Die Vereinten Nationen sind in Geldnot – und zwar so schlimm, wie seit fast zehn Jahren nicht mehr, warnte UN-Generalsekretär António Guterres Anfang Oktober. Zum 10. Oktober hatten 62 der insgesamt 193 Mitgliedsstaaten, darunter der größte Beitragszahler USA, ihre Pflichtbeiträge noch nicht gezahlt. Ende September fehlten 30 Prozent der Beiträge zum Kernhaushalt, im Vorjahr seien es um die gleiche Zeit „nur“ 22 Prozent gewesen. Guterres warnte eindringlich: Wenn bis Ende Oktober nicht gezahlt werde, könnten die UN vielen Mitarbeitenden das Novembergehalt nicht überweisen. Nur weil man bereits seit Anfang des Jahres gespart habe, habe die große UN-Generalversammlung Ende September überhaupt stattfinden können.
Guterres weiß es selbst: Das Problem kommt alle Jahre wieder, auch wenn es diesmal schlimmer ist als in den vergangenen Jahren. Der Mitgliedsbeitrag jedes Landes wird nach einer komplexen Formel und Kriterien wie Bruttosozialprodukt und der Einwohnerzahl berechnet. Der Anteil allein der Vereinigten Staaten von Amerika am Kernbudget beträgt 22 Prozent. Mit diesem Budget werden hauptsächlich das Personal, aber auch Instandhaltungskosten für Gebäude, IT oder politische Missionen bezahlt. Für UN-Friedensmissionen wie die in Mali und im Südsudan gibt es einen eigenen Haushalt, dazu steuern die USA sogar 28 Prozent bei.
Chandramouli Ramanathan, Rechnungsprüfer der UN, hat vorgerechnet, dass die USA den Vereinten Nationen für dieses Jahr noch 674 Millionen US-Dollar an Mitgliedsbeiträgen schulden – und weitere 381 Millionen für die vergangenen Jahre. Bekanntlich hält US-Präsident Donald Trump nicht viel von der Weltorganisation; entsprechend trotzig war seine Reaktion auf Guterres‘ Zahlungsaufforderung: „Bring alle Mitglieder dazu zu zahlen, nicht nur die Vereinigten Staaten“, twitterte er.
Weniger heizen, kein kostenloses Wasser bei Konferenz mehr
Trump hält generell nicht viel von Entwicklungshilfe. Das zeigt sich daran, dass er zum Beispiel dem UN-Bevölkerungsfonds und der staatseigenen Hilfsorganisation USAID Gelder gekürzt oder gestrichen hat – unter anderem für Programme, die sich für reproduktive Gesundheit einsetzen. Im Zuge seiner rigiden Flüchtlingspolitik hat Trump außerdem im April dieses Jahres 450 Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfe in Honduras, Guatemala und El Salvador gestrichen.
Doch im Gegensatz zu solchen freiwilligen Zuschüssen sind die UN-Mitgliedsbeiträge für den Kernhaushalt und für Peacekeeping-Missionen Pflicht und können nicht einfach nach Belieben gezahlt werden. Kein Mitgliedsland kann erwarten, dass die Mitarbeiter der Vereinten Nationen und Peacekeeping-Soldaten auf den Krisenherden der Welt quasi als Feuerwehr eingesetzt werden und es hinnehmen, dass sie dafür zu spät oder nur widerwillig bezahlt werden.
Doch auch wenn die Mitgliedsländer selbstverständlich ihre Beiträge zahlen müssen: Die Weltorganisation sollte ihrerseits die Krise zum Anlass nehmen, schon lange diskutierte Reformen umzusetzen. Sie hat jetzt kurzfristig Sparmaßnahmen ergriffen; sie streicht nicht notwendige Flüge, kostenloses Wasser bei Konferenzen und spart bei der ständig laufenden Heizung oder den Klimaanlagen. Die Wasserfontäne vor dem UN-Gebäude in New York wurde abgestellt. Doch erforderlich sind tiefer gehende Reformen an den zersplitterten, aufgeblähten und teils ineffizienten Strukturen der Großorganisation.
Die Skandale liefern Populisten Argumente für ihre Abkehr von den UN
Vor allem aber dürfen die UN ihre Glaubwürdigkeit in der Weltgemeinschaft nicht verspielen. Zum Beispiel durch Skandale wie bei UNAIDS und unlängst beim Welternährungsprogramm (WFP). Mitarbeiterinnen wurden sexuell belästigt, Frauen und Minderheiten diskriminiert, Chefs nutzen ihre Autorität schamlos aus: Diese Vorwürfe kamen bei einer Befragung von UNAIDS-Mitarbeitenden Ende 2018 ans Licht und vor kurzem auch bei einer Umfrage unter 8000 Mitarbeitern des WFP.
Solches Verhalten ist an keinem Arbeitsplatz der Welt tolerierbar. Doch für so angesehene und wichtige Hilfsprogramme der Vereinten Nationen sind solche Zustände besonders fatal. Sie schaden dem Ansehen der ganzen Organisation und können zur Folge haben, dass die Unterstützung seitens der Mitgliedsstaaten oder der Wirtschaft schwindet. Die Vereinten Nationen sind nun mal kein Unternehmen, das sich für seine Projekte Geld bei der Bank leihen kann. Sie sind darauf angewiesen, dass die Mitglieder sie finanzieren. Die Skandale sind nicht der Grund dafür, dass einige dazu immer weniger bereit sind. Aber sie liefern Populisten wie Trump einen Vorwand, ihre Abkehr von den Idealen der UN vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. So leicht sollte die Weltorganisation es ihren Gegnern nicht machen.
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