Die Diskussion über die Globalisierung und das Verhältnis zwischen Nord und Süd hat einen festen Platz im Programm evangelischer Kirchentage. Beim diesjährigen Treffen Ende Mai in Bremen erhielt sie angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise neuen Auftrieb. Politiker, Wirtschaftsexperten und Banker diskutierten über die Auswirkungen der Krise und die Lehren, die daraus zu ziehen sind.
Der globale Finanzmarkt braucht eine strengere Regulierung - darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedener Podien einig. „Moralische Appelle an die Banker nutzen nichts", sagte etwa Altbundeskanzler Helmut Schmidt, die Regeln für den Kapitalfluss seien unzureichend. Umstritten war aber unter anderem, ob die Ansätze des Londoner Gipfels der G20 in die richtige Richtung weisen und welche Rolle der Internationale Währungsfonds (IWF) spielen soll. Laut Schmidt soll er einen Entwurf für internationale Vereinbarungen über Regulierungen des Kapitalmarktes vorlegen. Das Treffen der G20 Ende April in London habe „auf dem Papier den richtigen Weg" vorgegeben; jetzt gelte es, diese Vereinbarungen umzusetzen. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul verlangte, dass Finanzprodukte künftig nur nach einer dem TÜV vergleichbaren Prüfung auf den Markt kommen dürften. Zugleich sprach sie sich für eine stärkere Kontrolle der Rating-Agenturen aus.
Auch der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta forderte eine weltweite Regulierung, wandte sich jedoch scharf gegen die Stärkung des IWF. Notwendig seien ein internationales Insolvenzsystem sowie die Schaffung einer Weltzentralbank, die die nationalen Banken kontrolliert. Sven Giegold, Mitbegründer von attac-Deutschland, erklärte, der Wettbewerb um niedrige Steuern auf Kapitalerträge müsse beendet werden. Doch die bisherigen Regulierungsversuche für Steueroasen liefen ins Leere. Auch dürften Alters- und Krankenversicherungen nicht den Gesetzen des Finanzmarkts unterworfen werden.
Die Wirtschaftskrise kann nach Einschätzung von Weltbank-Chef Robert Zoellick Millionen Menschen in den Entwicklungsländern zusätzlich in absolute Armut stürzen. Es sei zu befürchten, dass die Zahl der mangelernährten Kinder sowie der Schulabbrecher steige. Zugleich sei jetzt der „Moment, die Zukunft anders zu gestalten": Soziale Netze für die Armen müssten gestärkt werden. Nach Ansicht von Altkanzler Schmidt ist allerdings die Zunahme der Bevölkerung eine größere Bedrohung für die Entwicklung in den Ländern des Südens als die Wirtschaftskrise. Er schlug vor, Entwicklungshilfe künftig an zwei Bedingungen zu knüpfen: Die Empfängerländer müssten sich verpflichten, weniger Geld in ihre Militärhaushalte zu stecken und die Chancengleichheit von Mädchen und Jungen zu fördern. Zoellick stimmte zwar zu, dass Bildung für Mädchen der Schlüssel für eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums sei. Mit Zwang sei das aber nicht zu erreichen.
Gesine Wolfinger