Jimmy Morales, der Präsident von Guatemala und ein bekennender Evangelikaler, nimmt im Februar 2018 in Washington am National Prayer Breakfast teil. Am Rande dankt ihm Präsident Donald Trump dafür, dass er die umstrittene Entscheidung des Weißen Hauses zur Verlegung der amerikanischen Botschaft in Israel nach Jerusalem unterstützt. Morales ist der erste Staatsführer, der diesen Schritt begrüßt – und er ist dafür mit viel mehr belohnt worden als bloß mit einem Foto, das ihn beim Handschlag mit dem amerikanischen Präsidenten zeigt. In den vergangenen zwei Jahren haben Vertreter der Regierung Trump eifrig daran gearbeitet, die hoch angesehene UN-Kommission zur Korruptionsbekämpfung in Guatemala zu Fall zu bringen, die Vorwürfen nachgeht, Morales habe illegale Wahlkampfhilfe erhalten und sein Bruder und sein Sohn seien korrupt.
Als Morales Anfang Januar 2019 ankündigte, das Mandat der UN-Kommission zu beenden, und den Ermittlern 24 Stunden Zeit gab, ihr Büro zu räumen, beschränkte sich die Reaktion der USA auf die nichtssagende Erklärung ihrer Botschaft, die Korruption in Guatemala biete Anlass zur Sorge. Die UN-Kommission wurde nicht einmal erwähnt. Das Verfassungsgericht hob die Ausweisung der Kommission allerdings auf und wies die Regierung an, deren Arbeit nicht weiter zu behindern.
Mehr als ein Jahrzehnt waren sich amerikanische Präsidenten und Politiker beider Parteien darin einig, dass die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit, die Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala oder CICIG, hervorragende Arbeit dabei leiste, mit dem Erbe der Korruption in Zentralamerika aufzuräumen. Guatemalas konservativer Präsident hat diesen politischen Konsens erfolgreich erschüttert. Dazu ist er ein Bündnis mit US-amerikanischen Konservativen eingegangen, zu denen außer Trump auch Vizepräsident Mike Pence, die inzwischen nicht mehr amtierende UN-Botschafterin Nikki Haley, Senator Marco Rubio, evangelikale Christen sowie konservative Denkfabriken und Experten gehören. Sie alle eint eine kritische Haltung gegenüber den Vereinten Nationen (UN) und die Überzeugung, den USA wohlgesonnene souveräne Staaten sollten nach Belieben schalten und walten können.
Die Abkehr der USA von der Guatemala-Kommission ist nur das jüngste Beispiel für ihre generell ablehnende Haltung gegenüber internationalen Institutionen, die sich rund um den Globus für mehr Gerechtigkeit engagieren. Die UN-Kommission war 2006 ins Leben gerufen worden, um Guatemalas Generalstaatsanwaltschaft und der Polizei bei der Untersuchung von Korruption und bei der Verfolgung des organisierten Verbrechens zu helfen, das für einen starken Anstieg von Mordtaten in Guatemala verantwortlich ist. Die Kommission konnte tiefgreifende Reformen im Justizwesen Guatemalas anstoßen, die schlagartig zu einem Rückgang der Morde geführt haben, wie Renard Sexton von der Princeton University in einer Untersuchung für die CICIG festgestellt hat. „Es ist unbestreitbar, dass die CICIG die Mordrate in Guatemala gesenkt hat“, sagt Sexton.
Die Kommission steht unter der Leitung des kolumbianischen Staatsanwalts Iván Velásquez, der als unerschrockener Kämpfer gegen das Verbrechen in Guatemala hohe Popularität genießt. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 haben 71 Prozent der Guatemalteken Vertrauen zur UN-Kommission, ein Wert, den keine andere Institution des Landes erreicht.
Die Kommission hat die guatemaltekischen Strafverfolgungsbehörden in der Anwendung moderner Abhörtechniken geschult und Fälle bis in die Spitzen der Regierung verfolgt. Im Jahr 2015 haben Staatsanwälte Guatemalas in enger Zusammenarbeit mit der Kommission dem damaligen Präsidenten Otto Pérez Molina und seiner Vizepräsidentin Roxana Baldetti die Verwicklung in einen Bestechungsfall nachgewiesen. Pérez Molina musste im September 2015 zurücktreten, Baldetti wurde im Oktober 2018 wegen Korruption zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
"Bedrohung für die Staatssicherheit"
Der Sturz von Pérez Molina machte den Weg frei für die Präsidentschaft von Morales, der mit dem Slogan „ni corrupto ni ladrón“ – weder korrupt noch ein Dieb – antrat. Doch es dauerte nicht lange, und Velásquez war dem neuen Präsidenten ein Dorn im Auge, begann seine Kommission doch, illegalen Wahlkampfspenden während der Wahlen 2015 sowie Betrugsvorwürfen gegen seinen älteren Bruder, Samuel Morales, und einen seiner Söhne, José Manuel Morales, nachzugehen. Unter anderem soll die Mutter der damaligen Gefährtin von José Manuel Morales Rechnungen an Bundesbehörden über nie geliefertes Essen im Wert von 12.000 Dollar ausgestellt haben. Guatemalas Botschafter in den Vereinigten Staaten, Manuel Alfredo Espina Pinto, hat auf Bitten um einen Kommentar hierzu nicht reagiert.
Ende August 2018 bemühte sich Morales, die Arbeit der Kommission mit dem Ende ihres Mandats 2019 auslaufen zu lassen. Vor Dutzenden Armee- und Polizeioffizieren bezeichnete Morales im Nationalpalast die Kommission als Bedrohung für die Staatssicherheit. Unterdessen schickte das guatemaltekische Militär von den USA gelieferte Jeeps zum Hauptquartier der CICIG. Am nächsten Tag, am 1. September, meldete sich der amerikanische Außenminister Mike Pompeo überraschend per Twitter zum Thema Guatemala. Ohne mit einem Wort auf die guatemaltekische Machtdemonstration gegen die Kommission einzugehen, lobte Pompeo die Beziehungen zwischen den USA und Guatemala. „Wir schätzen die Bemühungen Guatemalas bei der Drogenbekämpfung und in Sicherheitsbelangen sehr“, schrieb er.
Seit der Wahl von Donald Trump hat Morales, ein ehemaliger TV-Komiker, Guatemala immer stärker am Kurs des Weißen Hauses ausgerichtet. So unterstützte er umgehend die Entscheidung der USA, den venezolanischen Oppositionsführer Juan Guaidó als den einzigen legitimen Präsidenten des Landes anzuerkennen, und widersetzt sich dem Druck Pekings, die diplomatischen Beziehungen Guatemalas zu Taiwan abzubrechen. Am meisten machte er aber von sich reden, als er als erster Staatsführer der Welt nach dem Vorbild von Trump die Botschaft seines Landes in Israel nach Jerusalem verlegte.
Rückendeckung aus den USA
Für seine Versuche, die Kommission auszubremsen, die ihn persönlich ins Visier genommen hat, bekam er politische Rückendeckung vom amerikanischen Kongress, führenden Köpfen des amerikanischen Außenministeriums und vom Weißen Haus. Im März 2018 unternahm Nikki Haley, damals noch US-Botschafterin bei den UN, eine Rundreise durch befreundete zentralamerikanische Nationen, die in der Frage einer UN-Resolution zur Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels an der Seite der USA standen. Dies führte sie auch nach Guatemala City. Haley zufolge sollte der Besuch den Kampf gegen Korruption, Menschenhandel und Drogenschmuggel stärken. Vor der Öffentlichkeit betonte sie, die USA stünden hinter der UN-Kommission und empfahl Morales im direkten Gespräch, Kooperation sei „in seinem besten Interesse“.
Autor
Colum Lynch
ist Senior Diplomatic Reporter bei „Foreign Policy“. Dort ist sein Artikel zuerst erschienen.„Haley verlangte ein Ende solcher Pressekonferenzen über brisante Fälle, da dies das Prinzip der Unschuldsvermutung verletze“, sagt Edgar Gutiérrez, ein guatemaltekischer Politologe, der eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen mit den UN über die Arbeitsbedingungen der Kommission gespielt hat. Haleys Forderung, sagt er, widerspreche dem guatemaltekischen Strafrechtsprinzip, das die Offenlegung von Aktionen der Justiz und der Staatsanwaltschaft verlange. „Dies dient dem Schutz der Angeklagten und hebt sich bewusst von den Geheimverfahren ab, die in der Zeit der autoritären Regierungen üblich waren“, sagt Gutiérrez.
Haley übermittelte der Kommission auch öffentlich eine ähnliche Botschaft. „Ich habe ihnen empfohlen, sich mehr am Vorbild des FBI zu orientieren“, sagte sie. „Sie brauchen nicht jeden Tag in der Zeitung zu stehen.“ Die US-Botschaft bei den UN verwies zu Nachfragen hierzu an eine Mitarbeiterin von Haley, die auf E-Mails mit der Bitte um einen Kommentar nicht reagiert hat.
Geld als Machtmittel
Nach der Reise begannen Haley und Kevin Moley, im US-Außenministerium zuständig für internationale Organisationen, die finanzielle Unterstützung der USA für die UN-Kommission zu kappen, wie aus gut unterrichteten Diplomatenkreisen bekannt ist. Allerdings stießen sie dabei auf heftigen Widerstand von Karrierediplomaten der Abteilung Western Hemisphere Affairs, die ihren Einfluss auf die Guatemalapolitik zugunsten von Moleys Abteilung schwinden sahen, und von der Abteilung für International Narcotics and Law Enforcement Affairs, die die UN-Kommission im Wesentlichen finanziert. Beide Abteilungen unterstützen seit langem die CICIG, die sie als Modellfall für die Justiz der Region aufbauen wollen.
Haleys UN-Team sah schließlich ein, dass die Kommission so einfach nicht loszuwerden war. Als Alternative schnürte Haleys Büro ein Reformpaket, das der CICIG Geldzahlungen in Etappen versprach. Laut diesem Plan, skizziert in einer E-Mail des Außenministeriums vom 10. April 2018, wollten die USA zwei Millionen Dollar an die Kommission zahlen, wenn sie sich bereiterklärte, auf ihre Forderungen einzugehen. Ein Scheck über weitere zwei Millionen würde ausgestellt werden, sobald die UN das Büro eines Generalinspektors zur Überwachung der Arbeit der CICIG eingerichtet hätte. Eine weitere Million sollte lockergemacht werden, sobald die Vereinigten Staaten einen stellvertretenden UN-Kommissionsvorsitzenden ernannt hätten, der letztendlich Velásquez ersetzen sollte. Den letzten Scheck über eine Million wollten die Vereinigten Staaten zahlen, wenn alle Forderungen zu ihrer Zufriedenheit erfüllt wären. Haley gelang es nicht, diese Forderungen durchzusetzen. Aber die Versuche sorgten immerhin dafür, die Finanzierung der Kommission um mehrere Monate verzögern.
Der Milliardär, der Kreml und die russische Famile
Doch den stärksten Schub erhielt der Kreuzzug gegen die UN-Kommission aus einer unerwarteten Richtung. Bill Browder, Milliardär, Hedgefondsinvestor und erklärter Befürworter von Sanktionen gegen Russland, engagiert sich für eine russische Familie, die in Guatemala mit Hilfe der UN-Kommission strafrechtlich verfolgt wird. Igor Bitkov, ein russischer Geschäftsmann, floh 2008 mit Frau und Tochter aus Russland und ließ sich schließlich in Guatemala nieder. Dort besorgte sich die Familie falsche Papiere; sie soll auch in die Machenschaften eines Korruptionsnetzes innerhalb der guatemaltekischen Einwanderungsbehörde verstrickt sein, das gefälschte Personaldokumente ausgestellt hat.
Igors Frau Irina überzeugte Browder, ihre Familie sei Opfer eines Rachefeldzugs von Wladimir Putin und seinen Kumpanen bei den russischen Banken. Browder wirft nun guatemaltekischen Staatsanwälten und dem Leiter der UN-Kommission vor, sie würden Hand in Hand mit der russischen Regierung die Familie verfolgen – eine Behauptung, die von den Vereinten Nationen zurückgewiesen wird.
Doch Browders Lobbyarbeit ist bei etlichen führenden Republikanern in den USA auf offene Ohren gestoßen. Im vergangenen Jahr lud der Milliardär Kongressmitglieder zu einer PowerPoint-Präsentation ein, die dokumentieren sollte, wie aus seiner Sicht die russische Verfolgung der Bitkovs abläuft. Demnach hat Igor Bitkov mehr als 150 Millionen Dollar an Krediten von mehreren Banken aufgenommen, um die Expansion seines Holzunternehmens in Kaliningrad zu finanzieren. Im Jahr 2005 habe ein leitender Manager einer staatlich kontrollierten Bank Bitkov gedrängt, die Mehrheit an dem Unternehmen unter Marktwert zu verkaufen. Bitkov habe abgelehnt. Zwei Jahre später wurde seine damals sechzehnjährige Tocher Anastasia in St. Petersburg entführt, misshandelt und vergewaltigt. Die Familie soll 200.000 Dollar für ihre Freilassung gezahlt haben.
Laut Browders Präsentation haben im April 2008 drei russische Banken von Bitkov die sofortige Rückzahlung seiner Kredite gefordert. Als Bitkov die Zahlungen nicht erbringen konnte, sei ein staatlicher Konkursverwalter eingesetzt worden, der die Ausrüstung von Bitkovs Fabriken zum Schleuderpreis veräußert habe, behauptet Browder. Bitkov floh aus dem Land, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, und landete schließlich in Guatemala, das kein Auslieferungsabkommen mit Russland hat. Die Familie reiste legal ein, besorgte sich jedoch später gefälschte Dokumente, und das Ehepaar begann unter neuen Namen eine Existenz als Lehrer in der Touristenstadt Antigua. Eine Reihe von CICIG-Unterstützern, einschließlich Menschenrechtsorganisationen, verschließen nach Ansicht von Browder die Augen davor, dass die Kommission den Bitkovs „übel mitspielt“. Das sei ein klarer Fall von Machtmissbrauch, sagt Browder: „Sie wollen schlicht nicht sehen, dass es hier ein Problem gibt.“
Kongressanhörung zum Fall Bitkov und der CIGIC
Im April 2018, lange nachdem sich Browder für den Fall der Bitkovs zu interessieren begann, organisierte die US-Kommission über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter der Leitung von Senator Roger Wicker und dem Abgeordneten des Repräsentantenhauses Chris Smith eine Kongressanhörung, die im Grunde als Tribunal für die CICIG gedacht war. Die Anhörung stand unter dem Titel „Der lange Arm der Ungerechtigkeit: Hat eine UN-Kommission, die zur Bekämpfung von Korruption gegründet wurde, dem Kreml geholfen, eine russische Familie zu zerstören?“ Sie beschäftigte sich vor allem mit der harten Behandlung, die den Bitkovs in Guatemala widerfahren war, unter anderem der Verurteilung von Igor Bitkov zu 19 Jahren Gefängnis und der zwangsweisen Unterbringung seines dreijährigen Sohns in einem staatlichen Waisenheim. Inzwischen ist die gesamte Familie wieder vereint und auf freiem Fuß. Sie bemüht sich derzeit um politisches Asyl in Kanada.
Im Mai 2018 haben republikanische Senatoren unter Führung von Mike Lee und Marco Rubio die Finanzierung der Kommission durch die US-Regierung in Höhe von sechs Millionen Dollar um mehrere Monate verzögert – in enger Abstimmung mit dem Büro von Nikki Haley und der Abteilung für internationale Organisationen im Außenministerium. Nachdem sich die USA mit ihrem Ansinnen durchgesetzt hatten, CICIG-Chef Velásquez einen Stellvertreter an die Seite zu stellen und die Arbeit der Kommission vom US-Außenministerium begutachten zu lassen, wurden die Gelder schließlich freigegeben.
UN-Vertreter haben russischen Einfluss auf die Kommission entschieden bestritten. Russland habe „niemals irgendeine Verbindung zur Arbeit der Kommission“ gehabt und auch niemals einen Cent zu ihrem Budget beigesteuert. Die Kommission, so betonen sie, habe mit dem US-Außenministerium und den Einwanderungsbehörden der USA zusammengearbeitet. Die amerikanische Einwanderungs- und Zollbehörde hat eine Schlüsselrolle bei der Untersuchung der Verstöße gegen die Einwanderungsbestimmungen gespielt, die schließlich zur Anklage von Bitkov führten.
„Die Kommission ist bestürzt und besorgt über die einseitigen, widersprüchlichen und verwirrenden Behauptungen, die zu den Rechtsangelegenheiten der Familie Bitkov verbreitet werden und die nichts mit der Realität zu tun haben“, schrieb Loreto Ferrer, Sprecherin der Kommission, im April an den Kongress. „Wir sind überrascht, dass in den höchsten Kreisen des US-Kongresses unbegründete und jeglicher Grundlage entbehrende Anschuldigungen einer Einmischung durch ein fremdes Land in die Behandlung von Kriminalfällen in Guatemala zirkulieren.“
Der Politologe Edgar Gutiérrez hält die These einer russischen Verschwörung gar für „verrückt“. Er erinnert daran, dass es bei der Einrichtung der Kommission starken Widerstand vom damaligen russischen Botschafter, Sergej Lawrow, im UN-Sicherheitsrat gab. Die Kommission sei ein Instrument der USA, wetterte Lawrow damals, und diene nur dazu, ein Justizmodell in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu etablieren, das sich letztendlich gegen Putins Regime wenden solle. „Deshalb haben wir die Sache in der Generalversammlung zur Abstimmung gebracht, wo wir überwältigende Zustimmung erhielten“, sagt Gutiérrez.
Trotzdem sind einige Unterstützer der Kommission in Sorge, dass die Vorwürfe zusammen mit der eindeutig feindseligen Einstellung der Trump-Regierung schließlich doch noch das Ende der CICIG besiegeln könnte. „Die meisten Leute wissen nicht viel über Zentralamerika“, sagte ein Kongressmitarbeiter. „Die Strategie der Gegner der Kommission besteht im Wesentlichen darin, mit Dreck zu werfen und zu schauen, ob etwas hängenbleibt. Und einiges bleibt eben hängen.“
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
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