Jagt die Ausländer raus – das ist die Botschaft der Mobs, die Anfang September in Johannesburg kleine Geschäfte von Nigerianern, Maliern und Simbabwern plündern, Autos und Gebäude anzünden. Vom Geschäftszentrum breitet sich der Aufruhr in Vorstädte und in die Hauptstadt Pretoria aus. Scharfe Reaktionen kommen aus anderen Staaten Afrikas: Südafrikanische Supermärkte werden in Sambia und Malawi angegriffen, Nigeria bestellt Südafrikas Botschafter ein.
Doch Südafrikas Polizeiminister sagt, man habe es nicht mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, sondern schlicht mit Kriminalität. Wie er neigen viele im ANC dazu, Xenophobie wegzudiskutieren. Dabei hat es Gewaltausbrüche gegen Zugewanderte in Südafrika schon 2008 und 2015 gegeben und Fremdenfeindlichkeit ist weit verbreitet. So sahen 2017 in einer Umfrage 71 Prozent der Befragten Zugewanderte als eine Bedrohung – etwa weil sie Einheimische arbeitslos machten oder kriminell seien. 2018 gab fast ein Zehntel der Befragten zu, sich schon an solcher Gewalt gegen Migranten beteiligt zu haben; ein weiteres Zehntel sagte, sie könnten sich das vorstellen.
Jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos
Solche Ressentiments sind auch Ausdruck der desolaten wirtschaftlichen Lage. Nach Zahlen der Weltbank ist das Sozialprodukt pro Kopf in Südafrika seit 2014 nicht mehr gestiegen. Jeder Fünfte lebt von weniger als umgerechnet 1,90 US-Dollar am Tag, und wer arm geboren wird, hat kaum Chancen, der Armut zu entkommen. Mehr als jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos. So müssen sich viele mit niedrig bezahlten Jobs oder im informellen Sektor durchschlagen – genau wie die meisten der schätzungsweise vier Millionen Migranten. Die kommen überwiegend aus afrikanischen Ländern wie Mosambik oder dem krisengeschüttelten Simbabwe, die weit ärmer sind als Südafrika; viele haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Sie müssen für noch weniger Geld arbeiten als Einheimische – eine Konkurrenz der Ärmsten mit den Armen.
Die soziale Misere begünstigt auch Bandenkriminalität und organisiertes Verbrechen. Die Zahl der Morde hat in Südafrika seit 2011 um ein Drittel zugenommen, die Mordrate ist zwölfmal höher als im Durchschnitt Europas. Horrend ist auch die Rate der Vergewaltigungen und der Morde an Frauen. In Vorstädten und informellen Siedlungen leben viele in ständiger Angst vor Gewalt. Fremde bieten da eine willkommene Projektionsfläche.
Politiker bestärken Stimmungsmache gegen Ausländer
Das ist aber nicht die ganze Erklärung. Es hat auch politische Gründe, wenn sich Unmut auf Minderheiten richtet und wenn er in Gewalt ausartet. Einen hat Südafrika mit anderen Ländern gemein: Um Wählerstimmen zu fangen, nutzen und bestärken Politiker Stimmungen gegen Ausländer. So hat der ANC-Parlamentarier Bongani Bongo nach den jüngsten Ausschreitungen gesagt, die Bevölkerung werde der Regierung nicht verzeihen, wenn sie Geschäfte von Ausländern ohne Aufenthaltstitel weiter dulde.
Ein spezifisch südafrikanisches Problem ist aber, dass im ANC und im Staat die Günstlingswirtschaft vorgedrungen ist. Die Partei musste nach der Rückkehr aus dem Exil 1990 in kürzester Zeit neu aufgebaut werden; lokale Eliten schlossen sich samt der Klientel an, die sie als Handlanger der Apartheid-Verwaltung oder kleine Unternehmer aufgebaut hatten. Dann blieb nach 1994 ein Umbau der von Weißen dominierten Wirtschaft weitgehend aus; Beziehungen im ANC wurden zu einem Hauptweg für aufstrebende Schwarze, Staatsaufträge, Stellen in Staatsunternehmen oder Geld für die eigene Kommune zu ergattern. Daran knüpfte Präsident Jacob Zuma an, der ab 2009 den Staat zum Selbstbedienungsladen für sich, seine Fraktion im ANC und seine Geschäftspartner machte.
Aufklärungsprogramm gegen Hassverbrechen
Das hat nicht nur die Wirtschaftskrise verschärft, sondern auch die Funktion staatlicher Institutionen und das Vertrauen in sie untergraben; auch deshalb grassieren Verbrechen. Die Justiz ist geschwächt infolge von Zumas Bestrebungen, Untersuchungen gegen ihn selbst zu sabotieren. Die Hälfte der Südafrikaner hält laut einer Umfrage alle oder fast alle Polizisten für korrupt. Lokale Gruppen, die Selbstjustiz üben und staatliche Aufgaben übernehmen, haben vielerorts freie Hand. Laut einer Untersuchung nach den Ausschreitungen von 2015 haben lokale Amtsträger oder Politiker gewaltsame Proteste sogar mit organisiert: Die verliehen ihrem Ruf nach Geld vom Staat mehr Gewicht, ihren Gefolgsleuten aber Gewinn aus der Plünderung.
Immerhin: Cyril Ramaphosa hat Anfang 2018 Jacob Zuma als Präsident und ANC-Chef abgelöst und der ANC hat ein Aufklärungsprogramm gegen Hassverbrechen aufgelegt. Beim Polizeiminister hat es aber noch nicht gewirkt. Ramaphosa ist auf alte Seilschaften im ANC weiter angewiesen. Ob er sie schrittweise zurückdrängen kann, ist nicht ausgemacht.
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