Die Eröffnung des Sueskanals 1869 hat das Rote Meer verändert: Über Nacht machte sie aus dem schmalen Streifen Meer eine lebenswichtige Ader des internationalen Seehandels. Seit 150 Jahren betrachten nun die meisten Weltmächte das Rote Meer quasi als Verlängerung des Sueskanals. In der gesamten Zeit seither gab es an seinen beiden Ufern größere Kriege und Unruhen, doch nur zwei Mal war die Passage geschlossen: das erste Mal während der Sueskrise 1956, das zweite Mal wegen des Sechstagekriegs 1967, wonach der Kanal acht Jahre lang komplett gesperrt blieb.
Im Roten Meer droht auch bis heute Hochseepiraterie. All diesen Umständen zum Trotz fahren Jahr um Jahr ununterbrochen Frachtschiffe durch die Meerenge von Bab al-Mandab am südlichen Ende des Roten Meeres. Auf diese Weise konnten die Großmächte erfolgreich den freien Fluss des Handels sichern; deshalb neigten sie lange dazu, die weitergehenden politischen und Sicherheitsinteressen der Region zu vernachlässigen. Auch Wissenschaftler und politische Analysten haben die Region wenig beachtet. Das liegt in erster Linie daran, dass das Rote Meer genau zwischen dem Nahen Osten und Afrika liegt. Für beide sind unterschiedliche wissenschaftliche Fachkreise und bürokratische Gremien in den Außenministerien und den Vereinten Nationen zuständig.
Bisher war es nicht nötig, den Handelsweg aufwendig zu schützen. Das ist der Hauptgrund dafür, dass es nie einen gemeinsamen Sicherheitsmechanismus für die Region gegeben hat. Im Kalten Krieg etwa hatten die USA und die Sowjetunion gemeinsam ein Interesse an offenen Seewegen. Dass China für seinen ersten ausländischen Marinestützpunkt Dschibuti gewählt hat, zeigt sein strategisches Interesse an der Region und ist ein Zeichen dafür, dass Peking die Prioritäten der USA und Europas bei der Freiheit der Schifffahrt teilt.
Die Lage wird unübersichtlich
Zurzeit aber wird die Lage am Roten Meer zunehmend unübersichtlich: Regionalmächte treten dort immer forscher auf. Das Interesse der Golfstaaten am Horn von Afrika hing in den 1990er Jahren noch hauptsächlich mit dem Terrorismus zusammen. Der aus Saudi-Arabien stammende Führer von al-Qaida, Osama bin Laden, hatte bis 1996 seine Basis in Khartum, weil der Sudan damals radikal-islamische Gruppen protegierte. Darüber hinaus investierten Golfstaaten am Horn vor allem in die Landwirtschaft und Privatpersonen und Stiftungen unterstützten dort salafistische Moscheen und Schulen (der Salafismus ist eine glaubensstrenge, aber politisch zurückhaltende Strömung im Islam; Anm. d. Red.).
Doch in der jüngsten Dekade haben Länder aus Nahost ihr Engagement am Horn stark ausgeweitet. Der Vorreiter war Katar: Das kleine Emirat wollte sich als Vermittler erster Wahl – etwa als Gastgeber der Friedensgespräche für Darfur und zwischen Eritrea und Dschibuti – sowie als wichtiger Förderer eines gewaltlosen Islamismus in Stellung bringen. Es nutzte den Nachrichtensender Al Dschazira, um weit über die Landesgrenzen hinaus Einfluss zu nehmen. Dieser begann erst 2013 zu schwinden, als Emir Hamad Al-Thani zugunsten seines Sohnes Tamim zurücktrat.
Der nächste Vorstoß kam aus der Türkei. Vor Beginn des Syrienkrieges 2011 folgte der damalige Premierminister Recep Tayyip Erdogan der Vision, den türkischen Führungsanspruch im gesamten Gebiet des früheren Osmanischen Reiches wiederherzustellen. Er setzte auf die weiche Macht von Handel, Entwicklungshilfe und Bildung. Die Türkei hat als erstes Land nach der Rückkehr der Übergangsregierung ins zerrüttete Somalia dort eine Botschaft eröffnet und sich in der Folge als treuer Unterstützer erwiesen. Ankara investiert darüber hinaus im Sudan und plant die Errichtung eines Stützpunktes in Sawakin an der sudanesischen Küste des Roten Meeres.
Auch Ägypten richtet den Blick wieder auf das Horn von Afrika. Vorausgegangen waren lange Jahre der Lethargie: Seit 1995 nahm der damalige Präsident Hosni Mubarak nach einem gescheiterten Attentat auf ihn in Addis Abeba nicht mehr an afrikanischen Gipfeltreffen teil. Äthiopien nutzte seine Abwesenheit, um still und leise die Staaten des Kontinents für seine Sicht zu gewinnen, das Abkommen über die Nutzung des Nilwassers müsse revidiert werden (nach dem Abkommen von 1929 kann Ägypten den größten Teil des Wassers beanspruchen und Äthiopien kaum etwas; Anm. d. Red.). Äthiopien nutzte dann die Unruhen während des Arabischen Frühlings 2011, um am Nil den Bau seines Grand-Renaissance-Staudamms voranzutreiben. Zwar kann das Wasserkraftwerk nur betrieben werden, wenn Wasser weiter abfließt, aber Ägypten fürchtet, dass Äthiopien mit dem Staudamm den Abfluss bremsen kann.
Welche Folgen es hatte, Afrika südlich der Sahara stark zu vernachlässigen, hat Kairo erst 2013 wirklich begriffen, als es aus der Afrikanischen Union (AU) ausgeschlossen wurde. Die Organisation, der alle Staaten Afrikas angehören, hielt den Militärputsch, mit dem Präsident Abdel Fattah al-Sisi an die Macht kam, für verfassungswidrig. Kairo begann daraufhin hektische diplomatische Bemühungen, um in die AU zurückzukehren, und wurde 2014 wieder aufgenommen.
Ägypten hat zudem ein gestörtes Verhältnis zum Sudan. Khartum hat sich teilweise deshalb in der Frage des Nilwassers hinter Äthiopien gestellt, weil seine eigenen Pläne für einen Ausbau der Bewässerung auf den neuen Staudamm angewiesen sind. Auch der Plan der Türkei, einen Stützpunkt im Sudan zu errichten, sorgt in Kairo für Irritation. Ägypten versucht daher, dem Sudan und Äthiopien Einhalt zu gebieten und ein Gegengewicht zur Türkei und zu Katar zu schaffen: Es pflegt seine Verbindungen zu Eritrea, hat dort Truppen stationiert und unterstützt die Regierung des Südsudans finanziell.
Autor
Alex de Waal
ist geschäftsführender Direktor der World Peace Foundation und Forschungsprofessor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University (USA).Die Rivalität eskalierte 2015, als der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman Militärschläge gegen die Huthi-Rebellen im Jemen begann und sie damit begründete, dass die Huthi vom Iran unterstützt würden. Sogleich begannen Eritrea und der Sudan, um die Gunst der Saudis zu buhlen. Eritrea schloss die langjährige Vertretung der Huthi in Asmara und bot Streitkräfte und Stützpunkte an. Für den eritreischen Präsidenten Isaias Afewerki war das eine willkommene Gelegenheit, der von Äthiopien auferlegten Isolation des Landes zu entkommen. Auch der Sudan offerierte Truppen und sandte am Ende 7000 Paramilitärs in den Jemen. Zum Lager der Saudis zu gehören, brachte dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir nicht nur Geld ein, sondern auch Schützenhilfe bei Lobbybemühungen in den USA, die dortigen Sanktionen gegen den Sudan aufzuheben.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) schlossen sich wenig später der saudisch geführten Koalition an. Sie wurden bald zum wichtigen Partner im Luftkrieg gegen die jemenitische Küste und eröffneten einen Luftwaffenstützpunkt in der eritreischen Küstenstadt Assab. Das Land unterhält auch enge politische Beziehungen zu Ägypten. Unterdessen strebt das Unternehmen Dubai Ports World aus den VAE aggressiv die Kontrolle über die Häfen Berbera und Boosaaso an, die in der selbst erklärten Republik Somaliland beziehungsweise im somalischen Gliedstaat Puntland liegen.
Von allen Mächten im Nahen Osten treten die VAE in der Außenpolitik am forschesten auf und setzen am stärksten auf Klientel-Strukturen. Zu Hause ist man salafistisch und im Ausland gibt man sich säkular. Bestimmend ist Kronprinz Mohammed bin Zayed aus Abu Dhabi, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, der in vieler Hinsicht ähnliche Ziele verfolgt wie sein saudischer Amtskollege.
Beide traten 2017 noch härter auf, als sie versuchten, Katar zu isolieren (unter anderem wurden die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und die Landgrenze Katars blockiert, Anm. d. Red.). Sie warfen dem Land vor, Verbindungen zum Iran zu unterhalten, die Muslimbruderschaft zu finanzieren und unliebsame Gruppen in Syrien zu unterstützen. Die Schockwellen der Rivalität zwischen Katar und dem Lager Saudi-Arabiens und der VAE waren am ganzen Horn von Afrika zu spüren.
Die Regierung Somalias blieb neutral. Die Saudis ließen es durchgehen, dass die schwache Regierung in Mogadischu, die Unterstützung aus der Türkei und aus Katar bezieht, nicht in einer Position war, eine Wahl zwischen den Schutzmächten zu treffen. Wie Somalia war auch der Sudan hin- und hergerissen und wollte seine langjährigen politischen Beziehungen zu Katar ebenso wenig aufs Spiel setzen wie die finanzielle Hilfe aus Saudi-Arabien.
Eine Vereinbarung wie auf dem Basar
Auch in Äthiopien und Eritrea engagieren sich die VAE seit kurzem. Kronprinz Mohammed bin Zayed hatte Addis Abeba besucht, kurz bevor der neue äthiopische Premierminister Abiy Ahmed sich zu Gesprächen mit Eritrea bereit erklärte. Das zeigt, dass die arabischen Länder ihren Einfluss auch nutzen können, um auf Frieden zu drängen. Abiys jüngster Besuch in Asmara und das Ende des Kriegszustandes zwischen Äthiopien und Eritrea sind Grund zur Freude.
Doch hier zeigt sich auch deutlich eine neue treibende Kraft in der Politik am Horn von Afrika. Der Kronprinz der VAE hat auch Druck auf Äthiopien ausgeübt, den Vorsitz des regionalen ostafrikanischen Staatenbundes IGAD aufzugeben. Das machte den Weg frei für den sudanesischen Präsidenten al-Baschir und den ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni, Ende Juni in Khartum die Bürgerkriegsparteien des Südsudans an einen Tisch zu bringen. Sie unterzeichneten dort eine Vereinbarung wie auf dem Basar, wonach die Ölförderung ausgeweitet und die Erlöse aufgeteilt werden und im Gegenzug die Macht im Südsudan geteilt wird. Dieses Abkommen von Khartum könnte dem jungen Staat Frieden bringen, aber es ist nur so stark wie die Machtkonstellation, der es sein Entstehen verdankt.
Das Horn von Afrika ähnelt heute dem „großen Spiel“ der Kolonialmächte im 19. Jahrhundert: Regionalmächte und Großmächte rangeln um Marinestützpunkte. Doch die afrikanischen Länder sind keine passiven Zuschauer. Sie nutzen ihre Beziehungen zum Nahen Osten für den eigenen Vorteil.
Der Sudan hat seine Beziehungen gekonnt ausbalanciert und zu keinem Partner je die Beziehung vollständig abgebrochen, selbst wenn er dem Druck oder dem Werben eines anderen nachgegeben hat. Eritrea hat seine Verbindungen zu Saudi-Arabien, den VAE und Ägypten genutzt, um der von Äthiopien auferlegten Isolation zu entkommen. Dschibuti hat seine strategische Lage geschickt ausgenutzt, um eine zu starke Abhängigkeit von einem der mächtigen Schutzpatrone zu vermeiden, und sich erfolgreich gegen das Hegemoniestreben der VAE zur Wehr gesetzt.
Tiefe Kluft zwischen den Politikstilen
Äthiopien war bemüht, gute Handels- und Sicherheitsbeziehungen zu Saudi-Arabien und den VAE und solche zu Katar ins Gleichgewicht zu bringen, haben doch alle drei Länder in Äthiopien und in die von Äthiopien genutzten Häfen der Nachbarländer investiert. Auch Somalia, Somaliland und Puntland profitieren von arabischen Investitionen und nutzen den Wettbewerb zwischen ihren Förderern im Nahen Osten zu ihrem Vorteil. Der Streit der Golfstaaten untereinander beeinträchtigt allerdings die Machtbalance zwischen der Zentralregierung in Mogadischu und den Regierungen der Regionen, besonders von Puntland.
Im Hinblick auf internationale Sicherheit in der Region besteht eine tiefe Kluft zwischen dem multilateralen Ansatz der Afrikaner und der Art von Beziehungen, wie die Staaten des Nahen Ostens sie pflegen. Die AU hat seit ihrer Gründung 2002 eine Friedens- und Sicherheitsarchitektur auf der Grundlage gemeinsamer Ziele und Grundsätze entwickelt. Im Nahen Osten dagegen existieren keine solchen Normen und Praktiken. Stattdessen leisten die Golfstaaten direkte Finanz- oder Budgethilfen an afrikanische Staats- und Regierungschefs und erwarten im Gegenzug persönliche Loyalität. Ihre Politik ist bilateral und folgt dem Muster von Handelstransaktionen. Militärische Siege gelten als legitimes Ziel (wie der Fall Jemen zeigt) und Gegner werden aus politischen Foren ausgeschlossen. Eine Militarisierung ist den arabischen Staaten lieber als eine Demokratisierung, und arabische Friedenseinsätze gibt es nicht.
Für die Golfstaaten ist das Horn von Afrika zweit- oder sogar drittrangig. Priorität haben für sie Interessen gegenüber dem Iran, dem Irak, Syrien und dem Jemen; das Engagement in Afrika ist im Grunde nur ein Ausfluss dieser vorrangigen Themen. Die Golfstaaten behandeln afrikanische Staaten auch nicht als ebenbürtig, nicht zuletzt, weil deren Staatschefs bei ihren Besuchen häufig als Bittsteller auftreten.
Die AU ist zu der Erkenntnis gelangt, dass sie eine Außenpolitik für den „gemeinsamen Raum“ des Roten Meeres braucht. Allerdings tritt sie den Golfstaaten aus einer Position der Schwäche gegenüber. Am dramatischsten ist das 2011 in Libyen zutage getreten, als die arabischen Staaten und die Nato eine Initiative der AU für eine Verhandlungslösung vom Tisch wischten. Es ist wert, diese gescheiterte Initiative neu zu bedenken in einer Zeit, in der die Staaten des Nahen Ostens altbekannte Machtspiele am Horn von Afrika spielen.
Denn diese Staaten untergraben Afrikas hart erkämpfte Friedens- und Sicherheitsarchitektur und gefährden fragile Fortschritte Richtung Stabilität in der Region. Für einen Moment mag so eine „Pax Arabica“ entstehen, die darauf gründet, dass Golfstaaten den akuten Geldbedarf afrikanischer Regierungschefs befriedigen. Aber alle daraus erwachsenden Friedensabkommen sind nur so gut wie die vorübergehenden Konstellationen von gleichgerichteten Interessen, aus denen sie hervorgehen. Heute entsteht eine solche Konstellation dadurch, dass die VAE gerade auf ein freundlich gesinntes afrikanisches Hinterland angewiesen sind, um für die Kämpfe im Jemen den Rücken frei zu haben. Doch das ist keine Grundlage für eine dauerhafte Friedens- und Sicherheitsordnung.
Der Artikel ist im Original erschienen in African Arguments.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
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