Frühlingsgefühle in der Krisenregion

Horn von Afrika
Jahrzehntelang kamen vor allem schlechte Nachrichten vom Horn von Afrika:Hunger, Terror und Krieg. Bis in Äthiopien ein neuer Ministerpräsident das Ruder übernahm und im Sudan eine Protestbewegung den Diktator zu Fall brachte.

Mit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Abiy Ahmed in Äthiopien im April 2018 hat am Horn von Afrika eine neue Ära begonnen. Seitdem haben sich die Beziehungen des Landes zu seinen Nachbarn spürbar verbessert. Das gilt besonders für das Verhältnis zu Eritrea, das nach einem blutigen Grenzkrieg in den Jahren 1998 bis 2000, der Hunderttausende auf beiden Seiten das Leben kostete, sehr angespannt war. Abiy Ahmeds Einsatz für Frieden in der Region hat ihm den Friedensnobelpreis 2019 eingetragen.

Günstig auf die Lage am Horn wirkt sich auch aus, dass Eritrea bemüht ist, seine Differenzen mit Dschibuti beizulegen, und wieder diplomatische Beziehungen zu Somalia aufgenommen hat. Somalia, Eritrea und Äthiopien haben inzwischen ein Dreierforum gegründet, um in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig bauen die Länder am Horn von Afrika ihre Beziehungen zu den von Saudi-Arabien geführten Golfstaaten und zu Ägypten aus, was allerdings auf Kosten traditioneller Partner wie dem Iran und Katar geht.

Riad und Abu Dhabi haben eine führende Rolle bei der Annäherung zwischen Äthiopien und Eritrea gespielt. Abiy Ahmed und Präsident Isaias Afewerki von Eritrea wurden im September 2018 von König Salman in einer Zeremonie in Anwesenheit von UN-Generalsekretär António Guterres mit dem höchsten Orden Saudi-Arabiens ausgezeichnet.

Im Sudan hat die Absetzung von Omar al-Baschir, der das Land drei Jahrzehnte lang mit eiserner Faust regierte, den Weg für eine Erneuerung der Beziehungen zu Saudi-Arabien freigemacht. Ende Juli 2019 stützte Saudi-Arabien die Zentralbank des Sudans mit 250 Millionen US-Dollar. Wenige Wochen zuvor hatte der sudanesische Übergangsmilitärrat die in Katar beheimatete Nachrichtenorganisation Al Jazeera des Landes verwiesen. Man darf vermuten, dass dies einer Forderung Riads entsprach, erfolgte es doch kurz nach einem Staatsbesuch von General Abdel Fattah al-Burhan, derzeit de facto Staatsoberhaupt des Sudans, in Saudi-Arabien.

Zum Horn von Afrika, das den nordöstlichen Teil des afrikanischen Kontinents bildet, gehören die vier Länder Äthiopien, Eritrea, Dschibuti und Somalia; zuweilen werden noch der Sudan und Südsudan hinzugezählt (siehe Karte). Neben Muslimen und Christen gibt es auch viele Anhänger traditioneller Glaubensvorstellungen, und in Äthiopien leben auch Juden.

Mit mehr als 100 Millionen Einwohnern ist Äthiopien nicht nur das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der Region, sondern auch ihr größter Wirtschaftsfaktor. Besondere Bedeutung für die Stabilität kommt Äthiopien auch dadurch zu, dass es an alle Staaten der Region angrenzt. Die wirtschaftliche Misere und die mangelnde politische Mitbestimmung haben in Äthiopien zwischen 2015 und 2018 zu schweren Unruhen geführt. Tausende verloren dabei ihr Leben, Hunderttausende wurden zu Binnenflüchtlingen. Die Regierung rief in dieser Zeit zwei Mal den Notstand aus.

Anhaltende Proteste, die viele Menschenleben kosteten, zwangen den äthiopischen Ministerpräsidenten Hailemariam Desalegn im Februar 2018 nach sechs Jahren an der Macht zum Rücktritt. Die regierende Parteienkoalition Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) bestimmte Abiy Ahmed zu ihrem Vorsitzenden, der kurz darauf in einer Wahl das Amt des Ministerpräsidenten gewann.

Abiy Ahmed, Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlich-orthodoxen Mutter, ist gläubiger Protestant. Nach einer Karriere im Militär und in den Geheimdiensten wechselte der Oberstleutnant in die Politik. Zuvor hatte er Erfahrungen in Friedensmissionen gesammelt, darunter in den 1990er Jahren in Ruanda, und an der Universität von Addis Abeba mit einer Fallstudie über die Lösung interreligiöser Konflikte in seiner Heimatregion Oromo den Doktorgrad erworben. Er beherrscht fließend drei der wichtigsten Landessprachen. Außerdem bekleidete er das Amt des Wissenschaftsministers, bevor er Generalsekretär der Demokratischen Organisation des Oromovolkes (OPDO) wurde. Mit 43 Jahren ist er derzeit Afrikas jüngster Staatsführer.

Äthiopien: Einschneidende Reformen

Seit seinem Amtsantritt als Ministerpräsident im April 2018 hat Abiy Ahmed viel Lob für seine einschneidenden Reformen erhalten. Er ließ Tausende politische Gefangene frei, reichte Oppositionspolitikern im Exil die Hand, lockerte die restriktive Gesetzgebung des Landes und verbesserte die Beziehungen zum ehemaligen Gegner Eritrea.

Autor

Abel Abate Demissie

arbeitet als politischer Analyst in Addis Abeba, Äthiopien.
Nicht zuletzt hat er sich für die Gleichberechtigung der Frauen starkgemacht. Die Hälfte der Kabinettsposten, darunter so wichtige Ressorts wie die Ministerien für Verteidigung, Handel, Industrie und Transport, wurden mit Frauen besetzt. Dem neu geschaffenen Friedensministerium, dem die Geheimdienste, die Polizei und die Steuerfahndung unterstehen, steht mit Muferihat Kamil ebenfalls eine Frau vor. Kurz danach ernannte der Ministerpräsident die ehemaligen UN-Mitarbeiterinnen SahleWork Zewde und Meaza Ashenafi zur Präsidentin des Staats beziehungsweise Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs. Birtukan Mideksa, die als Oppositionsführerin im Gefängnis saß, wurde mit der Leitung der Wahlbehörde betraut.

Auch die Erfolge auf dem Feld der regionalen Diplomatie, insbesondere bei der Aussöhnung mit Eritrea, können sich sehen lassen. Der äthiopische Ministerpräsident engagierte sich im sudanesischen Mediationsprozess, der den dortigen Konflikt zwischen dem herrschenden militärischen Übergangsrat und der zivilen Opposition beilegte. Äthiopien hat große Interessen im Sudan. Es importiert ein Fünftel seines Treibstoffs aus dem Nachbarland, mit dem es eine 1600 Kilometer lange Grenze verbindet. Nur 40 Kilometer hinter dieser Grenze baut Äthiopien derzeit den größten Staudamm Afrikas. Äthiopien hat außerdem derzeit den Vorsitz der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) inne, einer Regionalorganisation von Staaten Nordostafrikas mit dem Ziel der Entwicklungsförderung. Demokratiefreundliche Kräfte im Sudan erhoffen sich von Äthiopien, dass es auch in ihrem Land einen friedlichen Übergang fördert.

Sudan: Präsident gestürzt

Auch für den Sudan verlief das Jahr 2019 sehr ereignisreich. Nach monatelangen friedlichen Protesten war Präsident Omar al-Baschir, der das Land fast 30 Jahre lang mit eiserner Faust regiert hatte, gestürzt worden. Gegen ihn steht immer noch ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Darfur-Konflikt aus. Im Jahr 2005 hatte al-Baschir den langjährigen Bürgerkrieg mit den Rebellen im Südsudan beendet und den Weg frei gemacht für die Unabhängigkeit des Landes. Dennoch war es in den vergangenen Jahren zu heftigen Protesten gegen seine undemokratische Amtsführung, Korruption, Vetternwirtschaft und die stark steigenden Lebensmittelpreise gekommen.

In den letzten Jahren seiner Amtszeit hatte al-Baschir die Beziehungen zu Äthiopien auf Kosten des Verhältnisses zu Ägypten ausgebaut. Der Sudan unterstützte Äthiopien in der Frage seines umstrittenen Staudammprojekts am Nil, dem längsten Fluss der Welt, der in den Hochebenen Äthiopiens entspringt und durch den Sudan nach Ägypten fließt. Er ist die wichtigste Süßwasserquelle Ägyptens, das seine Wasserversorgung durch das Großprojekt beeinträchtigt sieht.

Auch das Verhältnis des Sudans zu Eritrea ist seit einiger Zeit getrübt. Im Januar 2019 schloss der Sudan die Grenze zu seinem Nachbarn, nachdem die Regierung in den Grenzprovinzen Kassala und Nordkurdufan den Notstand ausgerufen hatte. Zeitweise drohte sogar Krieg zwischen den beiden Ländern, doch mittlerweile ist der Konflikt etwas abgeflaut, wenn auch die Grenze weiterhin geschlossen bleibt.

Im Jahr 1993 wurde Eritrea unabhängig von Äthiopien. Davor hatte die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF) zusammen mit der Volksbefreiungsfront von Tigray gemeinsam die von 1974 bis 1991 in Addis Abeba herrschende Militärregierung gestürzt. Während die äthiopische Regierung in der Folgezeit bemüht war, ihr Land aus der Armut zu führen, verfolgte das unabhängige Eritrea eine nationalistische und aggressive Politik.

Eritrea: Kriegerische Konflikte und Sanktionen

Seit der Unabhängigkeit hat die von der EPLF geführte Regierung Eritreas Konflikte mit sämtlichen Nachbarstaaten vom Zaun gebrochen. Eritrea führte Krieg mit dem Jemen (1995), dem Sudan (1996), Äthiopien (1998) und zuletzt mit Dschibuti (2008). Zudem wird Eritrea vorgeworfen, die islamistische Miliz Al-Shabaab in Somalia zu unterstützen. Die Vereinten Nationen verhängten deshalb 2009 ein Waffenembargo gegen das Land, froren Vermögenswerte ein und erließen Reisesperren.

Nicht nur die IGAD, sondern auch die Afrikanische Union, die dergleichen noch nie für einen ihrer Mitgliedsstaaten gefordert hatte, unterstützten diese Sanktionen. Eritrea hatte die IGAD bereits 2007 verlassen, weil sie eine äthiopische Intervention in Somalia gebilligt habe. Aus der Afrikanischen Union war Eritrea schon 2003 ausgetreten, da diese nach Ansicht des Landes nicht genug tat, um Äthiopien zur Einhaltung des Abkommens von Algier zu bewegen, das die Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Ländern lösen sollte. Inzwischen ist Eritrea wieder Mitglied beider Organisationen.

Kein Zweifel, Eritrea war seit seiner Unabhängigkeit ein Unruheherd in der Region. Allerdings kann man auch nicht übersehen, dass Äthiopien die IGAD sowie andere regionale und internationale Institutionen erfolgreich gegen Eritrea instrumentalisiert hat. Die Ausgrenzung und die Isolation Eritreas auf der internationalen Bühne gingen schließlich so weit, dass Experten Eritrea als „afrikanisches Nordkorea“ bezeichneten.

In jüngster Zeit verfolgt Eritrea eine Politik der Annäherung an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, um sich aus der Klammer des internationalen Drucks zu befreien und seiner Wirtschaft auf die Beine zu helfen. So hat das Land seine Häfen für die von den Saudis geführte Koalition gegen die jemenitischen Huthi-Rebellen geöffnet. Unbestätigten Berichten zufolge hat Eritrea den Hafen von Assab für 30 Jahre an die Vereinigten Arabischen Emirate verpachtet.

Den Golfstaaten geht es am Horn von Afrika hauptsächlich um kurzfristige diplomatische Gewinne, weniger um längere Kooperation. Das saudisch-emiratische Bündnis ist vor allem gegen den Iran gerichtet und versucht, den Einfluss der Türkei und Katars zurückzudrängen. Dennoch profitieren die Länder am Horn auch von dieser Beziehung. Eritrea und Somalia kassieren Millionen Dollar für die Verpachtung der Häfen von Assab und Berbera an die Vereinigten Arabischen Emirate, der Sudan und Somalia werden für ihre Unterstützung der Saudi-Koalition mit Finanzhilfen und Krediten belohnt. Der Ausbau eines islamischen Schulsystems, den die Saudis in verschiedenen Staaten in der Region betreiben, könnte in Zukunft aber nachteilige Folgen haben. Jedenfalls müssen die Länder am Horn von Afrika achtgeben, nicht zu reinen Satellitenstaaten der Mächte am Golf zu werden.

Stabilität am Horn von Afrika noch nicht in Sicht

Für die Stabilität am Horn von Afrika kommt es entscheidend auf die Entwicklungen in Äthiopien an, dem Machtzentrum der Region. Seit dem Amtsantritt von Abiy Ahmed macht das Land eine schwere Krise durch. Ethnisch und religiös motivierte Übergriffe sind an der Tagesordnung. Die Gewalt unter den Ethnien hat inzwischen drei Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht, 1,4 Millionen davon allein im Jahr 2018, ein weltweiter Rekord. Konflikte zwischen Volksgruppen und Streitigkeiten um regionale Gebietsgrenzen führen immer wieder zu blutigen Zusammenstößen.

Für die Bewohner Eritreas hat sich bislang wenig verbessert. Das Land bleibt ein Einparteienstaat, mit eiserner Faust regiert von Präsident Isaias Afewerki, dem Helden des Unabhängigkeitskriegs. Ob es jemals Wahlen geben wird oder wie lange die Amtszeit des Präsidenten noch währen soll, ist völlig offen. Der nie wirklich beendete Konflikt mit Äthiopien hält das Land im Zustand einer Dauermobilmachung. Die Jugend wird gezwungen, einen endlosen Militärdienst in Einrichtungen abzuleisten, die internationale Beobachter mit Sklavenlagern verglichen haben. Dies und die wirtschaftliche Misere treiben viele aus dem Land.

Eine friedliche Entwicklung am Horn von Afrika ist ohne eine aktive Rolle Somalias schwer vorstellbar. Doch die Regierung in Mogadischu ist schwach und wird von den stärker werdenden Provinzregierungen auf der einen Seite und der Dschihadistenmiliz Al-Shabaab auf der anderen Seite bedrängt. In weiten Teilen des Landes, selbst in der Hauptstadt Mogadischu, sorgt lediglich die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) für Ordnung – somalische Sicherheitskräfte spielen nur eine geringe Rolle. Die somalische Regierung müsste technisch und finanziell in die Lage versetzt werden, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Mit einer reinen Militärmission lassen sich die Probleme des Landes sicher nicht lösen. Es wird Zeit, alle politischen Kräfte an den Verhandlungstisch zu bringen – einschließlich der Al-Shabaab.

Viel ist am Horn von Afrika in Bewegung. Die Region besitzt großes Potenzial – inwieweit es genutzt werden kann, hängt vom klugen Handeln der Verantwortlichen ab. Die jüngsten Entwicklungen in Äthiopien und dem Sudan geben Anlass zur Hoffnung. Doch sie sind längst zu wenig gefestigt. Der Arabische Frühling hat auf bittere Weise vor Augen geführt, dass solche Veränderungen am Ende nicht immer in die erhoffte Richtung gehen.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.                     

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erschienen in Ausgabe 11 / 2019: Aufbruch am Horn von Afrika
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