Das schwächste Glied in der Blockchain

Konfliktrohstoffe
Immer wenn es darum geht, Betrug, Diebstahl und Korruption zu verhindern, wird neuerdings die Blockchain angepriesen – jetzt auch, um den Handel mit Rohstoffen aus Konfliktgebieten zu kontrollieren. Das Beispiel zeigt aber, dass die Technologie nur unter einer Voraussetzung nützlich ist, die sie selbst nicht schaffen kann.

Scheinbar gibt es kein Problem, das sich nicht mit Blockchain lösen ließe: Unternehmen und Behörden sollen mit Hilfe der Technologie transparenter und effizienter werden. Im Warenhandel, bei dem oft viele Parteien involviert sind und Waren mehrfach verkauft werden, wird die Technologie gefeiert, weil mit ihr Transaktionskosten gesenkt werden könnten. In der Verwaltung von Grund und Boden soll Blockchain Betrug und Doppelbesitz verhindern. Und jetzt heißt es, die Technologie könne der Verbreitung von Konfliktmineralien einen Riegel vorschieben.

Blockchain arbeitet mit einer sogenannten verteilten Buchführung (distributed ledger): Informationen werden nicht nur von einem, sondern von mehreren Benutzern verwaltet. Keiner kann einen Datensatz ändern oder löschen, ohne dass eine Akte mit der vorherigen Version der Daten in der Datenbank gespeichert wird. So entstehen dauerhafte und sichere Aufzeichnungen, die nicht manipuliert werden können.

Edelmetalle füllen die Kriegskasse

Betrügern macht die Technologie das Leben schwer – das erklärt ihr Potenzial, die Herkunft von Rohstoffen aus Konfliktgebieten zu identifizieren. Mit diesem Thema kämpft die internationale Gemeinschaft seit mehr als zwei Jahrzehnten. Konfliktmineralien sind Rohstoffe, die von Rebellen verkauft werden, um ihre Kriegskasse zu füllen. Dazu zählen Diamanten sowie Zinn, Tantal, Wolfram und Gold. Diese Mineralien kommen unter anderem aus der Demokratischen Republik Kongo und den angrenzenden Nachbarstaaten. 

Der Handel mit Rohdiamanten wurde durch den im Jahr 2000 gestarteten Kimberley-Prozess relativ erfolgreich reguliert. Doch im Gegensatz zur übersichtlichen Diamantenindustrie ist die Förderung und Verarbeitung der anderen Mineralien fragmentiert und schlecht organisiert. Der Großteil der daran beteiligen Unternehmen ist in der Öffentlichkeit relativ unbekannt. Außerdem wird die Industrie vor allem von den Käufern und nicht von den Produzenten gelenkt – all das macht die Rückverfolgbarkeit und Kontrolle dieser Konfliktmineralien viel schwieriger.

Weltweit nur 450 Schmelzhütten 

Zinn, Tantal, Wolfram und Gold werden in mehreren Tausend Minen aus der Erde geholt und von Zehntausenden weiterverarbeitenden Unternehmen aufgekauft. Gleichzeitig gibt es weltweit nur etwa 450 Schmelzhütten. Hier setzt das 2008 ins Leben gerufene Responsible Minerals Assurance Program (RMAP) an: Um sicherzustellen, dass Mineralien konfliktfrei sind, werden im Rahmen dieses Programms Schmelz- und Raffinerieanlagen überprüft. Das Programm ist aus dem 2006 ins Leben gerufenen Conflict Free Smelter Program hervorgegangen. Ähnlich soll die Zinn-Lieferketten-Initiative (Tin Supply Chain Initiative) der Zinnindustrie sicherstellen, dass kongolesisches Zinn nicht aus Konfliktgebieten kommt.  

Autor

Fritz Brugger

lehrt Entwicklungspolitik an der ETH Zürich. Davor war er viele Jahre als Berater in der Entwicklungs­zusammenarbeit tätig.
Im Jahr 2010 haben die USA mit dem Dodd-Frank Act ein Gesetz verabschiedet, das unter anderem den Umgang mit Konfliktmineralien regelt. Es verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten. Die Gesetzgeber haben sich an den 2011 verabschiedeten OECD-Richtlinien zum Kauf von Mineralien aus Konflikt- und Krisengebieten orientiert. Seit Donald Trump den Dodd-Frank Act faktisch ausgehebelt hat, ist die OECD-Richtlinie die wichtigste internationale Initiative zu Konfliktmineralien.

Kann Blockhain helfen, die Herkunft von Konfliktmineralien zu klären? Tatsächlich kommt die Technologie in ersten Projekten zum Einsatz. Der Bergbaukonzern Anglo American will die Herkunft von Edelsteinen mit Hilfe von Blockchain nachverfolgen; andere planen die Technologie zu verwenden, um Gold aus kleinen Minen nachzuspüren. Ruanda hat 2018 in drei Minen ein Blockchain-basiertes System zur Nachverfolgung von Tantal installiert. Das Land ist der weltweit größte Anbieter des Metalls. Die Regierung will Vorwürfe widerlegen, dass ruandisches Tantal mit geschmuggelten Konfliktmineralien aus dem Kongo vermischt wird.

Rückverfolgung bis zum Ursprungsbergwerk

Das vom britischen Startup Circulor entwickelte System funktioniert so: Jeder, der eine Mine betritt oder einen Sack Erz verkauft, wird fotografiert und muss seinen Personalausweis scannen lassen. Das Foto muss mit dem im System zur Gesichtserkennung hinterlegten Bild übereinstimmen. Anschließend werden die Erzsäcke mit einem QR-Code oder Chip versehen und zusammen mit den GPS-Koordinaten gescannt.

Bei jedem weiteren Halt entlang der Lieferkette wird der Code erneut gescannt; so können die Mineralien bis zu ihrem Ursprungsort zurückverfolgt werden. Während die Mineralien auf der Reise sind, können die Logistiksysteme von Zwischenhändlern den in der Blockchain gespeicherten Herkunftsort nachvollziehen. Da niemand ohne die Zustimmung aller anderen Nutzer an den Daten etwas ändern kann, lässt sich das Tantal bis zu dem Ursprungsbergwerk zurückverfolgen. 

Blockchain schafft kein Vertrauen

Das klingt großartig. Aber das System birgt einige Probleme – und die drehen sich um die Frage des Vertrauens: Das Tantal lässt sich mit Hilfe der Blockchain nur dann sicher identifizieren, wenn man allen Beteiligten vertrauen kann, dass sie die ihnen zugewiesenen Rollen spielen. Die Achillesferse des Verfahrens ist der Moment, in dem das Erz erstmals registriert und in den „geschützten“ Raum der Blockchain übergeben wird. 

Durch die Gesichtserkennung weiß man nur, wer die Mineralien auf die Reise schickt – nicht jedoch, ob sie tatsächlich aus legitimen Quellen stammen. Die Händler, die das Tantal registrieren und verkaufen, können gegen ein Bestechungsgeld eine Lieferung aus einer von bewaffneten Gruppen kontrollierten Mine als korrekt klassifizieren. 

Blockchain schafft leider kein Vertrauen. Das ganze System hängt davon ab, dass man den Menschen am Anfang der Kette vertrauen kann. Weder die Gesichtserkennung noch die GPS-Aufzeichnung kann garantiert, woher der Verkäufer das Tantal hat. Die Technologie kann nicht feststellen, ob als konfliktfrei gekennzeichnete Mineralien wirklich aus einer zertifizierten Mine stammen – oder ob sie mit Erz aus anderen illegalen Minen vermischt wurden. Die gegenseitige Kontrolle der Blockchain-Nutzer greift erst, wenn die Mineralien bereits im System sind – aber bei Konfliktmineralien liegt der Knackpunkt woanders. 

Keine Vorteile gegenüber bestehenden Verfahren

Gegenüber bestehenden Verfahren zur Rückverfolgung von Konfliktmineralien bringt Blockchain keinen Vorteil. Sie alle beruhen darauf, dass der Verkäufer im ersten Schritt das korrekte Etikett anbringt – erst auf dieser Grundlage lässt sich die Reise der Mineralien mit Hilfe von Datenbanken verfolgen. 

Es gibt andere Ansätze, durch die sich die Herkunft von Tantal genauer bestimmen lässt: Beispielsweise kann das Metall auf molekularer Ebene markiert werden, oder es wird ein sogenannter analytischer Fingerabdruck genommen. Diese Technologien funktionieren jedoch nicht bei allen Mineralien – und sie sind teurer. 

Heute wird Blockchain als Wundertechnologie gefeiert und mit Erwartungen überfrachtet. Wer auf den Zug aufspringt, generiert Aufmerksamkeit und Gelder. Blockchain mag in vielen Bereichen helfen. Aber mit der Technologie lassen sich nicht alle Probleme aus der Welt schaffen.

Aus dem Englischen von Moritz Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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