Zwei Brüder gegen das System

Menschenrechtsverteidiger
Víctor Fernández und Martín Fernández Guzmán kämpfen als Menschenrechtsverteidiger in Honduras gegen Straflosigkeit und Korruption. Institutionen wie der Interamerikanische Gerichtshof helfen dabei nur bedingt.

Alles fing an, als ihr Vater bei einem Streit in dem von ihm geführten Billardsalon ermordet wurde. Víctor Antonio Fernández und Martín Fernández Guzmán sind die jüngsten von insgesamt neun Geschwistern. Als ihr Vater umgebracht wurde, war Víctor fünf und Martin sieben Jahre alt. Die Mörder ihres Vaters wurden nie ermittelt, für die Tat wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Straflosigkeit und Korruption gehören zu den zentralen Problemen in Honduras. Dagegen kämpfen die heute 44 und 46 Jahre alten Menschenrechtsanwälte seit Jahren. Im April haben die beiden den Bremer Solidaritätspreis verliehen bekommen. Geehrt wurden „zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich mit ihrer Arbeit der Einschränkung und Unterdrückung der Zivilgesellschaft entgegenstellen“. Und genau das machen die beiden Brüder in ihrem Heimatland Honduras.

Honduras gehört mit den Nachbarländern El Salvador und Guatemala zum sogenannten nördlichen Dreieck Mittelamerikas, einer Region mit extrem hohem Gewaltniveau. Seit Jahren schon stehen El Salvador und Honduras laut der Weltbank ganz oben auf der Liste der Länder mit den höchsten Mordraten pro 100.000 Einwohner. Ob Korruptionsprozesse, Naturkatastrophen, der Putsch gegen den gewählten Präsidenten – Honduras schafft es meist nur mit Negativschlagzeilen in internationale Medien: Im März 2016 war es die Ermordung der international anerkannten Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Cáceres. Víctor Fernández vertritt als Anwalt die Nebenkläger im Mordprozess, der nur schleppend vorangeht. Acht am Mordkomplott beteiligte Personen wurden im November 2018 schuldig gesprochen. Doch die Hintermänner und Auftraggeber sind noch auf freiem Fuß.

Víctor hatte nach seinem Jurastudium ursprünglich vor, als Staatsanwalt innerhalb des Justizsystems zu arbeiten. Doch schon bald spürte er die Grenzen. Statt mit Hilfe der Gesetze diejenigen vertreten zu können, die Opfer von Verbrechen oder deren Grundrechte unrechtmäßig eingeschränkt wurden, schützte die Institution die Täter. Brisante Ermittlungen verschwanden in Schubladen, kamen nicht zur Anklage.

Gemeinsam mit anderen engagierten Anwälten organisierte Víctor 2008 – er war zu diesem Zeitpunkt Präsident der Vereinigung honduranischer Staatsanwälte – einen fünfwöchigen Hungerstreik. Sie hatten dafür ihre Zelte in der Eingangshalle des Parlamentsgebäudes aufgeschlagen. Die Regierung ging auf die Forderung, sie möge etwas gegen die Korruption in der Staatsanwaltschaft tun, nicht ein. Doch der Streik brachte das Thema in die Medien und damit in die gesellschaftliche Debatte.  

Breites Bündnis für Würde und Gerechtigkeit

Wenige Tage nach dem Ende des Streiks gründete Víctor gemeinsam mit seinem Bruder Martín das „Breite Bündnis für Würde und Gerechtigkeit – Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia“ – kurz MADJ. Bis heute unterstützt das Bündnis indigene und kleinbäuerliche Gemeinden im Kampf gegen Landraub, Vertreibung, Umweltzerstörung.

Die neoliberale Wirtschaftspolitik in Honduras führte nach dem Putsch im Jahr 2009 gegen den damals amtierenden Präsidenten José Manuel Zelaya zu einem rasanten, grenzenlosen Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes. Mehr als 1000 Konzessionen wurden seitdem an nationale oder multinationale Konsortien vergeben. Sie ermöglichen exzessiven Ressourcenabbau im Bergbau und die Privatisierung der Flüsse für die Energiegewinnung. Wegen des von ihr organisierten Widerstands gegen eines dieser Wasserkraftprojekte auf indigenem Land wurde Berta Cáceres 2016 von Auftragskillern umgebracht.  

70 Prozent der Menschen in Honduras leben in Armut, während sich die regierenden Eliten bereichern, sagt Víctor Fernández. Dennoch stellen sie sich dar, als wollten sie die Entwicklung des Landes fördern. „Sie haben bereits das Gold und unsere Reichtümer gestohlen und jetzt wollen sie im Namen der Entwicklung unsere Natur stehlen.“

Mit dem MADJ, stellen sich die Brüder gegen dieses „Entwicklungsmodell“. Gemeinsam mit der mesoamerikanischen Bewegung gegen das extraktivistische Bergbau-Modell (Movimiento Mesoamericano contra el Modelo extractivo Minero) unterstützen sie Gemeinden, sich zu bergbaufreien Zonen zu erklären, in denen keine Berg- und Wasserkraftwerke gebaut werden dürfen. Es gehe darum, eine kommunale Struktur zu schaffen, die die lokale Regierung zum Handeln zwingt und von ihr fordert, die Entscheidungen der Kommunen als rechtlich gültig anzuerkennen, so dass sie von der Landesregierung nicht übergangen werden können, erklärt  Víctor Fernández.

Information für betroiffene Gemeinden

Weil sie dabei auch auf Korruption in den Regionen hinweisen, „nimmt die Bedrohung uns gegenüber noch mal deutlich zu“, sagt er. Dieser Weg sei aufwendig und stehe der strikten Geheimhaltungspolitik staatlicher Institutionen gegenüber. Dennoch nutzt der MADJ alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um die Bewohner detailliert über anstehende Projekte wie Wasserkraft- oder Bergwerke und deren Folgen für die betroffenen Gemeinden zu informieren, sei es über kommunale Radios, Flugblätter oder im persönlichen Gespräch mit den Dorfbewohnern.

Autorin

Erika Harzer

ist Autorin und Filmemacherin mit Schwerpunkt Lateinamerika.
Víctor bezieht sich dabei auf die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO). Demnach haben bei Projekten auf indigenem Gemeindeland die Bewohner das Recht, vorher konsultiert zu werden, um dann informiert zustimmen zu können. Zwar hat Honduras die ILO-Konvention ratifiziert, doch die darin vereinbarten Schritte werden in der Regel nicht praktiziert. Dennoch ist die Konvention die einzige existierende internationale Rechtsnorm mit der die Rechte Indigener verteidigt werden könnten. Zwar gibt es auch seit gut zehn Jahren die UN-Deklaration zu den Rechten indigener Völker, doch die ist nicht bindend.

Deutschland hat die ILO Konvention bis heute nicht unterzeichnet. Im März 2015 empfahl der Bundesrat, dies endlich zu tun: Deutschland könne als führende Industrienation mit der Ratifizierung eine Signalwirkung auf andere Länder mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung haben, etwa die USA, Kanada oder Australien.

Lediglich fünf europäische Länder haben die ILO-Konvention bisher ratifiziert. Dabei könnte die offensive Einforderung der darin vereinbarten Schritte indigene Gemeinschaften in ihrem Kampf um ihre Territorien und in ihrem Widerstand gegen internationale Wirtschaftsinteressen stärken.

Berta Cáceres und ihre Organisation COPINH (Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras) haben mit Hilfe des MADJ sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene versucht, den Verstoß gegen die ILO-Konvention 169 beim Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca anzuklagen. Das hat sie ihr Leben gekostet. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) hatte dem honduranischen Staat auferlegt, Cáceres zu schützen – vergeblich. Auch der 2015 an Cáceres vergebene Goldmann Preis, der Oscar unter den Umweltschutzauszeichnungen, und die internationale Anerkennung, hat die Kraftwerksbetreiber nicht daran gehindert, Auftragskiller zu engagieren.

Ebenso wenig haben mehrfach detailliert aufgezeichnete Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die ILO-Konvention 169 internationale Geldgeber und Zulieferer wie die Entwicklungsbanken Finnlands und der Niederlande oder das Unternehmen Voith Hydro als Turbinenlieferanten dazu bewogen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Das geschah erst knapp eineinhalb Jahre nach dem Mord. Wegen der Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen und Morden an Berta Cáceres und weiteren Kraftwerksgegnerinnen hat Víctor Fernández in Zusammenarbeit mit der niederländischen Anwaltskanzlei d’Oliveira nun vor dem Bezirksgericht in Den Haag gegen die Entwicklungsbank FMO geklagt. Sollte es zum Prozess kommen, könnte dies zu einem Präzedenzfall werden.

Verurteilung von Hintermännern gefordert

Auch wenn die von der CIDH angeordneten Schutzmaßnahmen und die internationale Anerkennung Berta Cáceres nicht geschützt haben, so unterstützen internationale Netzwerke jetzt – wie bei kaum einem der vorherigen Morde an Menschenrechts- und Umweltaktivisten in Honduras – die Forderung nach Aufklärung. Sie geben sich nicht zufrieden mit der Verurteilung der Auftragsmörder, der „Bauernopfer“, wie sonst in diesem Land üblich. Für Víctor zeigt sich gerade an diesem Mord, wie wichtig das Zusammenspiel internationaler Organisationen bei den Ermittlungen, den Prozessen und der Forderung nach Verurteilung der Hintermänner ist.

Sein Bruder Martín, der seit 2013 auf Anordnung der CIDH von den honduranischen Sicherheitskräften geschützt werden soll, beschreibt internationale Anordnungen wie diese als notwendig, aber oft nicht hilfreich. „Die Polizei ist stark in viele Verbrechen im Land verwickelt. Für uns ist es daher schwierig, Polizeischutz anzunehmen. Wir setzen viel mehr auf Selbstschutz: Wir meiden es, auszugehen und grenzen die Arbeit ein, überdenken jeden Schritt.“

Eine weitere Schutzmaßnahme ist, das Land zu verlassen. Zwischen den Jahren 2012 und 2018 war Martín viermal nach Angriffen und Bedrohungen ins Ausland gereist. Kein lebenswerter dauerhafter Zustand für jemanden wie ihn und seinen Bruder, die ihren Wirkungsort in Honduras sehen. „Insgesamt wurden in den letzten sechs Jahren neun Menschen unseres Bündnisses aufgrund ihrer Arbeit ermordet“, sagt Víctor.

Ein zentrales Problem sieht Martín darin, dass internationale Organisationen wie die CIDH nicht kämpferisch genug auftreten. Es sei notwendig und hilfreich, dass sie vom honduranischen Staat Schutz fordern, aber die Umsetzung sei schlecht. Von 98 Personen, für die zwischen 2009 und 2016 Schutzmaßnahmen angeordnet waren, wurden laut der honduranischen Menschenrechtsorganisation CIPRODEH 18 umgebracht; zwei sind verschwunden. Erst im Februar dieses Jahres wurden zwei Anführer der indigenen Tolupan-Gemeinde umgebracht: Beide kämpften im Departement Yoro im Norden von Honduras gegen die dort agierende Holzmafia, die für zahlreiche illegale Rodungen in der Region verantwortlich ist und mit der Regierung und den Drogenkartellen zusammenarbeitet.

Keine rechtsverbindlichen Entscheidungen

Jeder Besuch von UN-Sonderberichterstattern sei wichtig, ebenso wie deren spätere Stellungnahmen, betonen Víctor und Martín Fernández. Für die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger spielen Institutionen wie die CIDH oder der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte eine wichtige Rolle. Doch Menschenrechte gegen Wirtschaftsinteressen zu verteidigen, dafür fehle den internationalen Instanzen oftmals der politische Wille und die Befugnis, rechtsverbindliche Entscheidungen zu treffen.

2011 wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, auf deren Grundlage alle Mitgliedstaaten nationale Aktionspläne erarbeiten sollen. Ende 2016 hat die Bundesregierung ihren Plan verabschiedet. Darin wird am Prinzip festgehalten, dass sich Unternehmen freiwillig auf die Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Auslandsgeschäften verpflichten sollen. Für Verstöße sind keine verbindlichen Maßnahmen vorgesehen.

Nur durch internationales Zusammenwirken könnten die Missstände und Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land bekämpft werden, sagten Martín und Víctor Fernández während der Preisverleihung in Bremen. Bleibt zu hoffen, dass die mit dem Solidaritätspreis einhergehende internationale Anerkennung den Schutzmantel der Brüder verstärkt.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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