„Die Bauern sind machtlos“

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FAO/Sven Torfinn

Eine Bäuerin in Kenia versucht Heuschrecken von ihrem Feld zu vertreiben.

Heuschreckenplage
Milliarden Heuschrecken haben am Horn von Afrika ganze Landstriche befallen. Der Insektenforscher Stefan Diener erklärt, warum die Plage viele überrascht hat und was jetzt noch getan werden kann.

Somalia, Kenia, Äthiopien sowie Pakistan werden gerade von einer Heuschreckenplage heimgesucht. Wie kommen diese riesigen Schwärme zustande?   
Die Wanderheuschrecken sind nicht von Anfang an als Schwarm unterwegs. Sie schlüpfen einzeln und können einen ganzen Lebenszyklus allein vor sich hin fressen. Aber sie sind abhängig von Nahrungsangebot, Temperatur und Hormonausschüttung. Unter bestimmten Umständen kommt es dazu, dass sie sich die noch flügellosen Hopper in kleinen Gruppen zusammenrotten, die dann gemeinsam einen Schwarm bilden. Da vereinigen sich dann Milliarden Heuschrecken aus weit verstreuten Gebieten, die sich als Schwarm vom Wind tragen lassen.

Warum sind die aktuellen Schwärme besonders groß?
Am Horn von Afrika hat es im Herbst nach einer langen Dürrephase sehr viel geregnet. In dem feuchten Boden konnten besonders viele Tiere schlüpfen und es gab ausreichend Nahrung. Das Wetter hat in diesem Fall dazu beigetragen, dass so große Schwärme entstanden sind.

Gilt das auch für die Plage in Pakistan?
In beiden Regionen ist die Wüstenheuschrecke für die Plage verantwortlich. Auch im Osten des Iran hat es zuvor viel geregnet und es hat sich eine große Brutstätte gebildet, von wo aus die Heuschrecken nach Pakistan gewandert sind. Wüstenheuschrecken sind gute Flieger, die mit dem Wind 150 bis 200 Kilometer pro Tag zurücklegen können.

Wie oft kommt es zu solchen Heuschreckenplagen?
Kleinere Schwärme treten alle paar Jahre auf. Aber so viele und so große Schwärme wie jetzt gab es in Somalia und Äthiopien seit 25 Jahren nicht mehr, in Kenia sogar seit 70 Jahren. Das macht das Ganze extrem schwierig zu studieren und zu beobachten, weil die Zeitspanne so groß ist und ganze Generationen überspringt. Da vergisst man schnell, dass so etwas passieren kann. Umso größer erscheint die Bedrohung, wenn solche Schwärme auftreten.

Welche Rolle spielt der Klimawandel dabei?
Der Auslöser war ein Wetterphänomen, das nichts mit dem Klimawandel zu tun hat. Aber wenn sich durch den Klimawandel Trocken- und Regenzeiten verschieben und Windströme verändern, hat das auch einen Einfluss auf Heuschrecken, weil sie sehr stark von diesen Umweltfaktoren bestimmt sind. Der Klimawandel beeinträchtigt bei der jetzigen Krise vor allem den Menschen. Die Bevölkerung am Horn von Afrika leidet seit Jahren unter einer Dürre und schlechten Ernten. Nach dem Regen im Herbst war endlich wieder eine relativ gute Ernte zu erwarten, die nun von den Heuschrecken weggefressen wird.

Gibt es Wege, die Plage zu bekämpfen?
Die einzelnen Bauern sind praktisch machtlos. Sie können nur zusehen, wie ihre Felder abgefressen werden. Bei der Bekämpfung der Schwärme hilft nur ein großflächiger Einsatz von Pestiziden. Das muss geplant und koordiniert geschehen. Man muss wissen, wie sich die Heuschrecken bewegen, um sie zu erwischen, wenn sie auf dem Boden sitzen. Am effektivsten ist das, wenn man frühzeitig reagiert und die Schwärme in ihrem Anfangsstadium erwischt.

Wieso hat das dieses Mal nicht funktioniert?
Ein Grund ist, dass es keine richtigen Frühwarnsysteme gibt, weil das Phänomen so selten auftritt und der Ernstfall kaum geübt werden kann. Hinzu kommt, dass sich die aktuellen Schwärme in relativ entlegenen Gebieten im Südosten Äthiopiens und in Somalia gebildet haben. Die Region ist recht dünn besiedelt und politisch instabil, deshalb wurde das Problem nicht frühzeitig erkannt.

Wie kann den betroffenen Bauern jetzt noch geholfen werden?
Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) leistet Soforthilfe für Bauern, damit sie die Ernteausfälle ausgleichen und neues Saatgut kaufen können. Außerdem geht es darum, sich auf die nächste Welle vorzubereiten. Die Schwärme legen jetzt ihre Eier und in ein bis zwei Monaten wird der nächste Schub erwartet, etwa im Nordosten Kenias. Man muss Bekämpfungsmittel und Flugzeuge organisieren, Arbeitskräfte und Helfer mobilisieren und die Lage beobachten. Das versucht die FAO mit den betroffenen Ländern zu koordinieren. 

Warum nutzt man die Heuschrecken nicht als Nahrungsquelle? Die FAO und andere werben ja gerne damit, dass die Menschen mehr Insekten essen sollten, weil sie eine nachhaltige Eiweißquelle sind.
Man kann die Wüstenheuschrecke essen und ich denke, dass manche Bauern das auch jetzt tun. Aber man muss sich die Dimensionen bewusst machen: Hochgerechnet fliegen in einem Schwarm 200.000 Tonnen Biomasse durch die Gegend, das ist rund die Hälfte des jährlichen Fleischkonsums in der Schweiz. Das ist eine enorme Ressource, die man aber nicht wirklich nutzen kann. Dafür müsste man große Mengen fangen und sie haltbar machen. Aber darin fehlt es den Bauern einfach an Erfahrung.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher.

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Der Einsatz von Pestiziden freut die Chemieindustrie, aber ist weder nachhaltig, noch gesund. Wir müssen lernen, intelligent mit der Natur zu leben. Die Schwärme ernähren Vögel und können auch uns Menschen ernähren. Ich hätte gerne vernünftigere Ideen, als großflächig Gift zu sprühen. Netze für Bauern, Informationen zur Zubereitung und Haltbarmachung, Prämien für das Sammeln von Heuschrecken, es gäbe viele interessante Ansätze.In Kenia haben viele keine Arbeit, hier kann angesetzt werden.

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Wenn die FAO Pestizide als Lösung für die Heuschreckenschwärme ansieht, erkennt man den rückschrittlichen Agraransatz. Die Natur großflächig zu vergiften, kann keine gute Idee sein. Schon jetzt bemerken die Europäer den rasanten Rückgang heimischer Insekten wie der Bestäuber Bienen oder Hummeln. Pestizide gehen nicht nur gezielt gegen Heuschreckenschwärme vor, sondern vernichten ganze Ökosysteme. In den 70er Jahren gab es auch bessere Ansätze wie das Sammeln von Insekten (Kartoffelkäfer). Gerade in Entwicklungsländern, wo Arbeit und Einkommen nicht sicher sind, wären arbeitskraftintensive Hilfemaßnahmen besser. Netze verteilen, Fangprämie, Kochen und Einlegen der Insekten sind nachhaltiger als Gifte zu versprühen und die Umwelt zu zerstören. Doch es muss gehandelt werden. Zögern hilft niemanden.

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Wenn die FAO auf Pestizide setzt, hat man den Eindruck, sie steht unter Einfluss von Monsanto und Co. Das kann ja nicht der richtige Ansatz sein, Tonnen von Pestiziden in diesen Ländern zu versprühen. Schon jetzt leidet die Erde nachweislich unter dem Rückgang der Insekten. Manpower und Netze helfen. Auch Kinder könnten mit ihren Schulen mithelfen, die Heuschrecken einzufangen und leckere Speisen zuzubereiten oder die Massen von Heuschrecken an Schweine oder Fische zu verfüttern. Einfach nur traurig, wie leichtfertig die FAO Gifte einsetzt.

Die Natur großflächig zu vergiften, kann keine gute Idee sein. Monsanto, Bayer & Co. lassen grüßen. Schon jetzt bemerken wir in Europa den rasanten Rückgang heimischer Insekten wie der Bestäuber Bienen oder Hummeln. Pestizide gehen nicht nur gezielt gegen Heuschreckenschwärme vor, sondern vernichten ganze Ökosysteme. Wie richtig erwähnt wird, wirbt die FAO ja gerne damit, dass die Menschen mehr Insekten essen sollten, weil sie eine nachhaltige Eiweißquelle sind. Wenn die Bauern zu unerfahren in deren Verarbeitung und Vermarktung sind, sollte die FAO anstatt Pestizide zu zahlen, das Geld für die Ausbildung der Bauern nutzen. Alles Andere ist für mich unverständlich.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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