Ein Lehrstück, woran die internationale Friedenssicherung krankt, spielt sich zurzeit in Libyen ab: Marschall Chalifa Haftar facht dort den Krieg wieder an und brüskiert die Vereinten Nationen (UN). Haftar ist der starke Mann der Gegenregierung im Ostteil Libyens und Chef der Libyschen Nationalen Armee (LNA). Er hat im Februar zunächst den Süden des Landes unter Kontrolle gebracht und dann zum Angriff auf die vom UN-Sicherheitsrat anerkannte Regierung angesetzt – ausgerechnet am 4. April, als UN-Generalsekretär António Guterres in Tripolis war, um eine Nationalkonferenz vorzubereiten, die das Land zusammenbringen sollte.
Man sollte meinen, Europa und die USA würden sich, um neue Kämpfe in Libyen zu vermeiden, hinter Guterres stellen und zum Beispiel Haftar mit Sanktionen drohen. Doch sie haben nur lauwarm zur Mäßigung aufgerufen; die USA und Russland sind gegen die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats. Ähnlich wie in Syrien sind wichtige Staaten – Ägypten, mehrere Golfstaaten, Frankreich, Russland, die Türkei – in den Bürgerkrieg in Libyen verwickelt.
Das Land hat nach der westlichen Intervention von 2011 gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi nie zu einer im ganzen Land anerkannten Regierung gefunden. Nach Streit über die Wahlen von 2014 zogen das Parlament und die Armee nach Tobruk, während die Regierung in Tripolis von lokalen Milizen aus mehreren Städten gestützt wurde, darunter einige im Bündnis mit al-Qaida und dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Verhandlungen mit Hilfe der UN brachten 2016 die „Einheitsregierung“ unter Fajis al-Sarradsch, aber das Parlament in Tobruk schloss sich ihr dann doch nicht an.
Haftar hat sich mit Feldzügen gegen dschihadistische Milizen ab 2014 zum starken Mann in Ostlibyen gemacht – und zum begehrten Partner im Kampf gegen moderate wie radikale Islamisten. Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen ihn als Gegner der Muslimbrüder, die in Libyen politischen Einfluss haben und in Ägypten seit dem Putsch von 2013 brutal unterdrückt werden. Russland, die USA und Frankreich schätzen Haftar als Gegner von al-Qaida und des IS. Die Regierung Sarradsch ihrerseits hat die Hilfe von zwei Freunden der Muslimbrüder gewonnen: der Türkei und Katars.
Das Land ist politisch zerfallen
Doch in Libyen stehen sich nicht einfach ein islamistisches und ein säkular-nationalistisches Lager gegenüber. Das Land ist politisch zerfallen in Einflussgebiete von großen Städten, Klans, Stammesgruppen und Milizen. Viele Gruppen schließen Allianzen mit Haftar oder Sarradsch, nicht selten gegen lokale Rivalen, und wollen zugleich ihre Autonomie wahren. Manchmal wechseln sie das Lager. Sarradsch und Haftar können viele Landesteile nur mit Hilfe solcher lokaler Verbündeter kontrollieren und im Ringen um die Staatsmacht die Oberhand gewinnen.
Wenn fremde Staaten in solche Konflikte eingreifen, brauchen auch sie lokale Stellvertreter. Sie riskieren dann, von diesen benutzt zu werden – mit schwer kalkulierbaren Folgen. Das erfährt jetzt nicht zuletzt Paris. Frankreich hat Haftars Vorstoß in den Süden Libyens unterstützt – nicht zuletzt um seinem Verbündeten im Tschad, Präsident Idriss Déby, zu helfen, denn unter der Volksgruppe der Tubu im Grenzgebiet von Libyen, Niger und Tschad haben tschadische Rebellen Rückhalt. Das Ergebnis war offener Streit zwischen Frankreich und Italien; Rom unterstützte Gruppen der Tubu, damit sie an Libyens Südgrenze Migranten aufhielten.
Nach Haftars Vormarsch in den Süden haben die UN mit beiden Seiten ausgehandelt, die Regierungen zusammenzuführen und Haftar den lang ersehnten Posten des Armeechefs zu geben. Trotzdem konnte Paris Haftar nicht vom Marsch gen Tripolis abhalten. Auf seinen Sieg zu setzen, ist nun aber keine kluge Terrorbekämpfung. Wenn Kämpfe eskalieren, werden Kriegsherren und gewaltbereite Gruppen gestärkt und moderate Islamisten, die militärisch in Bedrängnis geraten, suchen beim IS oder al-Qaida Hilfe. Zudem kann Haftar das Land vielleicht erobern, aber kaum auf Dauer einen.
Vernünftig wäre, Europa und die USA würden Verhandlungen unter allen maßgeblichen Kräften in Libyen anstreben. Dazu müssten die USA auf Ägypten und die Golfstaaten einwirken, den Krieg in Libyen nicht weiter anzuheizen, wie sie zuletzt Saudi-Arabien zu Zurückhaltung im Jemen gedrängt haben. Doch der Regierung Trump ist die Front mit den Golfstaaten gegen den Iran wichtiger. Die EU-Staaten müssten sich auf eine gemeinsame Libyen-Politik verständigen und die UN-Vermittlung mit Zuckerbrot und Peitsche unterstützen. Trotz aller Apelle für gemeinsames Wirken nach außen sieht es danach nicht aus. Der UN-Generalsekretär kann einem wahrlich leidtun.
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