„Wähler sehr gezielt beeinflussen“

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Wahlkampf in Indien
Vor den Parlamentswahlen im April und Mai setzen die Parteien in Indien stark auf soziale Medien.
Die Politikwissenschaftlerin Sangeeta Mahapatra erklärt, wie sie dabei vorgehen – und welche realen Folgen die polarisierende Rhetorik im Netz hat.

Soziale Medien haben schon bei den vorherigen Wahlen 2014 eine Rolle gespielt, vor allem die hindunationalistische Partei BJP hat sie genutzt. Sie sprechen beim gegenwärtigen Wahlkampf von einer neuen Qualität. Was hat sich geändert?
Hunderte Millionen Inder, die damals noch nicht online waren, nutzen nun das Internet, meist mobil. Die Zahl der Smartphone-Nutzer hat sich seit 2014 von 150 Millionen auf 450 Millionen verdreifacht  vor allem dank billiger Geräte aus China und günstigen Datenpaketen, die auch für Ärmere erschwinglich sind. Ein Gigabyte Daten kostet in Indien 20 Dollarcent, in Deutschland zahlt man dafür durchschnittlich sieben Dollar. Indien ist gerade dabei, die digitale Kluft zu überwinden. Immer mehr Menschen informieren sich online über Politik, lesen Nachrichten. Das ist gut für die Demokratie. Zugleich setzen die Parteien massiv auf soziale Medien, um Wähler gezielt anzusprechen.  

Wie gehen sie dabei vor?
Die Strategien sind sehr ausgefeilt. Die beiden großen Parteien nutzen die gängigen Plattformen, um ihre Botschaften zu verbreiten, Spenden zu sammeln und ihre politischen Gegner zu diskreditieren. Es gibt 300 Millionen Facebook-Nutzer in Indien, 200 Millionen nutzen WhatsApp, außerdem gibt es Anwendungen für lokale Sprachen wie Helo oder ShareChat. Zudem haben die Parteien eigene Apps entwickelt, zum Beispiel NaMO, benannt nach Ministerpräsident Narendra Modi. Potentielle Wähler können da schreiben, was sie von politischen Programmen oder lokalen Politikern halten, Fanartikel kaufen oder sich an Aktionen beteiligen. Je aktiver sie sind, desto mehr Punkte sammeln sie. So fühlen sich die Nutzer als Teil des politischen Prozess. Das Problem dabei: Die Apps speichern viele persönliche Daten ab, auch Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Diesen Datenschatz können die Parteien ausschlachten.

Sind bei der Auswertung der Daten auch internationale Firmen wie etwa Cambridge Analytica beteiligt?
Nein, die spielen keine große Rolle. Wir haben genug einheimische Firmen, die solche Daten auswerten können und das Microtargeting beherrschen. Die Parteien erstellen zudem selbst Wählerprofile auf lokaler Ebene.

Das machen die Parteien selbst?
Ja, zumindest die BJP. Ein ehemaliger Mitarbeiter hat vor einigen Monaten öffentlich gemacht, wie die Partei dabei vorgeht. In jedem Wahlbezirk sind sogenannte Cyberkrieger aktiv, das sind von der Partei bezahlte Wahlkämpfer. Sie sichten die Wählerregister, anhand der Nachnamen können sie erkennen, welcher Religion oder welcher Kaste jemand angehört. Das bringt schon viel, weil in Indien viele religiöse Gruppen oder Kasten en bloc eine bestimmte Partei wählen. Zudem versuchen die Wahlkämpfer, über Datenhändler an die Telefonnummern und die Stromrechnung zu kommen. Auf Basis dieser Daten kann man ein sehr genaues Profil eines Wählers erstellen. Die Wahlkämpfer schreiben den Leuten dann Nachrichten über WhatsApp und sprechen auch Probleme an, die in dem Wahlbezirk gerade auftreten. So kann man Wähler sehr gezielt beeinflussen.  

Verstößt das nicht gegen den Datenschutz?
Es gab Vorwürfe, dass gegen den Datenschutz verstoßen wird. Die Regeln sind in Indien bislang sehr lax. Das könnte sich aber bald ändern. In diesem Jahr soll ein neues Datenschutzgesetz in Kraft treten, das sich an den europäischen Datenschutzrichtlinien orientiert. Generell gehen viele Menschen offen mit ihren Daten um. Wenn man jemanden nach seiner Handynummer fragt, bekommt man die meist sofort.

Welche Botschaften verbreiten die Parteien in den sozialen Medien?
Das hat sich seit 2014 gewandelt. Damals war die Zielgruppe eher jung, urban und gebildet. Die BJP hat voll auf das Motto Wachstum gesetzt. Aktuell geht es eher um den Konflikt mit Pakistan um die Region Kaschmir und allgemein um Identitätsfragen. Die Kaderorganisation der BJP, der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), redet viel über „Hindutva“, also die Idee, den Subkontinent in eine Hindu-Nation umzubauen. Die Botschaft ist, dass die Oppositionspartei, der Indische Nationalkongress, zu viel für Minderheiten gemacht hat, vor allem für die muslimische Bevölkerung, und die Mehrheit diskriminiert hat. Die Oppositionspolitiker machen das Spiel mit, indem sie sich über die BJP lustig machen. Diese Rhetorik polarisiert.

Welche gesellschaftlichen Folgen hat das?
Der Umgangston in den sozialen Medien ist ruppig. Es wird viel beleidigt. Säkulare werden als „sickular“ verunglimpft, Muslime als „porkies“ oder „cow eaters“. Unterstützer der BJP wiederum werden als „blind followers“ beleidigt. Dieser verbale Hass hat reale Konsequenzen. Es gab zuletzt mehrere Lynchmorde, weil jemand angeblich Rindfleisch gegessen hatte.

Reagiert die Politik darauf?
Teilweise, ja. Nachdem im vergangenen Jahr über WhatsApp verbreitet Gerüchte über Kindesentführung zu mehreren Lynchmorden geführt hatten, hat die Regierung WhatsApp in die Pflicht genommen. Das Unternehmen hat eine Beschwerdestelle eingerichtet und eingeführt, dass eine Nachricht nur noch an fünf Empfänger auf einmal weitergeleitet werden darf. Außerdem hat WhatsApp mit einer Fernseh- und Radiokampagne versucht, auf das Thema Fake News aufmerksam zu machen.

Hat das Wirkung gezeigt?
Bei Facebook oder Twitter, wo vieles öffentlich ist, ist es einfacher, Falschnachrichten zu entlarven. Es gibt inzwischen auch einige unabhängige Faktenchecker, die nichts anderes machen. Schwieriger ist das bei Plattformen wie WhatsApp, die die Kommunikation verschlüsseln. Zudem wird bei Helo und ShareChat in 14 lokalen Sprachen kommuniziert. Da kommen die Faktenchecker nicht hinterher. In der Bevölkerung fehlt es generell noch an Kompetenz im Umgang mit sozialen Medien.

Welche Rolle spielen die Parteien bei der Verbreitung von Fake News?
Offiziell verurteilen sie das natürlich. Aber sie sehen das Fehlverhalten immer nur beim politischen Gegner. Sie werfen sich gegenseitig vor, Falschnachrichten zu verbreiten. Beispiele dafür gibt es viele, etwa Videos, die zeigen sollen, wie ein Muslim eine hinduistische Frau belästigt – oder ein Hindu eine muslimische Frau. Solche Videos werden nie von offiziellen Seiten der Parteien verbreitet oder geteilt, aber es gibt Tausende Unterstützer, die das auf ihren Kanälen verbreiten. Die Videos sind gefälscht, aber sie zeigen Wirkung.

Sind traditionelle Medien ein Korrektiv?
Unter den klassischen Medien kann man ebenfalls eine Polarisierung beobachten, das war vor fünf Jahren noch nicht so stark ausgeprägt. Da zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie etwa in den USA.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher

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