Xola Dingiswayo hat den Absprung aus der Kriminalität geschafft – auch dank der Bewährungshilfe von
The Message.
Dampf steigt in alle Richtungen auf. Die Espressomaschine schnaubt, während sie Milch in Schaum verwandelt. Dann springt das Mahlwerk an und zerreibt die Bohnen zu braunem, köstlich duftendem Pulver. Dass diese Kulisse irgendwann sein Leben erhalten würde, hatte Xola Dingiswayo nie zu träumen gewagt. Früher bestimmten andere Geräusche den Alltag des jungen Südafrikaners: das Heulen der Polizeisirenen oder das Knattern von Pistolenschüssen.
Drei Studentinnen haben ihre Köpfe über einem Laptop zusammengesteckt. Zwei Tische weiter schlürft ein älterer Mann aus seiner Tasse, während er in einem Buch liest. Willkommen im Gangstar Café in Mowbray, einem südlichen Vorort von Kapstadt. Der kleine Eckladen liegt etwa eine Stunde Autofahrt vom Gefängnis Drakenstein entfernt – für die meisten der Kellner zeitweise ein Zuhause. Und in unmittelbarer Nachbarschaft liegt die Township Manenberg – auch bekannt als Südafrikas Hauptstadt der Bandengewalt. „Wir kombinieren unglaubliche Geschichten mit gutem Kaffee“, heißt es auf der Website des Cafés. Es ist das inoffizielle Motto des Betriebs, der sich zum Ziel gesetzt hat, ehemaligen Bandenmitgliedern mit einer Ausbildung eine zweite Chance zu geben.
Xola Dingiswayo wuchs auf in Samora Machel, einem Bezirk in den berüchtigten Cape Flats, Kapstadts Township-Siedlung. „Bei uns zu Hause waren nur meine Mutter und meine vier Schwestern, kein Vater. Das gab mir das Gefühl, nicht dazuzugehören. Also ging ich raus und suchte mir Freunde“, erinnert sich der 29-Jährige mit dem gewinnenden Lächeln. Die Wahl seiner Freunde bezeichnet er inzwischen als „unklug“. Bereits im Alter von 14 begannen er und seine Kumpels, wie er es heute nennt, „ungezogen zu sein“: nächtelange Trinktouren durch illegale Township-Kneipen, Gras rauchen, mit den Kriminellen rumhängen. „Wir hatten Spielzeugpistolen und Buschmesser, mit deren Hilfe wir die Leute ausraubten.“ Sie verschonten noch nicht einmal ihre eigenen Familien.
Die Polizei klopfte an die Tür
Autor
Markus Schönherr
ist freier Korrespondent in Kapstadt und berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus dem südlichen Afrika.In Südafrika prallen sozioökonomische Unterschiede hart aufeinander. Die Weltbank sieht die Kaprepublik als Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung weltweit. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, jeder vierte Südafrikaner hat keinen Job. Nur ein Drittel der Kinder wächst laut Statistik bei beiden Eltern auf. Ein weiteres Drittel hat nur Mutter oder Vater und die übrigen sind Waisen. Fehlende Jobs und fehlende Vorbilder – das führt vor allem in den Armenvierteln der Städte dazu, dass sich kriminelle Banden bilden. Kaum eine Woche vergeht, in der sich etwa in Kapstadt die „Clever Kids“, die „Hard Livings“ oder die „Americans“ nicht bekriegen – kein Wochenende ohne Tote. Im vergangenen Jahr waren es allein in der Region um Kapstadt mehr als 800.
Wer geschnappt wird, erhält nur selten eine Verschnaufpause. Denn die Gangs sind auch in den Gefängnissen aktiv. Im chronisch überbelegten Pollsmoor etwa haben die Nummern-Banden das Sagen: Wer sich bei den „26s“ beweist, steigt in die „27s“ auf; wer dort Punkte sammelt, darf zu den „28s“ und so weiter. Immer wieder bekriegen sich die Banden in den Haftanstalten untereinander, Insassen werden verletzt oder sogar getötet. Die Chance, sich ein Leben ohne Kriminalität aufzubauen, bieten Südafrikas Gefängnisse kaum. Die Rückfallquote liegt zwischen 60 und 80 Prozent. Für die meisten geht es von den Gefängnistoren direkt zurück zu ihrer Gang.
Für Dingiswayo jedoch änderte sich etwas: Er begann im Gefängnis, regelmäßig zur Kirche zu gehen. „Nicht, weil wir die Predigt hören wollten, sondern weil wir ständig eingesperrt waren und zum Gottesdienst raus durften“, räumt er ein. Nach seiner Verlegung nach Drakenstein traf er auf die Mitarbeiter von The Message. Die christliche Organisation setzt sich in Großbritannien für junge Straftäter nach deren Entlassung ein, mit Wohnmöglichkeiten, einer Jobvermittlung und einem offenen Ohr für ihre Sorgen. Seit 2013 ist sie mit ihrem ersten Auslandsprojekt auch in Kapstadt vertreten. Und Dingiswayo fühlte sich ernst genommen: „Wann immer ich die Mitarbeiter sah, unterhielt ich mich mit ihnen. Und ich konnte die Liebe in ihren Augen sehen, die sie für Leute im Gefängnis hatten. Sie meinten es ernst.”
Das Gangstar Café
Bevor The Message in Südafrika aktiv wurde, hatten sich in den Gefängnissen des Landes schon etliche Hilfsorganisationen um jugendliche Insassen gekümmert. Als eine der ersten arbeitet sie jedoch gezielt mit Jugendlichen in der „Pre-Release Phase“ zusammen, also im Jahr vor der geplanten Entlassung. Gemeinsam sucht man nach einer passenden Arbeitsstelle und plant das Leben nach der Haft. „Hier in Kapstadt ist die Mehrheit der Bevölkerung arm. Dadurch sind mehr Jugendliche in Gefahr, rückfällig zu werden“, sagt Landesdirektor Tim Tucker.
Das Gangstar Café ist im März 2017 eröffnet worden. Die Jugendlichen, die dort arbeiten, stehen erst am Anfang, aber träumen groß: von mehreren Filialen in der Drei-Millionen-Einwohner-Stadt und mobilen Kaffeebuden in den Straßen. Laut Tucker reagierten die Gäste positiv, sobald sie erfahren, dass frühere Bandenmitglieder ihren Cappuccino servieren. „Wir lieben dieses Überraschungsmoment“, gesteht er und schmunzelt. „Es trägt dazu bei, Vorurteile zu tilgen.“ Mittlerweile kämen viele Gäste, um sich mit den „Gangstars“ zu unterhalten und „ihr Geld dort zu lassen, wo es Wandel bringt“.
Chancen auf eine vorzeitige Entlassung eröffnet die Ausbildung im Gangstar Café zwar offiziell nicht. „Aber wir können die Jugendlichen dabei unterstützen, sich eine Wohnung oder einen Job zu suchen. Und wir haben einen guten Draht zu den Bewährungshelfern“, berichtet Tucker. The Message helfe dabei, die notwendigen Papiere wie Wohnungs- und Arbeitsnachweis zusammenzutragen, oder, falls nötig, einen Vormund zu finden. In manchen Fällen könne man so erfolgreich für eine frühzeitige Entlassung argumentieren.
Die Ausbildung zum Barista im Gangstar Café dauert vier Monate. Danach werden die Kandidaten auf Empfehlung von The Message an andere Cafés vermittelt. Einer der Absolventen hat inzwischen seinen eigenen Betrieb. Wer nicht weiter in der Gastronomie arbeiten möchte, kann in einem der Konzerne unterkommen, mit denen The Message kooperiert – im Baugewerbe oder in der IT-Branche.
Überzeugungsarbeit sei in den Gefängnissen nicht nötig. Statt wie zu Beginn Kandidaten anzuwerben, gelte es heute, den Stapel an Bewerbungen abzuarbeiten. „Die Jungs im Gefängnis suchen die Veränderung. Sie wollen die Chance ergreifen, die ihnen geboten wird“, stellt Tucker fest. Dingiswayo ist einer von sechs Baristas, die The Message in den letzten eineinhalb Jahren ausgebildet hat. Seine Erfahrungen sind durchweg positiv: „Die meisten Gäste akzeptieren dich, wie du bist, und reduzieren dich nicht nur auf deine Vergangenheit.“ Und: „Wenn sie mir meine Geschichte erst glauben, beginnen viele, mir ihre eigenen Sorgen anzuvertrauen.“
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