Die Industrieländer brauchen ein neues Entwicklungsmodell, insbesondere eine Abkehr von fossiler Energie - das haben „Brot für die Welt", der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) mit der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" 2008 erneut betont. Aber was heißt das und wie kann man nachhaltige Entwicklung und globale Gerechtigkeit verbinden? Dem sind die drei Organisationen zusammen mit Partnern aus dem Süden Mitte Mai auf einer Tagung in Berlin nachgegangen.
Großen Raum nahm die Frage ein, ob das Ziel Wirtschaftswachstum aufgeben werden muss. Vertreter aus Nord und Süd waren sich einig, dass Wachstum nicht überall zu mehr Wohlstand führt und ein neuer, besserer Indikator für Fortschritt gefragt ist. Darüber hinaus ein gemeinsames Verständnis zu finden, erwies sich aber als nicht leicht. Viele Süd-Partner der kirchlichen Entwicklungswerke richten bei der Frage nach naturverträglichem Wirtschaften den Blick vor allem auf ländliche Gemeinschaften. So fordert Cândido Grzybowski, der Leiter des Brasilianischen Instituts für soziale und ökonomische Analysen (IBASE), eine Relokalisierung der Wirtschaft wie der politischen Macht. Dahinter steckt die Erfahrung, dass in Brasilien funktionierende ländliche Gemeinwesen mit Hilfe des Staates von der modernen Ökonomie unterhöhlt und verdrängt werden. Der Einsatz für sie kann aber leicht als Agrarromantik missverstanden werden. So nahmen einige deutsche Teilnehmende Grzybowskis Plädoyer zum Anlass, das Potenzial von nicht in die Geldwirtschaft integrierten lokalen Wirtschaftsweisen hervorzuheben. Aber eine Rückkehr zur Subsistenz kann kaum das Armutsproblem lösen und würde einen Teil der Menschheit von modernen Errungenschaften wie Bildungs- und Gesundheitsdiensten ausschließen.
Umgekehrt ist die Debatte, inwieweit Klimaschutz im Norden mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist, vielen Organisationen aus dem Süden eher fremd. Martin Jänicke, emeritierter Professor für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin, betonte hier das Potenzial des technischen Fortschritts. Eine kluge Politik - etwa hohe und steigende Standards für die Energieeffizienz von Geräten sowie Ökosteuern und die Anhebung der Energiepreise - könne bestehende Trends zu „grünen" Investitionen verstärken. So werde der technische Fortschritt beschleunigt, es würden sehr schnell „grüne" Arbeitsplätze entstehen und der Energieverbrauch sinken. So kann zwar, wie Jänicke einräumte, nur ein Teil der Aufgaben erledigt werden - nicht zum Beispiel der Waldschutz und die Umstellung der Landwirtschaft auf weniger Emissionen. Mit einem kleinen Wirtschaftswachstum sei die Strategie aber vereinbar.
Dem widersprach Tilman Santarius vom Wuppertal-Institut, das die Studie erstellt hat: Auch wenn Sektoren wie Erneuerbare Energien stark wachsen, werde das Umsteuern insgesamt eher zu einer Schrumpfung führen und viel Geld kosten. In Osteuropa, erwiderte Saso Klekovski aus Mazedonien, ist dieses Rezept unverkäuflich - da gilt das Ende des Wachstums als Ende des Fortschritts. Chee Yoke Ling, die Direktorin des Third World Network, betonte das Offensichtliche: Es kommt auf die Ausgangsbasis an - der materielle Konsum in reichen Ländern muss schrumpfen, in armen aber wachsen. Und Santarius sowie Fatima Mello aus Brasilien wiesen auf eine Schlüsselfrage hin, die auf der Tagung erstaunlich wenig Beachtung fand: soziale Ungleichheit. Sie bestimmt, welches Sozialprodukt für alle reicht.
Bernd Ludermann