Peter Ogik setzt sich für Menschen ein, die wie er selbst von Albinismus betroffen sind.
Man hat mir schon viel Geld für die Nägel und das Haar meiner Tochter angeboten, aber lieber lebe ich in Armut, als sie zu verkaufen“, sagt Sarah Funga und legt den Arm fest um Nabirye, die in einen körperlangen Schal gehüllt ist. Ein Strohhut spendet ihrem Gesicht Schatten, ihre nackten Fußgelenke aber sind von der Sonne rot gefleckt. Die Falten an ihrem Hals sehen aus wie die einer 90-Jährigen. Dabei ist Nabirye eine junge Frau. Sie blinzelt in die Sonne, die auf ihre kreideweiße Haut eine fatale Wirkung hat.
In dem Viertel am Rand der Stadt Jinja im Südosten Ugandas ist Nabirye die Einzige mit Albinismus, einer relativ seltenen genetischen Veranlagung, die mit einem Mangel des Pigments Melanin einhergeht, das Augen, Haar und Haut Farbe gibt. Niemand weiß genau, wie viele Menschen weltweit mit Albinismus geboren werden, aber laut Statistiken ist in den USA und Europa etwa einer von 20.000 Menschen betroffen. In Subsahara-Afrika ist Albinismus deutlich häufiger. So ist in Tansania einer von 1400 betroffen, in Uganda etwa einer von 4000.
Genau weiß Nabirye nicht, wie alt sie ist, aber ihre Mutter erinnert sich an die Geburt ihrer Tochter vor rund 25 Jahren. „Ich war geschockt, als ich sie zum ersten Mal sah. Zum Glück war mein Mann eine große Stütze. Ein Verwandter von ihm war auch Albino, und als er unsere Tochter sah, sagte er, sie sei ein Geschenk Gottes. Ich habe beschlossen, das auch so zu sehen“, erzählt Sarah. Viele Nachbarn und Freunde des Paares dachten anders über deren Neugeborenes. „Manche meinten, ich hätte einen Geist zur Welt gebracht. Andere dachten, sie hätte magische Kräfte. Ständig will jemand die Nägel und das Haar meiner Tochter haben. Als Mutter habe ich immer Angst, dass jemand ihr Schaden zufügt“, berichtet Sarah.
Starker Aberglaube und Stigmatisierung in der Gesellschaft verfolgen Nabirye ihr Leben lang. „Seit meiner Kindheit schikanieren mich Kinder und Erwachsene. Einmal hatte ich eine sehr enge Freundin, bis ich herausfand, dass sie es nur auf meine Haare abgesehen hatte. Ob Freunde oder Familie – ich kann niemandem trauen“, beschreibt sie ihr Gefühl.
Wunderheiler in Uganda und vielen anderen Ländern in Subsahara-Afrika benutzen Körperteile und Organe von Albinos für ihre schwarze Kunst. Vertuschung, Korruption und Aberglaube machen es schwierig, genau zu beziffern, wie viele Menschen wegen ihres Albinismus Opfer von Angriffen werden. Die meisten Fälle werden in Tansania und Malawi verzeichnet. UN-Schätzungen zufolge wurden in Tansania zwischen 2000 und 2016 mindestens 75 Menschen wegen ihres Albinismus getötet. In den vergangenen zehn Jahren seien über 600 Menschen aus 28 afrikanischen Ländern entweder getötet oder körperlich oder psychologisch verletzt worden. Die Körperteile eines Menschen mit Albinismus verkaufen sich für bis zu 75.000 Dollar, heißt es aus verschiedenen Quellen, darunter der BBC-Bericht „Der stille Mörder der afrikanischen Albinos“.
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An einem ruhigen Nachmittag im Dorf Musitab, 30 Kilometer von Jinja entfernt. Auf dem Boden im Wohnzimmer eines der Häuser sitzt die 40-jährige Mary Kyaterkera mit dreien ihrer Kinder. Die sechsjährige Hope liegt auf dem Bauch und spielt zusammen mit ihren jüngeren Geschwistern auf einem Handy. Die drei bringen der Familie viel Freude, aber auch große Sorge.
Die Nachbarn helfen, die Kinder zu beschützen
„Als Grace auf die Welt kam, war ich geschockt und erschrocken. Ich hatte keine Ahnung, was Albinismus ist, und selbst die Ärzte konnten mir nicht sagen, was mit ihr nicht stimmte. Erst drei Jahre später, als ich eine Frau mit der gleichen Veranlagung kennenlernte, wurde mir klar, warum Grace weiß war“, erzählt Mary. Nach Grace bekam sie ihren jetzt dreijährigen Sohn Samson und später Steven, der eineinhalb ist. Auch sie haben Albinismus. Mary versucht, ihren Kindern eine normale Kindheit zu geben, aber das ist schwierig. „Jemand hat mir erzählt, dass eine Gruppe von Männern hinter meinen Kindern her war. Sie haben Hope auf dem Weg in die Schule ihre Haare abgeschnitten. Zum Glück habe ich gute Nachbarn, die mir helfen, meine Kinder zu beschützen“, erzählt Mary. Die Angst, dass jemand ihren Kindern schaden könnte, ist nicht die einzige Sorge, die die Mutter umtreibt. Seit einiger Zeit leidet der kleine Samson an offenen Stellen im Gesicht – von der Sonne. „Ich creme meine Kinder jeden Tag mit Sonnenschutz ein, aber es hilft nicht. Die Sonne ist zu stark und ihre Haut zu empfindlich. Und es sind Kinder. Ich kann sie nicht zwingen, den ganzen Tag drinnen zu bleiben.“
Weil ihnen das Pigment Melanin fehlt, das die Haut schützt, ist „Hautkrebs für diese Menschen die größte Bedrohung. Rund 95 Prozent derer, die in Afrika mit Albinismus leben, sterben an Hautkrebs, bevor sie 40 Jahre alt werden“, berichtet Peter Ogik, Leiter der Organisation „Nilquellenvereinigung der Menschen mit Albinismus“ (Source of the Nile Union of Persons with Albinism bzw. SNUPA). Seine Organisation bietet Betroffenen freien Zugang zu Sonnenschutzmitteln, die die meisten sich selbst nicht leisten können. In Uganda kostet eine kleine Tube Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 umgerechnet rund 13,50 Euro. Das ist zehn Mal so viel wie der durchschnittliche Tagesverdienst in vielen Regionen des Landes, darunter auch Busoga, wo Ogik und seine Kollegen arbeiten. „Seit September 2018 sind fünf meiner Freunde an Hautkrebs gestorben, und ich kenne zehn, die sich in sehr kritischem Zustand befinden. Die größte Herausforderung für uns ist, dass wir nicht die Mittel haben, die bereits Erkrankten zu behandeln“, erklärt Ogik.
Ogik kam selbst mit Albinismus auf die Welt. In seiner Kindheit auf einer Insel im Viktoriasee hatte er es daher sehr schwer. „Seit meiner Geburt bekam meine Familie zu hören, ich sei verflucht. Ich wurde schikaniert, aus der Schule geworfen und mehrere Male hat jemand versucht, mich zu entführen”, erinnert sich Ogik.
Auch er fand in seiner Familie den nötigen Halt, und heute widmet er sein Leben der Aufklärung. Der Aktivist reist durchs ganze Land und informiert die Menschen in den Dörfern über Albinismus. Zudem arbeitet seine Organisation mit Behörden und Gesundheitszentren zusammen, um Betroffene zu erreichen. „Meine Kindheit war mehr als schwierig, aber dank meiner Eltern habe ich heute den Mut, dazu zu stehen, wer ich bin. Menschen mit Albinismus haben auf dem Weg durchs Leben mit vielen Problemen zu kämpfen. Ihre Stimme wird normalerweise nicht gehört. Ich bin stolz, ihnen eine Stimme zu geben”, erklärt er.
Trotz der vielen Schwierigkeiten gibt es auch erfreuliche Entwicklungen. In mehreren afrikanischen Ländern tun Behörden und internationale Organisationen etwas gegen die Stigmatisierung der Betroffenen. In Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen verteilt etwa die Organisation „Unter derselben Sonne“ (Under The Same Sun oder UTSS) in Schulen in ganz Tansania Infomaterial. In Tansania stellt zudem die Polizei Mittel bereit, um die Zahl der Angriffe gegen Betroffene zu reduzieren. Nach Angaben der Nachrichten-Webseite www.africanews.com hatte sich die Zahl der Tötungen in Verbindung mit Albinismus im Jahr 2015 im Vergleich zu 2008 halbiert. Um Angriffen und Entführungen vorzubeugen, hat Tansania zudem bestimmte Auflagen bei der Registrierung traditioneller Heilerinnen und Heiler eingeführt.
Der erste Albino-Schönheitswettbewerb
In Malawi gibt es laut dem UN-Magazin „Africa Renewal“ seit 2015 einen landesweiten Aktionsplan und mittlerweile auch einen Rechtsberater, der gegebenenfalls Ermittlungen unterstützt. Ein weiterer großer Schritt vorwärts war die Schaffung einer regionalen Plattform über nationale Grenzen hinweg. Der regionale Aktionsplan zu Albinismus in Afrika konzentriert sich auf Prävention, Schutz, Gleichberechtigung und Kampf gegen Diskriminierung. Ziel des von Menschenrechtsexperten der UN und der Afrikanischen Union entwickelten Fünf-Jahres-Plans ist die Verbesserung der Lebensqualität für Menschen mit Albinismus.
Auch in Uganda gibt es Fortschritte: Vor kurzem schaffte das Land die Steuern auf Sonnenschutzmittel ab, so dass sich mehr Menschen die Mittel leisten können. Im vergangenen Jahr fand auch der erste Albino-Schönheitswettbewerb in Uganda statt. 22 Bewerberinnen und Bewerber traten an, um weiterzukommen und einige Wochen später an der Folgeveranstaltung in der kenianischen Hauptstadt Nairobi teilzunehmen, wo auch schon 2016 der erste Albino-Schönheitswettbewerb weltweit veranstaltet wurde.
„Viele Jahre des Aktivismus und die Berichterstattung in den Medien haben das Bewusstsein und die Einstellung der Menschen verändert. Früher wurden Kinder mit Albinismus häufig von ihren Eltern verlassen. Heute kenne ich junge Paare, die sagen, sie würden gern ein Kind mit Albinismus haben. Diese Art von Akzeptanz ist wichtig. Erst wenn Menschen mit Albinismus in ihren eigenen Gemeinschaften akzeptiert werden, können wir einen echten Wandel erreichen“, erklärt Ogik.
Vor Sarah und Nabiryes Haus in Jinja liegt eine große Jackfrucht auf einem Tisch. Nabirye konnte nicht weiter zur Schule gehen, als ihr Vater vor vielen Jahren starb und ihre Mutter die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste. Heute ist Sarah zu alt, um zu arbeiten. Nabirye sorgt mit ihrem kleinen Einkommen als Obstverkäuferin für die Familie. Und trotz ihres Lebens in Armut blicken die beiden hoffnungsvoll in die Zukunft.
Als Kind war Nabirye Opfer von Schikane, aber heute ist sie eine Frau, vor der die Leute Respekt haben. „Ich musste lernen, mich durchzusetzen und stark zu sein. Heute gibt es viele, die Angst vor mir haben“, erzählt sie. Diese Stärke will sie an ihre zehnjährige Tochter weitergeben. Nabiryes Albinismus hat das Mädchen nicht geerbt, aber auch sie kämpft mit den vielen existierenden Vorurteilen. Die große Liebe und Unterstützung ihrer Mutter hat Nabirye ihr Leben lang geholfen. Für Sarah war das selbstverständlich: „In der ugandischen Mythologie wird von Frauen erzählt, die eine Schlange gebären oder einen See. Was immer man zur Welt bringt, die Pflicht einer Mutter ist es, für ihre Kinder zu sorgen. Ich habe Nabirye immer als die einzigartige Person geliebt, die sie ist.“
Aus dem Englischen von Carola Torti.
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