Noch immer kriminalisieren 80 Staaten einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen. In fünf Ländern (Iran, Jemen, Mauretanien, Saudi-Arabien, Sudan) sowie in Teilen Nigerias und Somalias werden sie sogar mit dem Tode bestraft. Aber auch in Ländern ohne solch homophobe Strafgesetze wird Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender – zusammen bezeichnet als sexuelle Minderheiten oder mit dem Kürzel LSBT – ein menschenwürdiges Leben vorenthalten. Sie sind oft dem Hass paramilitärischer Gruppen oder Übergriffen der Staatsorgane ausgesetzt. Die Formen der Gewalt reichen von willkürlichen Verhaftungen, Schikanierung und Erpressung über Prügel und sexuelle Demütigungen bis hin zu Vergewaltigungen und brutalen Morden. Oft werden die Täter nicht strafrechtlich verfolgt.
Bei der Lage sexueller Minderheiten zeigen sich aber auffällige Unterschiede zwischen Regionen und Ländergruppen. So bilden die muslimischen Länder des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas einen aggressiv homophoben Block. In Lateinamerika gibt es fast keine Strafgesetze gegen homosexuelle Handlungen mehr, während sie in 36 der 52 Staaten Afrikas weiterhin verfolgt werden. Und in Asien ist die Situation von Land zu Land sehr unterschiedlich. Die Staaten, die früher zum britischen Kolonialreich gehörten, halten mehrheitlich am Strafrecht gegen homosexuelle Handlungen fest; von den früheren Kolonien und Mandatsgebieten Frankreichs haben einige wie Gabun, Madagaskar und Indochina solche Gesetze abgeschafft, andere wie der Libanon, Senegal oder Togo nicht.
Autor
Klaus Jetz
ist Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) und der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.Die meisten Länder, Regionen oder Städte, die homosexuelle Paare rechtlich anerkennen und gegenüber sexuellen Minderheiten aufgeschlossen sind, liegen in der nördlichen Hemisphäre. Aber auch in Europa ist es um die Menschenrechte von LSBT mancherorts noch schlecht bestellt. Gerade in Staaten des ehemaligen Ostblocks wurden in den vergangenen Jahren Demonstrationen zum Christopher Street Day (CSD) von rechtsradikalen Schlägertrupps angegriffen; in einigen Hauptstädten – darunter Warschau, Moskau, Riga und Chisinau (Moldawien) – wurden sie von den Behörden verboten. So etwas verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und ist mit der Mitgliedschaft in der EU und im Europarat unvereinbar. Doch die Behörden hoffen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung diese Verstöße gegen europäische Werte und demokratische Prinzipien wie Freiheit, Toleranz und Respekt für die Grundrechte gutheißt, da sie sich gegen eine vermeintlich kleine Minderheit richten. Mutige Menschenrechtsverteidiger machen aber mittlerweile auch zwischen Ostsee und Schwarzem Meer deutlich, dass sexuelle Selbstbestimmung kein Menschenrecht zweiter Klasse ist.
In Lateinamerika hat sich die rechtliche Lage für LSBT in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Der Kampf um die Verteidigung der Menschenrechte für Personen anderer sexueller Identität hat dort eine lange Tradition. Es gibt regionale und lokale Unterschiede, aber insgesamt haben Bewusstwerdung, Engagement und Kampfbereitschaft dazu geführt, dass immer mehr neue nichtstaatliche Organisationen entstehen, die sich vernetzen und auch über Landesgrenzen hinweg ihren Beitrag zur Verteidigung der Menschenrechte sexueller Minderheiten leisten. Es gibt in der Region kein spanischsprachiges Land mehr ohne Lesben-, Schwulen- oder Transgender-Gruppen.
In Mittelamerika gelten außer in Belize keine Strafgesetze mehr gegen einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen; als letzte Länder haben Nicaragua und Panama sie 2008 abgeschafft. In den nachkriegerischen und militarisierten Gesellschaften der Region leiden aber auch sexuelle Minderheiten unter der verbreiteten Gewalt. In Honduras wurde Anfang 2009 erneut eine Transgender-Aktivistin ermordet; dies war der bislang letzte in einer ganzen Serie von Mordfällen an honduranischen Transgender-Menschenrechtsverteidigern in den vergangenen Monaten.
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Auffällig ist, dass auch im zentralamerikanisch-karibischen Raum Homosexualität in den Staaten, die britische Kolonien waren, weiterhin strafrechtlich verfolgt wird – etwa auf Jamaika, Trinidad und Tobago, in Belize und Guyana. Besonders problematisch ist die Situation auf Jamaika, wo nicht nur die viktorianischen Strafgesetze aus der Kolonialzeit noch bestehen, sondern minderheitenfeindliche Hasstexte mehrerer Dancehall- oder Reggae-Interpreten eine von religiösem Fanatismus und hysterischer Schwulenhatz geprägte Atmosphäre zusätzlich anheizen. Immer wieder kommt es auf der Karibikinsel zu brutalen Übergriffen gegen (vermeintlich) schwule Männer und zu Morden an LSBT-Menschenrechtsverteidigern.
In Afrika ist Südafrika seit Jahren die Vorhut der Toleranz. Dort ist die sexuelle Orientierung sogar qua Verfassung geschützt und lesbische und schwule Paare haben die Möglichkeit der Eheschließung (was beides in Deutschland noch nicht der Fall ist). In den meisten Staaten Afrikas sind dagegen einvernehmliche homosexuelle Handlungen strafbar; nur in wenigen, etwa Madagaskar, der Zentralafrikanischen Republik und Gabun, ist das nicht der Fall. In den arabisch geprägten Ländern Nord- und Ostafrikas werden homosexuelle Handlungen mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet, in einigen ostafrikanischen Staaten wie Kenia, Uganda oder Tansania gar mit lebenslänglicher Haft.
Im südlichen Afrika kriminalisieren und verfolgen alle Staaten außer Südafrika die Homosexualität. Einige Staatspräsidenten haben sich dort in der Vergangenheit immer wieder mit homophoben Äußerungen hervorgetan, etwa Robert Mugabe in Simbabwe oder der frühere namibische Präsident Sam Nujoma. Ende März 2009 rief der sambische Vizepräsident George Kunda seine Landsleute auf, Schwule zu denunzieren und damit ins Gefängnis zu bringen. Sambia sei eine christliche Nation und Homosexualität nicht Teil der christlichen Norm. 2005 hat dort das Parlament ein Strafgesetz gegen Homosexualität verabschiedet, das LSBT mit Haftstrafen nicht unter 15 Jahren bedroht.
In Westafrika ist die Situation uneinheitlich: Die Elfenbeinküste kennt kein Strafgesetz gegen Homosexualität. In einigen anderen Staaten, die früher zum französischen Kolonialreich gehörten – wie Senegal, Guinea oder Togo –, und in den ehemaligen britischen Kolonien Ghana, Sierra Leone, Gambia und Nigeria sind dagegen Haftstrafen bis zu zehn Jahren möglich. Anfang 2009 wurden in der senegalesischen Hauptstadt Dakar neun Männer wegen Homosexualität zu jeweils achtjährigen Haftstrafen verurteilt. Dies sind die höchsten Strafen, die im Senegal jemals gegen Schwule verhängt worden sind. Der Richter begründete das Strafmaß mit dem „erschwerenden Umstand der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“; hierbei handelte es sich um eine Hilfsorganisation für aidskranke und HIV-infizierte schwule Männer. Das oberste Berufungsgericht hat die Männer im April 2009 freigesprochen.
Ein Sonderfall ist in mancher Hinsicht Nigeria, das seit 2007 aufgrund neuer Gesetzesinitiativen gegen Homosexualität für Schlagzeilen sorgt. Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr oder die Schließung einer Homo-Ehe im Ausland werden hier mit langjährigen Haftstrafen geahndet; im islamischen Norden des Landes, wo seit dem Jahr 2000 die Scharia gilt, können Homosexuelle gar mit dem Tode durch Steinigung bestraft werden. Die Regierung und der Gesetzgeber haben in den vergangenen Jahren immer wieder Schritte unternommen, um die Strafgesetze weiter zu verschärfen. Im März 2009 stand im Parlament ein Gesetzentwurf zur Abstimmung, der eine drastische Verschärfung der Verbote von Homosexualität und Homosexuellenorganisationen vorsieht. Danach soll auch eine Unterstützung von homosexuellen Aktivitäten mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Selbst die Forderung nach Entkriminalisierung und die Arbeit und das Engagement in entsprechenden Organisationen sollen künftig verfolgt werden.
Auch in Sierra Leone wird die gleichgeschlechtliche Liebe kriminalisiert. Von hier stammte die Menschenrechtsaktivistin Fannyann Eddy, eine der bedeutendsten Stimmen der Lesben und Schwulen aus dem globalen Süden. In ihrer von einem langjährigen Bürgerkrieg zerrütteten Heimat gründete sie 2002 die Sierra Leone Lesbian and Gay Association (SLLGA). Mit ihrem Mut und ihrem Einsatz wurde sie bald in ganz Afrika und weit darüber hinaus bekannt. Im April 2004 hielt Fannyann Eddy eine bewegende Rede vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf, in der sie Diskriminierung, Einschüchterung und Gewalt anprangerte. Im September 2004 wurde sie im Büro der SLLGA ermordet aufgefunden.
Schlecht ist die Lage sexueller Minderheiten in den sehr religiös geprägten Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens. Diese Staaten werden mit der Ausnahme Israels weder demokratisch noch rechtsstaatlich regiert, man muss aber zwischen eher säkularen und eher religiösen Regimes unterscheiden. Verfolgung findet hier wie dort statt, doch zu den schlimmsten Verfolgerstaaten gehören der Iran oder Saudi-Arabien, wo die strengen Strafgesetze auf dem islamischen Recht der Scharia beruhen. Zudem gibt es in der Region Länder, wo die staatliche Ordnung in Auflösung begriffen ist, etwa im Irak oder Palästina (Gaza); dort werden sexuelle Minderheiten von nichtstaatlichen Gruppen und Todesschwadronen verfolgt und ermordet.
In Asien hat sich die Lage sexueller Minderheiten in Indonesien, dem größten muslimischen Land der Welt, verschlimmert; dort verbreitet sich die Anwendung der Scharia auf lokaler Ebene. Weiter zählen Pakistan und Usbekistan zu schlimmen Verfolgerstaaten. Auch in Malaysia und Bangladesch stehen auf homosexuelle Handlungen lange Haftstrafen, und in Myanmar und Sri Lanka drohen dafür bis zu zehn Jahren Gefängnis. Dagegen hat Nepal Ende 2007 die Strafgesetze gegen Homosexualität abgeschafft, und die Philippinen, Süd- und Nordkorea, die Staaten Indochinas und Japan kennen keine solchen Strafgesetze. Gute Nachrichten gab es kürzlich aus Indien: Im Juli 2009 wurde das homophobe Strafrecht aus der Kolonialzeit aufgehoben. Die größte Demokratie der Welt mit über einer Milliarde Einwohnern wird künftig Homosexuelle wohl nicht mehr von Staats wegen verfolgen.
Homosexuellenrechte sind unveräußerliche Menschenrechte. Sie gehen uns alle an, denn die eine Person darf nicht mehr Menschenrechte oder größeren Schutz genießen als die andere. Die Frage, wie mit sexuellen Minderheiten umgegangen wird, ist immer ein Lackmustest für den Freiheits- und Reifegrad eines Gemeinwesens.