Entscheidung in Hudaida

Krieg im Jemen
Die Vereinten Nationen haben im Jemen für zwei wichtige Städte ein Abkommen zwischen den Kriegs­parteien ausgehandelt. Es könnte über die Zukunft des Landes entscheiden.

Wegen des Krieges verhungern im Jemen Menschen und sterben an vermeidbaren Krankheiten wie Cholera. Im Dezember 2018 haben die zwei wichtigsten Kriegsparteien, die Huthis und die international anerkannte Regierung, sich in einem Schloss bei Stockholm auf einen Gefangenenaustausch und vertrauensbildende Maßnahmen für die wichtigen umkämpften Städte Taiz und Hudaida geeinigt. Doch den Krieg zu beenden, wird sehr schwierig. Neben den Huthis und der international anerkannten Regierung stehen sich zahlreiche weitere Akteure und Gruppierungen gegenüber. Im März 2015 hat eine Koalition aus sunnitisch geprägten Staaten unter Führung Saudi-Arabiens in den Krieg eingegriffen; Experten sprechen von einem Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung.

Der Krieg brach aus, nachdem im Jemen nach dem Arabischen Frühling eine politische Neuordnung gescheitert war. Ermutigt vom Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, erhielten im Februar 2011 Proteste gegen Präsident Ali Abdullah Salih breiten Zulauf. Als im März 2011 regimetreue Schützen von den Dächern in die protestierende Menge feuerten und über fünfzig Menschen töteten, schlossen sich zuvor regimetreue Kräfte den Protesten an und brachten das System ins Wanken.

Nach einer Initiative des Golfkooperations­rates, dem die Golfstaaten angehören, erklärte sich Salih im November 2011 zum Rücktritt bereit. Eine neue Regierung trat an, die zur Hälfte aus der früheren Regierungspartei und zur anderen Hälfte aus einem Bündnis von Oppositionsparteien bestand. Hier war die Hizb al-Islah (Reformpartei) die stärkste Kraft, ein Bündnis aus Stammesrepräsentanten, Muslimbrüdern und Geschäftsleuten.

Im Februar 2012 wurde der bisherige Vizepräsident Abd Rabbo Mansur Hadi für den auf zwei Jahre angesetzten Übergangsprozess zum Präsidenten gewählt – ohne Gegenkandidat. Der Übergang sollte auf drei Säulen beruhen: der Aufarbeitung der Vergangenheit, einer Reform des Sicherheitssektors und einer Nationalen Dialogkonferenz, die auch den Grundstein für eine neue Verfassung legen sollte. Bedingt erfolgreich war einzig diese Konferenz: Zur ihr kamen 565 Vertreter aller politischen Richtungen und Bevölkerungsgruppen – auch der Huthis – aus dem gesamten Land in der Hauptstadt Sanaa zusammen, um über einen neuen Gesellschaftsvertrag zu beraten. Die Konferenz endete Anfang 2014 mit über 1800 Empfehlungen. Um Zeit für das Schreiben einer neuen Verfassung und Neuwahlen zu lassen, wurde die Präsidentschaft Hadis um ein Jahr verlängert.

Allerdings waren entscheidende Akteure der Revolution nicht eingebunden in die Initiative des Golfkooperationsrates. Neben der Jugend, die die Revolution entscheidend prägt, gilt dies vor allem für die Huthis, eine aus dem Norden des Landes stammende schiitische Gruppierung, die von der Huthi-Familie angeführt wird. Sie wendet sich bereits seit Ende der 1990er Jahre gegen die ökonomische, politische und religiös-kulturelle Marginalisierung ihrer Heimatregion an der Grenze zu Saudi-Arabien.

Wie es zum Krieg im Jemen kam

Nicht berücksichtigt wurde bei den Verhandlungen auch die sogenannte Südliche Bewegung, die seit 2007 ein Ende der Marginalisierung des Südjemens forderte und aufgrund des brutalen Vorgehens des Regimes gegen Demonstranten ab 2009 dazu überging, eine Rückkehr zur Eigenstaatlichkeit „Südarabiens“ anzustreben (der Südjemen war bis 1990 ein eigener Staat).

Autorin

Marie-Christine Heinze

ist Islamwissenschaftlerin an der Universität Bonn. Sie leitet ein von der Volkswagenstiftung gefördertes Projekt der Universität und des Yemen Polling Center zum Arabischen Frühling im Jemen.
Der Ausschluss dieser Gruppen begünstigte die alte Elite und untergrub das Vertrauen in den Übergang. Der scheiterte aber auch an Kämpfen im Norden des Landes um Territorium und strategische Infrastruktur zwischen den Huthis auf der einen Seite und Salih und der Regierung nahestehenden Sicherheitskräften sowie mit der Islah-Partei affiliierten Milizen auf der anderen. Mit der Zeit entwickelte sich jedoch ein Bündnis zwischen den Huthis und ihrem vorherigen Erzfeind Salih. Zudem blockierte sich die Übergangsregierung selbst, weil die dort versammelten Parteien dem politischen Gegner keine Erfolge bescheren wollten. Währenddessen verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des ohnehin extrem armen Landes weiter. Als die Regierung im Spätsommer 2014 Subventionen für Diesel kürzte, konnten die Huthis auf einer Welle des Protestes und unterstützt von Salih-nahen Sicherheitskräften die Hauptstadt Sanaa einnehmen.

In der Folge handelte der damalige UN-Sondergesandte für den Jemen ein Abkommen aus, das zur Einsetzung einer neuen Technokratenregierung führte. Aber dieses konnte das Abgleiten des Landes in einen Bürgerkrieg nicht mehr verhindern. Die Huthis hielten sich nicht an ihren Teil der Abmachung, die unter anderem vorsah, die Kontrolle über die staatlichen Institutionen wieder ganz in die Hände der Regierung zu legen. Hinzu kam der Streitpunkt Föderalismus, den die Nationale Dialogkonferenz nicht hatte lösen können: Sie hatte sich geeinigt, dass der Jemen ein föderaler Staat sein sollte, nicht aber, wie genau die Regionen aufgeteilt werden sollten.

Dies entschied ein von Präsident Hadi eingesetztes Gremium dann ohne Beteiligung der Huthis und der Südlichen Bewegung. Die Huthis wandten sich entschieden dagegen. Das mündete Anfang 2015 in Kämpfe zwischen Huthis und Salih-Milizen auf der einen und Hadi-nahen Sicherheitskräften auf der anderen Seite. Die Regierung und Präsident Hadi traten in der Folge zurück, die Huthis übernahmen die Regierung und stellten Hadi und seine Gefolgsleute unter Hausarrest.

Kurz danach flüchtete Hadi in die südliche Hafenstadt Aden, wo er seinen Rücktritt zurücknahm und den Wiederaufbau der Regierung in der „temporären Hauptstadt Aden“ verkündete. Nur einen Monat später musste er vor den näher rückenden Huthi- und Salih-Milizen nach Saudi-Arabien fliehen und bat das Königshaus um Unterstützung. Am 25. März 2015 griff eine Koalition aus sunnitisch geprägten Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, unter Führung Saudi-Arabiens in den Bürgerkrieg im Jemen ein.

Warum hat Saudi-Arabien eingegriffen? Das Königshaus selbst nennt als seine wichtigsten Ziele, eine legitime Regierung wieder einzusetzen und die saudisch-jemenitische Grenze zu schützen. Aber auch den regionalen Erzrivalen Iran einzudämmen, der die Huthis unterstützt, ist ein wichtiger Treiber des saudischen Engagements. Hinzu kamen 2015 innenpolitische Gründe: Der neue Verteidigungsminister und spätere Kronprinz Muhammed bin Salman wollte durch einen schnellen Erfolg im Jemen seine Position im Königshaus und seine Anerkennung in der Bevölkerung stärken.

Der wichtigste Partner Saudi-Arabiens im Jemen sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Den von ihnen unterstützten Widerstandsgruppen gelang es im Sommer 2015, den Süden des Landes inklusive Aden von den Huthi-Salih-Milizen zu befreien. Seitdem fördern sie dort den Aufbau lokaler Sicherheitsstrukturen, die der Südlichen Bewegung nahestehen. Das hat zu Konflikten mit dem Koalitionspartner Saudi-Arabien und der international anerkannten Regierung unter Präsident Hadi geführt, denn die Südliche Bewegung strebt – wenn auch inoffiziell – die Unabhängigkeit des Südens an und kritisiert regelmäßig die Regierung. 2018 kam es in Aden sogar kurzzeitig zu heftigen Kämpfen zwischen Kräften, die Präsident Hadi nahestehen, und solchen, die von den VAE unterstützt werden.

Kämpfe um Hudaida hätten verheerende Folgen

Ein weiterer Konfliktpunkt innerhalb der Koalition ist die Haltung zur Muslimbruderschaft, gegen die die VAE gewaltsam vorgehen. In der drittgrößten, heftig umkämpften Stadt Taiz zum Beispiel kämpfen die von den VAE unterstützten Salafis und die von Saudi-Arabien unterstützten Muslimbrüder nicht nur beide gegen die Huthis, sondern auch gegeneinander, während die Huthis – wie überall in den von ihnen kon-trollierten Gebieten – mit großer Härte und Brutalität gegen jede Form von Dissens vorgehen.

Der Iran ist ein weiterer wichtiger regionaler Akteur im Jemen-Konflikt. Allerdings überschätzen die Saudis seine Rolle stark: Der Iran unterstützt die Huthis finanziell, mit Expertise und zunehmend mit Waffen, aber diese sind keine Stellvertreter des Irans im Jemen.

Nach Zurückdrängung der Huthi-Salih-Milizen aus dem Süden im Sommer 2015 änderte sich lange Zeit nicht viel an den militärischen Fronten – auch nicht, als die Huthi-Salih-Koalition Ende 2017 zerbrach und die Huthis den früheren Präsidenten töteten. Im Laufe des Jahres 2018 stießen dann jedoch Salih-treue Kräfte mit Unterstützung der saudisch geführten Koalition, vor allem der VAE, von Süden her auf die Hafenstadt Hudaida am Roten Meer vor. Kämpfe um diese Stadt, die seit 2015 unter der Kontrolle der Huthis stand, und um den Hafen dort hätten wichtige Importe lahmgelegt und daher verheerende Folgen für die ohnehin verzweifelte Lage der Bevölkerung gehabt.

Aus diesem Grunde wollte der seit Februar 2018 amtierende UN-Sondergesandte für den Jemen, der Brite Martin Griffiths, Kämpfe um Hudaida verhindern. Er sah und sieht zudem einen Kompromiss hier als wichtige Voraussetzung für künftige Friedensgespräche an, die er für 2019 anstrebt. Griffiths brachte daher im Dezember 2018 die Huthis und die international anerkannte Regierung in Schweden zusammen. Ihre Einigung dort ist unter anderem zustande gekommen, weil die USA nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul Druck auf Saudi-Arabien ausübten.

Vor allem das Abkommen zu Hudaida steht seither im Zentrum der Aufmerksamkeit. Laut dem Abkommen von Stockholm sollen sowohl die Huthis als auch die Anti-Huthi-Allianz ihre Kämpfer aus Hudaida, dem in der Nähe gelegenen kleineren Hafen von Salif und dem Ra’s Issa Ölterminal abziehen. Ein humanitärer Korridor soll entlang der Straße von Hudaida nach Sanaa eingerichtet werden und ein Waffenstillstand im Gebiet herrschen. Von den Vereinten Nationen entsandte Beobachter sollen die Umsetzung dieser Schritte überprüfen. Weil das Abkommen aber unter großem Zeitdruck zustande kam, fehlen wichtige Details, die den vereinbarten Rückzug regeln.

Seither sind Griffiths und der dänische Generalleutnant Michael Anker Lollesgaard, der die Verhandlungen vor Ort in Hudaida koordiniert, damit beschäftigt, diese Details auszuarbeiten und dabei alle Seiten zu beschwichtigen. Martin Griffiths ist weiterhin optimistisch, dass ein Rückzug beider Seiten aus Hudaida erfolgreich durchgeführt werden kann und damit die Voraussetzungen für umfassende Friedensgespräche erreicht werden können.

Sollte dies nicht gelingen, werden die Kämpfe um Hudaida wieder aufflammen und dann droht im Jemen eine noch größere humanitäre Katastrophe. Der noch in den Kinderschuhen steckende Friedensprozess wäre damit gescheitert. Dann könnte aus dem Land ein weiteres Somalia werden.

Aber selbst wenn es dieses Jahr zu umfassenden Friedensverhandlungen zwischen den Huthis und der international anerkannten Regierung unter Präsident Hadi kommen sollte, bedeutet dies noch lange keinen Frieden. Denn viele Beteiligte – nicht zuletzt die Südliche Bewegung – sitzen nicht am Verhandlungstisch und die Profiteure der boomenden Kriegsökonomie haben kein Interesse am Ende dieses Konfliktes. Man kann dennoch nur hoffen, dass die geringen Chancen auf Frieden nicht von den Kriegsparteien in Hudaida verspielt werden.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2019: Arznei und Geschäft
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