Mehr Militär bringt nicht mehr Sicherheit

Europa
Europa will Frieden schaffen? Dann muss es sich darauf vorbereiten, statt nur von Aufrüstung zu reden.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Seit Jahren schaut Europa mehr oder weniger untätig zu, wie in unmittelbarer Nachbarschaft mit Syrien ein Staat in Krieg und Chaos versinkt, oder trägt sogar wie in Libyen selbst aktiv dazu bei, indem Mitglieder der Europäischen Union unterschiedliche Konfliktparteien unterstützen. Und dann kommt die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf die Idee, Deutschland solle zusammen mit Verbündeten Militär in südostasiatische Gewässer schicken, um dort an der Seite Japans, Australiens und Südkoreas den Einfluss Chinas zurückzudrängen. Diese Länder wünschten ein Zeichen der Solidarität, „und es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt“, sagte Kramp-Karrenbauer im November auf einer Konferenz in München.

Vor einigen Wochen habe ich die CDU-Politikerin auf unserer Webseite noch gelobt: Ihren Vorschlag, im umkämpften Nordsyrien eine internationale Schutzzone einzurichten, fand ich gut – nicht so sehr, weil ich dachte, dass er in nächster Zeit eine echte Chance auf Verwirklichung hat, sondern weil ich froh war, dass aus Europa überhaupt mal wieder ein Zeichen kommt, sich mit dem Krieg in Syrien zu befassen, statt das Feld der Türkei, Russland, dem Iran, den USA und dem syrischen Präsidenten Assad zu überlassen.

Heute ist mir dieses Lob peinlich. Denn mittlerweile fantasiert die Verteidigungsministerin nicht nur von Marineeinsätzen am anderen Ende der Welt, sondern beklagt grundsätzlich „eine gewisse Entwöhnung“ in Deutschland, wenn es darum geht, Soldaten in die Welt zu schicken – eine Entwöhnung, die rückgängig gemacht werden müsse. Ich nehme deshalb mein Lob zurück und schließe mich stattdessen dem Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin an, der die jüngsten sicherheitspolitischen Vorstöße Kramp-Karrenbauers in einem Interview kurz und knapp als „faktenfreies Gerede“ bezeichnet hat.

Das Problem ist, dass auch faktenfreies Gerede Fakten schaffen kann. Es ist frustrierend zu sehen, wie einseitig die Debatte der vergangenen Wochen um die sicherheitspolitische Rolle Europas läuft. Wenn von Europas Verantwortung geredet wird, geht es in der Regel um militärische Verantwortung. Wenn von der Notwendigkeit geredet wird, dass Europa selbstständiger wird, geht es um militärische Selbstständigkeit. Es geht fast immer um Aufrüstung und die Fähigkeit, selbst Krieg zu führen – und es geht viel zu wenig um Europas potenzielle Stärke, mit Diplomatie, multilateralen Initiativen und Werkzeugen der zivilen Konfliktbearbeitung in der Welt Einfluss zu nehmen.

Ein Konzept für ein Europa als internationale Friedensstifterin fehlt

Das zeigt sich auch in der neuen, von Ursula von der Leyen geleiteten EU-Kommission, die Anfang Dezember ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Christdemokratin will eine „geopolitische Kommission“ – und das wäre zu begrüßen, wenn dahinter die Idee stünde, dass die Europäische Union sich aktiver in die internationale Politik einbringt und hilft, Konflikte zu lösen und Entwicklung voranzubringen. Aber die sogenannten Mission Letters, in der die Kommissionspräsidentin die Aufgaben der einzelnen Kommissarinnen und Kommissare umreißt, zeigen: Auch von der Leyens Perspektive ist die eines Europas, dass in einer zunehmend unwirtlichen Welt mehr und mehr auf sich gestellt ist und sich deshalb entsprechend militärisch wappnen muss.

So lautet die einzige konkrete Vorgabe für den neuen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, binnen fünf Jahren eine Europäische Verteidigungsunion aufzubauen. Warum nicht die Vorgabe, gleichzeitig ein Konzept für ein Europa als internationale Friedensstifterin auszuarbeiten? Den Jobtitel des neuen „Heimatschutzkommissars“ Margaritis Schinas änderte von der Leyen nach Protesten zwar von „Schutz der europäischen Lebensweise“ in „Förderung“ derselben. Doch Schinas’ Aufgabenbeschreibung passt weiterhin besser zu einem „Kommissar für Abschottung mit allen Mitteln“. Kein Wort darin, dass Europa mit einer engagierten und zukunftsweisenden Friedens- und Entwicklungspolitik ja tatsächlich weltweit Werbung machen könnte für seine Prinzipien von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Und die neue Kommissarin für Internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, hat den unmissverständlichen Auftrag, Ländern die Entwicklungshilfe zu kürzen, wenn sie in der Migrationspolitik nicht nach den Regeln der EU spielen.

Ja, die Welt ist in mancher Hinsicht unsicherer und unberechenbarer geworden. Natürlich muss Europa sich darauf einstellen und seinen Interessen entsprechend handeln. Aber: Wer den Frieden will, muss sich auf den Frieden vorbereiten. Die Bundesregierung – mit oder ohne Annegret Kramp-Karrenbauer – sollte sich an diesen Satz aus der evangelischen Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007 erinnern, wenn sie im nächsten Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, statt sich nur auf den nächsten Krieg vorzubereiten und uns an Militäreinsätze gewöhnen zu wollen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2019: Armut: Es fehlt nicht nur am Geld
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