Von Knut Henkel
Montería ist die inoffizielle Hauptstadt der Paramilitärs in Kolumbien. Nach Jahren des Terrors und des Schweigens hat die Zivilgesellschaft angefangen, sich zu wehren. Ausgangspunkt ist die Universität Cordoba, an der Studierende und Professoren in Streik getreten sind, um den Einfluss paramilitärischer Kräfte zurückzudrängen. Aber einige der alten Seilschaften sind noch immer intakt.
Miriam Cecilia Grau McNish spricht mit ruhiger, fester Stimme. Klar und strukturiert formuliert die 62-Jährige ihre Sätze. „Ich habe mich lange gefürchtet, den Mord an meinem Mann anzuzeigen und die Bestrafung der Täter einzufordern. Aber ich habe lange genug gewartet. Der Zeitpunkt ist gekommen, gegen die Straflosigkeit in unserem Land zu protestieren und Vergeltung zu fordern", sagt die Witwe mit dem sorgsam zurückgekämmten schwarzen Haar, das von einem Netz und einem Satz Nadeln zusammengehalten wird.
Sie hat all ihren Mut zusammengenommen, um an die Universität in Montería zu kommen. Über eine Gewerkschaft der Professoren hat sie erfahren, dass sich dort heute eine internationale Juristenkommission mit der Menschenrechtssituation in der Region im Norden Kolumbiens vertraut machen will. „Elf Jahre habe ich geschwiegen, heute möchte ich dafür sorgen, dass Lucio Elias nicht umsonst gestorben ist und vergessen wird", betont Miriam Cecilia mit bebender Stimme. Nur zu genau weiß sie, wer für den Mord an ihrem Mann, der an der Universität in Montería gelehrt hat, verantwortlich ist. „Salvatore Mancuso hat mir selbst gesagt, dass er den Mord in Auftrag gegeben hat. Das war in einer der Videokonferenzen. Comandante Brian war für die Ausführung verantwortlich", erklärt die Witwe, und man sieht ihr förmlich an, wie ihr eine Last von den Schultern fällt.
Salvatore Mancuso war Mitte der 1990er Jahre für die Gründung der Paramilitärs in Kolumbien verantwortlich. Im Dezember 2006 gab er im Rahmen der so genannten Demobilisierung seine Waffen ab und sitzt heute in den USA im Gefängnis. Dort fanden die Videokonferenzen statt, in denen Miriam Cecilia den in Montería einst allmächtigen Chef der Paramilitärs befragen konnte. Seitdem hat sie Gewissheit. Sie atmet tief durch, das jahrelange Schweigen, die latente Angst vor Vergeltung hat Spuren hinterlassen. „Er hat den Mord als Teil einer Säuberung an der Universität in Auftrag gegeben."
Montería ist die Hauptstadt der Viehzüchterprovinz Cordoba. Hier trifft sich, wer in der wohlhabenden Region etwas zu sagen hat. Bereits beim Anflug auf die knapp eine Million Einwohner zählende Stadt fallen die weitläufigen, mit einzelnen Bäumen gespickten Viehweiden und große Farmen auf. Die extensive Viehwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig in der Region und die Weideflächen befinden sich in der Hand von einigen wenigen. Zu den großen Landbesitzern gehören nicht nur die Familien von Salvatore Mancuso und dessen ehemaligem Kompagnon Carlos Castaño, sondern die gesamte politische Elite der Stadt.
Die versammelt sich wie eh und je im noblen Country Club - inzwischen allerdings ohne die prominenten Führer der Paramilitärs. Während Carlos Castaño im April 2004 vermutlich von den eigenen Leuten aufgrund von Meinungsverschiedenheiten getötet wurde, wartet Salvadore Mancuso in den USA auf seinen Prozess wegen Drogenschmuggel. Einst herrschte er in Montería wie ein König. „Gleich um die Ecke vom Country Club steht Mancusos Stadtvilla. In deren Nachbarschaft hat er für seine Gefolgsleute ein halbes Stadtviertel aus dem Boden stampfen lassen. Das war hermetisch abgeriegelt", erklärt Antonio Flores. Der Gewerkschafter, der rund um die Uhr von zwei Leibwächtern begleitet wird, ist nach acht Jahren Exil in Bogotá in seine Heimatstadt zurückgekommen, um Flagge zu zeigen. Flores, ein Biologe, hat sich gemeinsam mit seinen Genossen das Ziel gesetzt, die Universität Cordoba zurückzuerobern und ein Zeichen des Neubeginns zu setzen.
„Wir streiken, um unsere Rechte gegenüber der Universitätsleitung durchzusetzen und um die Universität vom Einfluss der Paramilitärs zu befreien", erklärt Flores und deutet auf das mit einem Transparent verzierte Portal. „24 Morde an Universitätsmitarbeitern durch Paramilitärs" ist da zu lesen. Und das Hauptgebäude der Hochschule wurde mit Slogans wie „Schluss mit den Motorsägenmassakern" und „Weg mit den Stiefeln der Paramilitärs" besprüht. Ungewohnte Töne in einer Stadt, die als Wiege der Paramilitärs gilt, und in der sie hinter den Kulissen nach wie vor agieren, wie Iván Cepeda unumwunden zugibt.
„Montería ist alles andere als frei von Paramilitärs - nur beginnt sich hier wieder die Zivilgesellschaft zu rühren", sagt der Koordinator der „Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen" (Movice). Cepeda, der freundlich, aber bestimmt auftritt, ist einer der international profilierten Menschenrechtsaktivisten Kolumbiens und nebenbei Kolumnist der liberalen Tageszeitung „El Espectador". Er kennt sich in Cordoba aus, denn vor einem Jahr haben sich die Gewerkschafter mit der Bitte um Hilfe an ihn gewandt. Öffentlichkeit wollten sie herstellen, auf die Situation an der Universität aufmerksam machen, die letztlich fest in paramilitärischer Hand war.
„Der Rektor der Universität war faktisch vom Chef der Paramilitärs eingesetzt worden, eben von Salvatore Mancuso", sagt Iván Cepeda. Gemeinsam mit Jorge Rojas, dem Direktor der Menschenrechtsorganisation Codhes, hat er ein Buch über die paramilitärischen Strukturen in und um Montería geschrieben. Als intellektueller Vater der Paramilitärs gilt Rodrigo García, ein einflussreicher Viehzüchter, der zu den Freunden des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe gehört und im Januar wegen seiner zahlreichen Verstrickungen verhaftet wurde. „García hat die Paramilitärs immer wieder ungestraft als Helden des Vaterlands gelobt und dafür gesorgt, dass in Montería eine Statue errichtet wurde, die die Verbrüderung der bewaffneten Kämpfer, eben der Paramilitärs, mit dem Bauern feiert", erklärt Cepeda.
Das Para-Denkmal steht für den Versuch, die sich über den Drogenhandel finanzierenden Paramilitärs als Verteidiger des Vaterlandes darzustellen, die gegen die linke Guerilla kämpfen. Daran beteiligt sich auch Kolumbiens Präsident Uribe: 2003 nahm er Verhandlungen mit ihnen auf, die dann zur Demobilisierung, den damit verbundenen Amnestievereinbarungen für die einfachen Kämpfer und milden Haftstrafen für die Anführer führten.
Mancuso und Castaño gründeten Mitte der 1990er Jahre die größte paramilitärische Organisation, die bäuerliche Selbstverteidigung von Córdoba und Urabá (ACCU), überzogen den Norden des Landes mit Terror und führten wenig später auch noch alle Verbände im paramilitärischen Dachverband (AUC) zusammen. Die Netzwerke dahinter haben Cepeda und Rojas unter die Lupe genommen und sind dabei auch auf Kolumbiens Präsident Uribe gestoßen. Der besitzt nämlich nicht nur eine Ranch vor den Toren von Montería, sondern pflegt auch beste Kontakte zu Viehzüchtern wie Rodrigo García. Der ehemalige Hochschulrektor Claudio Sánchez Para ist laut den Recherchen ebenfalls ein guter Freund Uribes. Der Rektor musste im Januar 2009 seinen Posten räumen und sitzt nunmehr in Untersuchungshaft. Seitdem hoffen Angestellte, Professoren und Studenten der Universität, dass sich die Uni endlich aus der paramilitärischen Umklammerung lösen kann.
„Mitte der 1990er Jahre begann die Säuberung, so heißt es im paramilitärischen Jargon, an der Universität von Montería", erklärt Professor Miguel Palomino Cantilla. Fünf seiner Kollegen wurden zwischen 1995 und 2002 von Killern der Paramilitärs ermordet. Nähe zur Guerilla war der Grund für das Todesurteil. Das war im Fall von Lucio Elias, dessen Witwe Miriam Cecilia Grau McNish nun gegen das Vergessen kämpft, genauso wie bei Francisco Javier Aguilar Madora. Dessen Frau Nancy del Carmen ist ebenfalls an die Uni gekommen, um der Delegation von Anwälten aus Europa, die Iván Cepeda eingeladen hat, ihren Fall zu schildern.
„Ich habe lange keine Anzeige erstattet, weil ich selbst bedroht wurde", sagt die Witwe mit leiser Stimme. Mit dem Schweigen ist nun Schluss, denn sie will ihren Beitrag für die Wiederbelebung der Universität leisten. Die steht noch vollkommen am Anfang, denn der neue Rektor stammt zwar von der Uni und ist gewillt, die Freiheit der Lehre und der Auseinandersetzung zurückzubringen, doch das ist alles andere als ungefährlich. „Der Unistreik, die Solidarität zwischen Angestellten, Studenten und Professoren, ist etwas Besonderes und vielleicht der Neuanfang, auf den wir alle hoffen", erklärt die junge Studentin Elena Mercado mit angespanntem Lächeln und fährt fort: „Aber jeder Satz ist auch ein persönliches Risiko, denn es gibt sie schließlich noch immer hier, die Paramilitärs".
Die 22-jährige Studentin spielt nervös mit dem Herzen aus Silber, das an einer Kette um ihren Hals hängt. Gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Kommilitonen hat sie sich entschieden, Flagge zu zeigen, aber die Angst vor dem Gegenschlag der Paramilitärs ist ein ständiger Begleiter. Sechs Verwandte von Salvatore Mancuso und Carlos Castaño arbeiten laut den Recherchen von Iván Cepeda in der Verwaltung der Universität. Viele Gewerkschafter haben ein mulmiges Gefühl, unter deren Augen zu streiken, und fordern ihre Entlassung. Dass ihre Furcht nicht unbegründet ist, bestätigt einer der Leibwächter des Gewerkschaftsfunktionärs Antonio Flores:: „Die paramilitärischen Aktivitäten in Córdoba nehmen zu, wir haben den Eindruck, dass sie sich wieder neu formieren." Im gepanzerten Geländewagen fährt er gemeinsam mit einem Kollegen die beiden Arbeitervertreter zur Uni. Der Staat gewährt ihnen diesen Service nicht ganz freiwillig. Erst die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisationen amerikanischer Staaten (OAS) musste Bogotá dazu anhalten.
Auch Iván Cepeda hätte Anspruch auf staatlichen Schutz. Er verlässt sich jedoch lieber auf Begleitung durch die Peace Brigades International und appelliert an die Opfer, für die eigenen Rechte einzutreten. Miriam Cecilia Grau McNish hat damit begonnen. Detailliert schildert sie den Anwälten aus Europa, wie es zur Ermordung ihres Mannes kam und wer dafür verantwortlich ist. Endlich soll der Fall angezeigt werden, um elf Jahre später eine kleine Chance auf Aufklärung und Sühne zu haben. Ein wichtiger Schritt, um die Vorherrschaft der Paramilitärs in Montería zu brechen, aber zugleich nur einer in einer ganzen Reihe, die noch folgen müssen.
Knut Henkel ist freier Journalist in Hamburg.
Trügerische Sicherheit Laut der kolumbianischen Regierung hat sich die Sicherheitslage in Kolumbien unter der Regierung von Álvario Uribe Vélez merklich gebessert. Dabei wird vor allem auf die sinkende Zahl von Entführungen und Morden sowie darauf verwiesen, dass man im Inland wieder ohne Angst vor Überfällen reisen kann. Diese Erfolge bestreiten auch renommierte Menschenrechtsanwälte wie der Direktor der kolumbianischen Juristenkommission Gustavo Gallón nicht. Trotz der Demobilisierung von 32.000 Paramilitärs nähmen aber die Zahl der politischen Morde ebenso zu wie die Zahl der Binnenflüchtlinge, gibt er zu bedenken. Ein neues Phänomen sind zudem die „falschen Erfolgsmeldungen". Gallón kennt 1600 Fälle von jungen Männern, die von der Armee als im Kampf gefallene Guerilleros präsentiert wurden. „In Wahrheit sind sie jedoch willkürlich von den Soldaten ermordet worden, um das als Erfolg im Kampf gegen die Guerilla zu verkaufen", schildert der Anwalt die Strategie der Regierung, für die in den vergangenen Jahren immer mehr Beweise zusammengetragen worden sind. Eine ernüchternde Kehrseite der Erfolgsmeldungen aus dem kolumbianischen Präsidentenpalast. (kh)