„Deutschland sollte mehr für den Wiederaufbau tun“

Irak
Sechs Tage hat Markus Grübel im März den Irak bereist. Unter den irakischen Jesiden herrsche großes Misstrauen gegenüber den sunnitischen Muslimen, berichtet der CDU-Politiker, der seit einem Jahr Beauftragter der Bundesregierung für Religionsfreiheit ist. Er meint, ein internationaler Gerichtshof könnte bei der Versöhnung helfen.

„Die Menschen müssen wieder lernen, nicht gegeneinander oder nebeneinander, sondern miteinander zu leben“, sagt Grübel. Als Religionsfreiheitsbeauftragter war er bereits zum zweiten Mal im Irak. Zwar würden in allen Programmen des Entwicklungsministeriums und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit die Beteiligten zum Dialog miteinander ermutigt. Aber das allein reiche nicht.

Für dringend nötig hält er die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs für den Irak. „Ohne Gerechtigkeit kann es keine Aussöhnung geben“, sagt Grübel. Deutschland müsse sich in dieser Frage stärker engagieren. „Wenn es keine Gerichte gibt, die Recht sprechen, besteht die Gefahr, dass die Menschen selbst zur Waffe greifen, um sich Gerechtigkeit zu verschaffen.“ In Jugoslawien und Ruanda habe man gesehen, wie wichtig ein internationaler Gerichtshof für die Versöhnung sei.

Angst vor zu vielen Sunniten

Auch die Rückkehr von Geflüchteten und Vertriebenen stellt den Irak vor große Schwierigkeiten und Aufgaben. Mit einigen Jesidinnen und Jesiden, die in die Provinz Sindschar zurückgekehrt seien, habe er gesprochen. Nicht alle seien sich sicher, dass sie auf Dauer in der Heimat bleiben würden. „Das Misstrauen gegenüber den sunnitischen Muslimen in den Nachbardörfern ist groß“, sagt Grübel. So dürften auf dem Markt in der Stadt Sindschar nicht alle Händler aus mehrheitlich sunnitischen Dörfern ihre Waren anbieten; aus Angst vor zu vielen Sunniten in der Stadt sei nur ein Vertreter zugelassen.

Grübel hat in den sechs Tagen mit mehr als 30 Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften gesprochen. Alle wünschten sich eine einheitliche staatliche Sicherheitsstruktur. Die Menschen aus dem Süd-Sindschar und der Ninive-Ebene, wo der Islamische Staat (IS) besonders brutal gewütet hatte, sähen allerdings weniger im IS eine Gefahr als vielmehr in den vielen kleinen Milizen und bewaffneten Gruppen, die an Checkpoints die Leute zum Teil sehr willkürlich kontrollierten.

Geistliche aller Religionsgemeinschaften einbeziehen

Am meisten würden die Menschen sich wünschen, dass ein europäisches Land oder die Europäische Union (EU) sich um Sicherheit in der Region kümmert. „Im Gegensatz zu den USA und den Vereinten Nationen haben Europa und Deutschland einen sehr guten Ruf“, sagt Grübel. Er bezweifelt allerdings, dass der Wunsch nach Schutztruppen aus einem EU-Land Wirklichkeit werden könnte. Zum einen, weil wohl kaum ein Land dazu bereit wäre, zum anderen weil die Regierung in Bagdad das nicht zulassen würde, sagt Grübel: „Die Iraker gehen davon aus, dass sie das Sicherheitsproblem selbst in den Griff bekommen.“

Umso wichtiger sei, dass Deutschland sich in anderer Weise in der Region engagiere, etwa bei der Minenräumung oder bei der Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte, fordert Grübel. Deutschland sollte zudem mehr Hilfe beim Wiederaufbau der Infrastruktur wie der Wasser- und Stromversorgung sowie im Gesundheits- und Bildungsbereich leisten. Im Sindschar gebe es derzeit nur eine Schule, sagt Grübel. „Es gibt Eltern, die mit ihren Kindern wieder zurück in die Lager gehen, weil die Kinder dort wenigstens ein bisschen Schulbildung bekommen.“ Außerdem brauche es dringend Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere für die junge Generation. Und schließlich Versöhnungsprojekte: „Es ist wichtig, dass wir die lokalen Geistlichen aller Religionsgemeinschaften miteinbeziehen. Sie sind in ihren Gemeinschaften als Autoritäten anerkannt und haben Zugang zu den Menschen.“
 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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