Damit hat Ulrich Hess nicht gerechnet. Der Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) steht im März 2017 in der Lagerhalle einer Baumwollplantage nahe der Stadt Mumbwa in der Zentralprovinz von Sambia. Er soll ein Finanzinstrument vorstellen, das helfen kann, Dürrefolgen zu bewältigen. Er ist nicht zum ersten Mal hier, und er hat sich einmal mehr darauf eingestellt, einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch die etwa zwei Dutzend Kleinbauern hängen regelrecht an seinen Lippen, obwohl ihnen der Schweiß bei Temperaturen bis zu 40 Grad über die Stirn rinnt und sie drei Stunden fast ohne Trinkpause ausharren. Sie saugen jedes Wort auf. Das wichtigste lautet: „Klimarisikoversicherung“.
Gegen eine jährliche Prämie können sich die Kleinbauern gegen Ernteausfälle als Folge von Trockenheit über ihren Arbeitgeber, dem Agrarunternehmen NWK Agri-Services, versichern. Unterschreiten die Niederschläge einen bestimmten Schwellenwert, zahlt ihnen das Unternehmen, das mit einer regionalen Versicherung kooperiert, innerhalb kürzester Zeit eine Entschädigung.
Dürren sind in dem südafrikanischen Land ein großes Problem: Es regnet weniger und nicht mehr so regelmäßig wie früher. „In der Vergangenheit wussten die Bauern: Anfang Dezember beginnen die Regenfälle“, sagt Hess. „Sie konnten fast ihre Uhr danach stellen.“ Inzwischen schüttet es manchmal schon im November, während der ganze Dezember trocken bleibt. Wenn die Bauern gesät haben und es in den folgenden drei Wochen nicht regnet, sprießen die Pflanzen oft gar nicht aus dem Boden – und es muss erneut gesät werden. Das aber können sich die Bauern oft nicht leisten. „Das ist ein Fall für Wetterversicherungen“, sagt der 51-jährige GIZ-Mitarbeiter, der schon für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und die Weltbank gearbeitet hat.
Schäden durch Extremwetter
Laut dem Rückversicherer Munich Re haben Extremwetter zwischen 1980 und 2016 in Schwellen- und Entwicklungsländern wirtschaftliche Schäden in Höhe von etwa einer Billion US-Dollar verursacht – lediglich drei Prozent davon seien versichert gewesen und dafür hätte es eine Entschädigung gegeben. Im Jahr 2007 begannen erste Ländergruppen, Klimarisikoversicherungen zu testen – aus Frust über sich häufende Dürren und Überschwemmungen und die Abhängigkeit von internationaler Hilfe, die oft Wochen braucht, bis sie eintrifft.
Zunächst versicherten sich einige karibische Staaten gegen Wirbelstürme. Im Katastrophenfall zahlt etwa die Pacific Catastrophe Risk Assessment and Financing Initiative (PCRAFI), ein von der Weltbank ins Leben gerufenes Pilotprojekt, das sowohl von den beteiligten Ländern als auch von Geberländern finanziert wird, das Zwölffache des Prämienbeitrags aus – um zum Beispiel Brücken oder Flughäfen wiederaufzubauen. Dann folgten afrikanische Staaten mit der African Risk Capacity (ARC), einer von der Afrikanischen Union getragenen Katastrophenabsicherung.
2015 riefen die Industriestaaten auf dem G-7-Gipfel im oberbayerischen Elmau die InsuResilience-Initiative ins Leben, an der sich neben Ländern wie Deutschland auch Entwicklungsbanken, die Zivilgesellschaft und Versicherungsunternehmen beteiligen, darunter die Allianz, die Munich Re und die Swiss Re. Im vergangenen November wurde die Initiative auf dem Weltklimagipfel in Bonn offiziell gestartet. Das Ziel: Bis zum Jahr 2020 sollen in den ärmsten Ländern 500 Millionen Menschen Zugang zu Klimaversicherungen bekommen. Der Fonds ist die erste globale Initiative zur Absicherung gegen Klimarisiken. Mehr als 40 Länder, internationale Entwicklungsagenturen, nichtstaatliche Organisationen und Versicherungsunternehmen stehen hinter der Initiative, fördern sie finanziell, bieten Beratung und technische Hilfe an.
100 Millionen Versicherte im globalen Süden
In den meisten Fällen laufen Klimaversicherungen indirekt über die Staaten: Regierungen schließen die Verträge, zahlen die Prämie und erhalten im Versicherungsfall die Entschädigung, die sie dann an die betroffenen Bauern verteilen. Dabei bewerten Versicherungen auf Grundlage von Klima- und Wetterdaten zunächst das Risiko eines Landes für ein bestimmtes Extremereignis. Mit Hilfe von Satelliten lassen sich etwa Niederschläge messen. Daraus berechnen die Versicherungen einen Index. Fällt dieser Wert unter die Grenze, die im Versicherungsvertrag vereinbart wurde, fließt automatisch Geld. Die Entwicklungsländer arbeiten außerdem Notfallpläne aus, damit die Finanzhilfe im Katastrophenfall schnell dorthin gelangt, wo sie gebraucht wird. Insgesamt sind bis heute mehr als 100 Millionen Menschen im globalen Süden gegen Klimarisiken versichert. „Eine schnelle Auszahlung rettet Leben und Besitz und hilft, Folgeschäden zu vermeiden“, sagt ein Sprecher des Bundesentwicklungsministeriums.
Autor
Benjamin von Brackel
ist freier Umweltjournalist in Berlin und stellvertretender Chefredakteur des Online-Magazins klimareporter.de.Kritiker bekommen Bauchschmerzen, wenn sie daran denken, dass die ärmsten Länder sich gegen Klimafolgen versichern müssen, die ihnen die Industriestaaten eingebrockt haben. „Mit Klimagerechtigkeit haben Klimarisikoversicherungen nichts zu tun“, sagt Sabine Minninger von Brot für die Welt. Denn nicht die Verursacher müssen zahlen, sondern die Leidtragenden. Außerdem würden mit voranschreitendem Klimawandel die Prämien für Länder wie Mauretanien oder Niger immer höher.
Eine gerechtere Lösung böte ein Fonds, über den die Industrieländer die ärmsten und verwundbarsten Länder für Schäden und Verluste durch den Klimawandel entschädigen, sagt Minninger. Doch das lehnen die reichen Staaten ab, denn damit würden sie sich zu ihrer Verantwortung für die Erderwärmung bekennen. Mit Klimaversicherungen werden sie das Problem kostengünstiger los, sagt Minninger, die trotz ihrer Bedenken den Versicherungen auch etwas Gutes abgewinnen kann: Zumindest helfen sie sofort. „Bis irgendwelche Fonds aufgesetzt werden, sterben Menschen“, sagt sie.
Eine weitere Kritik an den Versicherungen lautet: Die Bewältigung des Leids der Ärmsten durch den Klimawandel wird privatisiert, indem Versicherungsunternehmen mit der Aufgabe betraut werden. Sie können mit den Prämien und Fördermitteln der Europäischen Union – also Steuergeldern – Profit erwirtschaften. Und sie können ihren Fuß in neue Märkte in Afrika, Lateinamerika und Asien setzen. „Versicherungsunternehmen sind nicht mit dabei, weil sie Charity-Organisationen sind, sondern weil es ihr Kerngeschäft ist“, stellt Minninger klar.
Anspruch auf Entschädigung
Eine umfassende Evaluation von Klimarisikoversicherungen fehlt bis heute – trotz der Millionensummen, die hineinfließen. Gut funktioniert hat das Modell etwa in Vanuatu: Nachdem der Inselstaat im Jahr 2016 vom Wirbelsturm Winston überrollt worden war, zahlte die Pacific Risk Insurance innerhalb von zwei Tagen. Häuser, Straßen und Stromnetze konnten rasch wieder aufgebaut werden. „Mit der Versicherung hat man einen Anspruch auf Entschädigung“, sagt Klimaexpertin Minninger. „Ohne ist man nur Bittsteller.“
Trotzdem fällt es oft schwer, die Bauern von den Versicherungen zu überzeugen, vor allem wenn zwischen den Prämien und der ersten Auszahlung Jahre liegen. In Sambia dagegen sorgte das Wetter für Akzeptanz. Kurz nachdem das Agrarunternehmen NWK Agri-Services für seine Vertragsbauern die Versicherung eingeführt hatte, folgte zum Jahreswechsel 2015/2016 eine schwere Dürre. 52.000 von 70.000 Kleinbauern der Baumwollfarm hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits versichert, bei knapp der Hälfte der Versicherten griff der Index und sie bekamen eine Auszahlung – insgesamt 200.000 US-Dollar.
Doch nicht immer läuft es reibungslos, wie das Beispiel Malawi zeigt. Das südafrikanische Land hatte sich für eine Klimarisikoversicherung entschieden und fünf Millionen US-Dollar dafür ausgegeben. Aber als es 2016 zu einer heftigen Dürre und in deren Folge zu Ernteausfällen kam, unter denen 6,5 Millionen Menschen litten, weigerte sich die Versicherung zu zahlen. Der Grund war ein Missverständnis: Im Risikomodell der African Risk Capacity Insurance Company waren bestimmte Daten noch nicht aktualisiert worden.
Während die Kleinbauern in der entsprechenden Saison vor allem Maissorten mit kurzen Wachstumszyklen angebaut hatten, die die Dürre zumeist nicht überlebten, arbeitete das Risikomodell noch auf der Grundlage von resistenteren Maissorten mit langen Wachstumszyklen. Laut Modell waren also nur relativ wenige Menschen betroffen. Erst Anfang 2017 trat der Fehler zutage und die Versicherung zahlte 8,1 Millionen US-Dollar. Monate vergingen, in denen Millionen Kleinbauern um ihre Existenz kämpfen mussten.
Klimarisikoversicherungen als Risiko?
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig sehen weitere Probleme: Klimarisikoversicherungen könnten die Landnutzung verändern und damit schädliche Folgen für die Umwelt haben, erklärten sie in einer Studie vom vergangenen Jahr. Lange seien die Kleinbauern gezwungen gewesen, ihren Anbau zu diversifizieren, um sich gegen Schwankungen des Wetters oder der Marktpreise zu wappnen. Mit den Versicherungen im Rücken könnten sie nun stärker auf risikoreiche Arten setzen, die höhere Erträge versprechen. Die Folge: Monokulturen und Artenschwund. „Man sollte die Euphorie etwas bremsen und erst einmal Studien zu möglichen negativen Folgen für die Biodiversität abwarten“, sagt David Kreuer, einer der beiden Hauptautoren.
Ulrich Hess von der GIZ hat da weniger Bedenken. Die Vorstellung, dass die Kleinbauern in Afrika bislang vor allem auf lokale Sorten mit hoher Vielfalt setzen, hält er in vielen Fällen für falsch. In Sambia etwa werde vor allem eines angebaut: Mais. Das Getreide hatte es dort vor der Kolonialzeit gar nicht gegeben. Zwar wächst Mais schnell, braucht aber auch viel Wasser – für eine zunehmend trockene Zukunft sei er daher kaum geeignet. Die Bauern würden mit den Versicherungen möglicherweise risikofreudiger. „Aber das bedeutet, dass sie sich dann auch Saatgut leisten können, das dürreresistent ist“, sagt Hess. „Statt vor allem auf den viel zu durstigen Mais zu setzen, entscheiden sie sich vielleicht für besser angepasste Kulturen, die Geld einbringen.“
Inzwischen hat in Sambia auch ein großer Zuckerrohrhändler das Vertragsbauernmodell übernommen, in Simbabwe ein Bohnenhersteller, in Malawi ein weiteres Baumwollunternehmen und in Indien ein Süßkartoffelproduzent. Die Baumwollfarmer in Sambia, so der Eindruck von Hess, fühlen sich tatsächlich dem Unternehmen NWK Agri-Services mehr verbunden. Sie haben den Nutzen der Klimarisikoversicherung offenbar erkannt. Und schätzen auch einen Nebeneffekt: Das Paket enthält eine Lebensversicherung.
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