Auch in diesem Jahr dürften auf der weltweit größten Tourismusmesse ITB im März in Berlin wieder neue Wachstumsrekorde gefeiert und die wirtschaftlichen Impulse gepriesen werden, die der Tourismus setzt. Die Zahlen sind tatsächlich beachtlich. Etwa zehn Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts werden im Tourismus erwirtschaftet; jeder zehnte Arbeitsplatz weltweit, so die Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Tourismus, hängt an der Branche. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wächst der Sektor überdurchschnittlich stark; das Reisegeschäft ist dort eine der wichtigsten Devisenquellen. Kein Wunder, dass viele Länder auf den Tourismus als Motor für wirtschaftliche Entwicklung setzen.
Doch Euphorie aufgrund des enormen Wachstumspotenzials ist unangemessen: Der Tourismus hat Schattenseiten und kann leicht zur Entwicklungsbremse werden. Die Staaten weltweit buhlen um die Gunst von Investoren für den Aufbau von touristischer Infrastruktur. Wenn sich Regierungen dabei gegenseitig mit Umwelt- und Sozialauflagen unterbieten und bei Steuervergünstigungen überbieten, hat die lokale Bevölkerung meist das Nachsehen: Ackerflächen von Kleinbauern weichen Landebahnen, Fischer verlieren den Zugang zum Strand, weil dort Hotelanlagen gebaut werden. Wenn sie Glück haben, finden einige der so Vertriebenen Arbeit in einem Hotel, allerdings oft zu prekären Bedingungen: nur in der Saison, schlecht bezahlt, ohne festen Vertrag und soziale Sicherung. Aufstiegschancen hat nur, wer Fremdsprachen spricht und eine gute formelle Bildung hat.
Der Tourismus bringt zwar Geld ins Land, sein Potenzial zur Armutsreduzierung wird jedoch selten genutzt. Denn zu oft fließt der größte Teil des Reisepreises auf die Konten internationaler Tourismuskonzerne oder lokaler Eliten. So generiert Tourismus kaum Steuereinnahmen, die in eine nachhaltige Entwicklung investiert werden könnten, etwa in den Ausbau der Bildungs- und Gesundheitssysteme. Auf lange Sicht verschärft der Tourismus vielerorts sogar Einkommensunterschiede und damit strukturelle Ursachen von Armut.
Von Investitionen profitieren meist nur die Touristen
Ein einseitiger Tunnelblick auf die Tourismusentwicklung zulasten anderer entwicklungsrelevanter Wirtschaftssektoren ist gefährlich. Weitläufige Ferienanlagen benötigen große Landflächen, Hotelpools und Golfplätze schlucken große Wassermengen. Damit gräbt der Tourismus vielerorts der lokalen Landwirtschaft buchstäblich das Wasser ab.
Autorin
Laura Jäger
ist Referentin für Tourismus und Entwicklung in der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt.Viele Regierungen und Investoren setzen leider weiterhin auf das Standardmodell der Tourismusentwicklung: In kilometerlangen Tourismuszonen reiht sich ein Hotel an das nächste mit ähnlichen All-inclusive-Paketen und Unterhaltungsprogrammen. Diese touristischen Monokulturen schaffen eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit vom Sektor. Sind die Bettenburgen gut gefüllt, droht die Branche am eigenen Erfolg zu ersticken: Es muss viel Geld investiert werden, um der anfallenden Müllberge und Abwasserfluten Herr zu werden. Bleiben die Betten dagegen leer, droht ein wirtschaftlicher Einbruch. Das ist insbesondere aufgrund der Saisonalität und der extrem unbeständigen touristischen Nachfrage ein Problem. Politische Unruhen oder Umweltkatastrophen treffen diese Länder und ihre Bewohner dann doppelt hart.
Die Menschen vor Ort müssen mitbestimmen können
Regierungen sind also schlecht beraten, wenn sie auf das schnelle Geld hoffen, den Investoren freie Hand lassen und auf Einheitsangebote nach Schema F setzen. Wenn der Tourismus seine größten Pfunde – intakte Natur und authentische Gastgeber – überstrapaziert, zerstört er sich auf lange Sicht selbst.
Damit Tourismus zu Entwicklung beitragen kann, braucht es langfristige Strategien und einen breit angelegten Austausch von Politik, Tourismusunternehmen und Zivilgesellschaft. Die Menschen vor Ort müssen mitbestimmen können, wie der Tourismus entwickelt wird. Und zwar so, dass ihre Rechte – etwa auf ihr Land oder den Zugang zu Wasser und Ressourcen – geschützt werden und sie davon profitieren. Denn nur wenn der Tourismus zur Verbesserung ihrer Lebenssituation beiträgt, wird er zum Entwicklungsmotor.
Große, aber austauschbare Hotelkomplexe, in denen die Reisenden kaum merken, ob sie sich gerade auf Hawaii oder in Haiti befinden, bringen auf lange Sicht zu wenig wirtschaftliche Impulse. Sie sollten ersetzt, zumindest aber ergänzt werden um kleinteilige Tourismusstrukturen in den Händen der lokalen Bevölkerung. Wenn Hotels im traditionellen Stil mit lokalen Baustoffen errichtet werden und Restaurants auf lokale Spezialitäten setzen, dann profitieren auch Handwerker-, Bauern- oder Fischerfamilien. Die enge Verzahnung zu anderen Wirtschaftszweigen fördert eine vielfältige und weniger krisenanfällige Entwicklung.
Die Urlauber haben es selbst in der Hand
Auch deutsche Reiseveranstalter sind gefordert, zur dringend benötigten Wende im Tourismus beizutragen. Sie müssen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette nachkommen, die Bedürfnisse der Menschen vor Ort respektieren und für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Wenn sie mit kleineren Tourismusunternehmen und gemeindebasierten Tourismusinitiativen in den Reiseländern zusammenarbeiten, stärken sie die lokale Wirtschaftsentwicklung und verschaffen auch ihren Kunden einmalige Urlaubserlebnisse.
Zu guter Letzt haben es auch die Urlauber selbst in der Hand, wie ihre nächste Reise wirkt – ob sie womöglich Schaden anrichtet oder aber für beide Seiten ein Gewinn ist. Wer seltener verreist, dafür aber länger an einem Ort bleibt, kann sich auf Land und Leute einlassen. Wer in einheimischen Lokalen statt in internationalen Restaurantketten isst, der kommt mit den Menschen vor Ort in Kontakt und sorgt dafür, dass sein Geld direkt bei Koch und Kellner ankommt. So wird ihr Urlaub nicht nur für Touristinnen und Touristen, sondern auch für ihre Gastgeber zum bereichernden Erlebnis.
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