Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht. Künftig soll dies keine leere Floskel mehr sein: Besteht der Verdacht, dass das Recht verletzt wurde, können die Opfer den Fall einem UN-Ausschuss zur Prüfung vorlegen – sofern ihr Staat das neue Protokoll zum UN-Sozialpakt unterzeichnet und ratifiziert hat. Doch viele Staaten lehnen das ab.
Ein Meilenstein sei erreicht, sagten Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, als die ersten Staaten am 24. September in New York das Fakultativprotokoll zum UN-Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unterzeichneten. In dem Pakt aus dem Jahr 1966 sind Menschenrechte wie die auf Nahrung, Bildung oder Arbeit verankert. Die UN-Generalversammlung hatte das Zusatzprotokoll vor rund einem Jahr angenommen. Die Einhaltung der bürgerlichen und politischen Rechte kann schon seit Jahren von einem UN-Ausschuss geprüft werden.
In der Praxis gelten die Sozialrechte oft als weniger verbindlich. Viele Staaten stellen sich auf den Standpunkt, Rechte wie jenes auf Nahrung seien nicht genügend konkret für Gerichtsentscheide beziehungsweise nicht justiziabel. Sie deuten den Sozialpakt programmatisch: Die Staaten sollen sich bemühen, aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Diese Haltung ist auch im deutschsprachigen Raum verbreitet: Weder Deutschland noch Österreich noch die Schweiz planen derzeit, das Protokoll zu unterzeichnen. Bern hat sich im Frühjahr dagegen ausgesprochen, weil das Protokoll mit der Schweizer Rechtsordnung nicht kompatibel sei. Zudem sei umstritten, ob der Sozialpakt individuelle Ansprüche begründe, die in einem quasigerichtlichen Verfahren überprüft werden könnten.
Für Jean Ziegler, den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, ist diese Haltung nicht nachvollziehbar. Spätestens seit der Wiener Konferenz von 1993 sei klar, dass es keine zweitrangigen Menschenrechte gebe. Damals habe die Staatengemeinschaft festgehalten, dass alle Menschenrechte universell, unteilbar und aufeinander bezogen seien. Manfred Nowak, der UN-Sonderberichterstatter über Folter, der an der Ausarbeitung des Protokolls zum Sozialpakt beteiligt war, teilt diese Ansicht. Die Ablehnung des Protokolls mit der Begründung, soziale Rechte seien letztlich nicht justiziabel, zeuge von einem „ganz konservativen Verständnis“ der Menschenrechte.
Die Gegner machen geltend, dass nicht Grundsätze zur Debatte stünden, sondern Details. „Der Kerngehalt der Sozialrechte ist unbestritten“, sagt Christoph Spenlé, Menschenrechtsspezialist im Schweizer Außenministerium. Zum Kerngehalt des Rechts auf Arbeit zum Beispiel gehöre der Anspruch, seine Arbeit frei wählen zu dürfen – und das sei justiziabel. Das Protokoll gehe aber darüber hinaus und könnte so interpretiert werden, dass der Staat das Recht auf eine umfassende Berufsausbildung gewährleisten müsse. „Wie das umzusetzen wäre, ist offen.“
Was nützt es überhaupt, wenn die Einhaltung von Sozialrechten wie des Rechts auf Nahrung von den UN überprüft werden kann? Das neue Instrument helfe hungernden Menschen nicht unmittelbar., sagt Sandra Ratjen von der Menschenrechtsorganisation FIAN International. Aber das Recht auf Nahrung werde einen anderen Stellenwert erhalten. Laut Ratjen sind auch Präzedenzentscheide zu erwarten, zum Beispiel bei Fällen von Landenteignung. Es sei viel gewonnen, wenn der UN-Ausschuss festhalte, dass Bauern, die sich gegen Landenteignung wehren, nicht kriminell seien, sondern ihr Recht verteidigten.
Kommt der UN-Ausschuss zum Schluss, dass ein Staat eine Vorgabe aus dem UN-Sozialpakt verletzt hat, dann fordert er die Regierung zu Maßnahmen und zu einer Stellungnahme auf. Das gibt Menschenrechtsorganisationen ein Druckmittel. Bei Verdacht auf einen besonders schweren Fall kann der Ausschuss auch weitergehende Untersuchungen beschließen – allerdings nur mit Zustimmung des betroffenen Staates. Die Pflichten richten sich nach den Möglichkeiten der Staaten: Entwicklungsländer können sich dem Vorwurf der Verletzung entziehen, indem sie nachweisen, dass sie nicht in der Lage waren, die Leistungen zu erbringen.
Bis Anfang Oktober hatten 29 Länder das Protokoll unterzeichnet, vor allem aus Lateinamerika, Afrika und Europa. In Kraft tritt das Protokoll, wenn zehn Staaten es ratifiziert haben. (Charlotte Walser, InfoSüd)