Friedenspolitisch Blödsinn

Nato-Quote
Statt den Rüstungsetat zu steigern, sollte Berlin mehr Geld für Entwicklung und Diplomatie aufwenden und für eine Kehrtwende in der Nato streiten, meint Bernd Ludermann.

Seit Jahren verlangen deutsche Politiker und Sicherheitsexperten mehr Geld fürs Militär: Deutschland müsse die  Zusage von 2014 an die Nato-Partner einhalten und zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben. Dieses Ziel ist absurd und lenkt die Debatte über Deutschlands Verantwortung, die Befürworter des Ziels gern anmahnen, in eine völlig falsche Richtung.

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat Mitte März schweres Geschütz aufgefahren: Dass Finanzminister Olaf Scholz beim Verteidigungsetat knausere, zeige, dass er „keine Ahnung von den aktuellen sicherheitspolitischen Anforderungen“ habe. Dabei spielt die Bundesregierung das Spiel mit, unter Druck der Verbündeten und speziell der USA den Verteidigungsetat ständig zu erhöhen: Er ist seit 2014 von rund 33 auf 46 Milliarden Euro gewachsen, und Berlin hat im Februar eine Steigerung der Quote auf 1,5 Prozent bis 2024 zugesagt.

Erzürnt gibt sich auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, weil Olaf Scholz seinen Etat nicht weiter steigern und in 2021 sogar leicht absenken will. Deutschland würde dann auch eine andere Quote verfehlen, deren Erfüllung es seit langem immer wieder verspricht: 0,7 Prozent des BIP für öffentliche Entwicklungshilfe auszugeben.

Nun kann man bezweifeln, dass solche Quoten sinnvolle Vorgaben für die Politik sind. Zum Beispiel steigt die Nato-Quote, wenn die Bundeswehr Geld verschwendet oder die Wirtschaft kriselt. Und anscheinend beabsichtigt der Finanzminister, künftig die Hilfe für den Wiederaufbau des Irak aus dem Entwicklungs- in den Verteidigungshaushalt umzubuchen. So kann er rechnerisch die Nato-Quote auf Kosten der Quote für Entwicklungshilfe erhöhen, um die Verbündeten zufrieden zu stellen; praktisch ändert sich aber gar nichts.

Wo Politik der Nato-Staaten zum Sicherheitsrisiko wird

Sachlich aber ist der Ruf nach mehr Entwicklungshilfe, für den das 0,7-Prozent-Ziel eine Art moralischen Orientierungspunkt setzt, grundsätzlich sinnvoll. Die Nato-Quote hingegen ist friedenspolitisch Blödsinn. Es ist ja richtig, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen sollte. Eine Verständigung darüber kann aber nicht mit dem Ruf nach mehr Geld fürs Militär anfangen. Sie muss anfangen mit der Frage, was genau Frieden und Sicherheit gefährdet und mit welchen Mitteln man am besten gegensteuern kann.

Vorrangig sind da erstens mehr diplomatisches Engagement und mehr Investitionen in globale öffentliche Güter (zum Beispiel Hilfen für Klimaanpassung und für Friedenssicherung weltweit). Das Geld dafür sollte die Bundesregierung wie zugesagt zur Verfügung stellen, ohne es dem Entwicklungs- oder Außenministerium an anderer Stelle wieder abzuziehen. Zweitens sind gemeinsame europäische Strategien gefragt, die sich am Ziel der gemeinsamen Sicherheit aller betroffenen Länder orientieren, nicht nur der Nato-Staaten. Soweit man im Rahmen einer solchen Friedenspolitik Militär für nötig hält, ist dann zu klären, wozu genau – zum Beispiel für Friedensmissionen – und was es dafür braucht. Erst daraus ergibt sich der Geldbedarf.

Zugleich gehört auf den Tisch, inwieweit arrogante Politik von Nato-Staaten – vor allem, aber nicht nur der USA – selbst ein  Sicherheitsrisiko ist. Zum Beispiel haben die Interventionen in Afghanistan und Libyen dort keinen Frieden gebracht und die zweite hat das Klima zwischen den Nato-Ländern und Russland nachhaltig vergiftet. Das Nato-Land Türkei trägt zum Krieg in Syrien bei, Waffenexporte in den Nahen Osten befördern unter anderem den Krieg im Jemen. Der weltweite „Krieg gegen den Terror“ und der Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran heizen Konflikte weiter an. Den Militäretat zu steigern, damit Donald Trump uns gewogen und in der Nato alles beim Alten bleibt – das untergräbt auf die Dauer Frieden und Sicherheit, in Europa und weltweit.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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