch Mexiko in die USA machen, davon gibt es schon viele“, sagt die 37-Jährige. Auch Zahlen und Statistiken waren ihr egal. „Mich hat interessiert, was es emotional bedeutet, ein Migrant zu sein.“ Männer, das habe sie selbst beobachten können, gründeten in der Ferne vielleicht eine neue Familie und vergäßen ihr Zuhause. „Frauen aber bleiben einsam.“

Vanegas ist eine zurückhaltende, freundliche Frau. Sie lächelt fast immer, lacht aber so gut wie nie. Wenn sie vom Plot ihres Films erzählt, wird sie sehr ernst und spricht noch leiser als sonst. Die Geschichte hat viel mit ihrer eigenen Biografie zu tun. „Meine Kindheit war nicht vom Bürgerkrieg geprägt, sondern von der Gewalt bei uns zu Hause“, sagt sie. Der Vater habe die Mutter verprügelt, Schläge seien auch als Erziehungsmethode gang und gäbe gewesen. Als Vanegas sieben Jahre alt war, trennten sich die Eltern. Die Mutter ging zum Arbeiten in die USA, die Tochter wuchs in San Salvador bei einem Onkel auf. Vanegas hat ihr Abitur gemacht, Kommunikationswissenschaft studiert und in einer Produktionsfirma gearbeitet, die Werbespots für das Fernsehen machte. Das war bloßer Gelderwerb, Werbung hat sie nie interessiert. „Aber ich konnte in meiner Freizeit die Ausrüstung nutzen und machte eigene Experimente.“ In dieser Zeit entstanden ihre ersten kleinen Drehbücher.

„Ich hatte keine Ahnung, wie meine Mutter lebt“

Als sie 23 Jahre alt war, starb ihr Onkel. Erst da wurde ihr bewusst: „Meine Beziehung zu meiner Mutter beschränkte sich auf ein paar Telefonate im Jahr und auf das Geld, das sie regelmäßig schickte. Ich hatte keine Ahnung, wie sie lebt.“ Sie beschloss, zu ihrer Mutter nach New York zu ziehen, und ist eineinhalb Jahre dort geblieben. Sie hat als Kassiererin in einem Supermarkt gearbeitet, hat an einer Schule Spanisch unterrichtet und ein autistisches Kind betreut. „Erst dort habe ich verstanden, was es heißt, Migrantin zu sein: Man lebt für die Arbeit und ist ansonsten einsam und traurig.“ Aber Vanegas hatte ein Ziel. Sie wollte Geld sparen, um einen Master in Film machen zu können. „Und weil ich schon als Kind gern und viel geschrieben habe, habe ich dann in Madrid Drehbuch studiert.“

Autor

Toni Keppeler

ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.
Das Thema Migration hat sie damals schon umgetrieben. Ihr erstes Projekt während des Studiums hieß „Paula“, wie ihre Mutter. Es handelt von einer schwangeren Frau, die zu Hause verprügelt wird und ins Ausland geht, um ihr Kind zu schützen. Sie reichte das Drehbuch bei einem Wettbewerb ein und bekam Geld für die Produktion eines 17-Minuten-Kurzfilms.

„Es gibt eine ganze Reihe junger Salvadorianer, die im Ausland Film studieren“, sagt sie. „Aber sie bleiben dann alle weg.“ Vanegas ist mit 27 Jahren nach El Salvador zurückgekehrt. Sie arbeitete zunächst für eine Firma, die Lehr- und Dokumentarfilme für Behörden und entwicklungspolitische Organisationen produzierte. „Ich wollte keine Werbung mehr machen, obwohl ich damit mehr Geld verdient hätte.“ Später gründete sie ihre eigene kleine Produktionsfirma für solche Dokumentarfilme. „Die Digitalisierung hat das möglich gemacht“, sagt sie. „Sie hat das Filmemachen demokratisiert.“ Früher sündhaft teure Kameras und Schnittplätze wurden von bezahlbaren Digitalkameras und Computern ersetzt.

Am Anfang stand ein Stipendium von gerade einmal 25.000 Dollar

Aber die Produktion eines 90-minütigen Spielfilms ist dann doch wesentlich teurer. „Wenn ich jedem im Team auch nur tausend Dollar im Monat bezahlt hätte, hätte ich fast eine halbe Million gebraucht“, sagt sie. Am Anfang aber stand ein Stipendium von gerade einmal 25.000 Dollar. Das Wirtschaftsministerium von El Salvador hatte 2014 einen Wettbewerb für Kurzfilmprojekte ausgeschrieben, und „Volar“ sollte damals nicht mehr als ein Kurzfilm werden. Erst als sich Vanegas ans Drehbuch machte, wurde ein richtiger Spielfilm daraus.

„Wir haben dann einfach angefangen“, mit vielen Laienschauspielern und wenigen Frauen von einer freien Theatertruppe, dazu ein Kameramann und ein Tontechniker, zusammen gerade ein Dutzend Leute. „Immer, wenn das Geld ausgegangen war, haben wir die Arbeit eingestellt und neues gesucht.“ Vanegas hat zuerst ihr Auto verkauft, dann ihre Produktionsfirma so lange ausgenommen, bis diese bankrott war. Zuletzt versuchte sie es mit Crowdfunding. Der Erfolg war überwältigend. „Wir haben noch 40.000 Dollar gebraucht und bekamen 65.000.“ Fast zwei Drittel davon kamen aus El Salvador, „selbst Universitäten haben uns Geld gegeben“. Plötzlich waren Dinge möglich, von denen Vanegas vorher nicht zu träumen gewagt hatte. „Wir hatten die Szenen in Spanien vorher als reines Kammerspiel in El Salvador gedreht. Jetzt konnten wir mit einem kleinen Team nach Barcelona fliegen und auch Außenaufnahmen machen.“

Am Ende hatte der Film 150.000 Dollar gekostet. Die Erstfassung wurde Anfang 2018 den Spendern in einem Kino in San Salvador gezeigt und wurde sehr gut aufgenommen. Auch der mexikanische Cineast Pablo Mondragón, einer der Organisatoren des internationalen Filmfestivals von Guadalajara, hat ihn gesehen und Vanegas ein paar Tage danach getroffen. Er meinte, „Volar“ habe großes Potenzial, sei aber in dieser Fassung weder ein richtiger Autorenfilm noch fürs große Publikum geeignet, sondern irgendwo dazwischen. „Alle seine Kritikpunkte haben mir eingeleuchtet, aber ich hatte kein Geld mehr“, erinnert sich Vanegas. „Ich war wie versteinert.“

Zunächst wollte niemand im Team den Film noch einmal anrühren. Aber Mondragón hat sie schließlich überzeugt und half auch beim Auftreiben von neuem Geld. Einige Szenen wurden neu gedreht, Schnitt und Ton noch einmal gründlich überarbeitet. Nun fehlt nur noch das Geld für die Postproduktion des Tons. Das wollte Vanegas eigentlich im März beim Filmfestival in Guadalajara gewinnen. Im Wettbewerb der Kategorie „work in progress“ wurde ihr Film als einer von sieben aus gut 200 Bewerbungen ausgewählt. Aber dann wurde das Festival wegen der Corona-Krise verschoben. Es ist ungewiss, ob es noch in diesem oder erst im nächsten Jahr nachgeholt wird. Solange jedenfalls bleibt „Volar“ vorerst am Boden.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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