Die Opfer vor Gericht gezerrt

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Abbau von Rohstoffen
Ecuador
Der US-Konzern Chevron ist rechtskräftig verurteilt, für Umweltschäden in Ecuador eine hohe Entschädigung zu zahlen. Doch bisher können die Kläger ihr Recht auf das Geld nicht durchsetzen

Donald Moncayo schwingt die Machete. Auf der Grünfläche am Rand der Kleinstadt Lago Agrio im Amazonasgebiet von Ecuador schlägt der Umweltaktivist Pflanzen und Gestrüpp nieder. „Wir befinden uns auf dem Gelände des Ölfelds Lago Agrio 1“,  sagt er. „Die erste Probebohrung fand am 17. Februar 1967 statt. Das Öl sprudelte damals 170 Meter hoch und alle haben darin gebadet.“

Heute befindet sich an der Stelle eines von fast 900 Erdbecken im Amazonasgebiet. Manche von ihnen sind so groß wie ein Fußballfeld. Sie dienten der Ölfirma Texaco als Müllhalden, in die giftige Abfallstoffe wie Reste von Schweröl und Chemikalien abgeladen wurden: ohne Schutz oder Sicherung. Die Giftstoffe drangen direkt in den Boden und wurden über Ablaufrohre in die umliegenden Flüsse und Gewässer geleitet. „Das Unternehmen wollte einfach Geld sparen“, sagt Moncayo. Er ist überzeugt, dass den Verantwortlichen bekannt war, welche Schäden für Menschen und Umwelt sie in Kauf nahmen.

Fast drei Jahrzehnte lang, von 1964 bis 1992, förderte der US-amerikanische Konzern Texaco, der heute zu Chevron gehört, in den ecuadorianischen Provinzen Orellana und Sucumbios Erdöl auf einem Gebiet von 450.000 Hektar – das entspricht etwa der doppelten Fläche des Saarlands. 1995 vereinbarte Texaco mit der damaligen ecuadorianischen Regierung eine 40 Millionen US-Dollar teure Säuberungsaktion und betrachtete die Angelegenheit damit als erledigt. Dabei wurden lediglich die meisten der Erdbecken mit sauberer Erde zugeschüttet, jedoch keines von ihnen wirklich gereinigt.

Bis heute sind die Böden bereits in geringer Tiefe belastet, wie Moncayo demonstriert. Mit einem langen Eisenstab, der eine kleine Schaufel am Ende hat, bohrt er ein Loch. Schon nach weniger als einem Meter hat er die saubere Erdschicht durchstoßen und holt mit seinem Gerät schwarz-verklebte Erdklumpen hervor, die nach Benzin riechen. „Normalerweise ist das Öl hier in über 2000 Meter Tiefe verborgen. Aber Texaco hinterließ es uns auf weniger als 70 Zentimetern.“

Auch das Frischwasser ist verseucht. Zwar sind die giftigen Rückstände der Förderung in Flüssen und Gewässern meist nicht mit bloßem Auge erkennbar, doch sie sind deshalb nicht weniger gesundheitsgefährdend. Die Kleinbäuerin Mariana Jiménez lebt mit ihrer Familie in einem bescheidenen Haus auf einem Hügel im Süden von Lago Agrio. Bis heute ist die 79-Jährige weitgehend gesund. „Aber das liegt vor allem daran, dass ich bereits vor 30 Jahren aufgehört habe, das Wasser der umliegenden Gewässer zu benutzen, die immer noch kontaminiert sind“, sagt sie. Zu Hause verwende sie ausschließlich Regenwasser, das vom Dach ihres Hauses durch Rohre in ein Tanksystem geleitet und dort gesammelt wird. „Wenn wir ein längeres Bad nehmen wollen, gehen wir zu den Wasserfällen.“

Als Texaco mit den ersten Probebohrungen begann, wusste Mariana Jiménez nicht, wie gefährlich die Rückstände der Ölproduktion für Menschen sind. Das änderte sich in einem Sommer Mitte der 1970er Jahre. „Der benachbarte Fluss führte immer weniger Wasser und begann zu stinken. Obwohl wir vermuteten, dass etwas nicht stimmte, tranken wir das Wasser und benutzten es weiter zum Kochen.“ Das Gemüse sei davon ganz schwarz geworden. „Gegessen haben wir es trotzdem.“

In der Folge wurden immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner von Lago Agrio und Umgebung krank. Sie litten unter Kopf- und Halsschmerzen sowie unter Magenkrämpfen. Und unter Krebs – wobei der Zusammenhang in jenen Jahren noch nicht bekannt war. Laut einer jüngst veröffentlichen Studie der Betroffenenorganisation UDAPT im Verein mit der Schweizer Ärzteorganisation Centrale Sanitaire Suisse haben vier von zehn Familien in der Region einen Krebsfall zu beklagen. Besonders betroffen sind Frauen: Die Rate an Gebärmutterkrebs ist achtmal höher als im Landesdurchschnitt. Mariana Jiménez erlitt in den 1970er und 1980er Jahren drei Fehlgeburten. „Ich kann mich damit fast glücklich schätzen“, sagt sie. „Andere Frauen brachten Kinder mit schweren körperlichen Fehlbildungen zur Welt.“

Mariana Jiménez war unter den Ersten, die Gegenwehr organisierten. Schon Ende der 1970er Jahre zog sie mit anderen Kleinbäuerinnen aus Lago Agrio mehrmals in die Hauptstadt Quito, um sich beim Ministerium für Energie und Bergbau über ihre Situation zu beschweren. Sie kämpften für eine Entschädigung. Denn viele Bauern verloren auch einen Teil ihres Viehs und damit ihre Lebensgrundlage. Die Tiere tranken verseuchtes Wasser und starben oder fielen in die ungesicherten Erdbecken und verendeten dort.

Autorin

Jessica Zeller

ist freie Journalistin in Berlin und berichtet für Print und Hörfunk über Latein­amerika. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt, Menschenrechte und Geschlechterfragen.
Doch die politisch Verantwortlichen hätten sie wiederholt zurückgewiesen, erklärt Jiménez. „Sie sagten uns, dass wir mit einem toten Tier wiederkommen und es aufschneiden sollten. Wenn wir beweisen könnten, dass sich im Magen Reste von Öl befänden, bekämen wir Schadensersatz. Sonst nicht. Aber vergiftetes Wasser hinterlässt nun mal keine Spuren.“  

Sie kämpften weiter – auf juristischen Wegen. 1993, ein Jahr nachdem Texaco Ecuador verlassen hatte, klagten 75 Indigene und Kleinbauern in den USA gegen die Ölgesellschaft. 2002 wurde das Verfahren auf Druck des Unternehmens Chevron, das Texaco im Jahr zuvor übernommen hatte, nach Ecuador verlegt. Für Sarah Lincoln ist das nicht ungewöhnlich: „In der Regel haben die Länder, in denen die Umweltschäden verursacht werden, keine funktionierenden Rechtssysteme“, sagt die Referentin für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte bei Brot für die Welt. Gerichte seien voreingenommen und urteilten meist wirtschaftsfreundlich. Das nutzten Unternehmen aus.

Doch im Falle von Chevron ging diese Strategie nicht auf. In einem international beachteten Urteil verdonnerte ein ecuadorianisches Gericht den Konzern im Februar 2011 zu einer Entschädigungszahlung von 9,5 Milliarden US-Dollar an die Betroffenen und forderte zudem eine öffentliche Entschuldigung. Andernfalls würde sich die Strafsumme verdoppeln. Dieser Zusatz wurde zwar in dritter Instanz vom Obersten Gerichtshof in Ecuador 2013 aufgehoben, das Urteil an sich aber bestätigt. Auch das Verfassungsgericht des südamerikanischen Landes fand im Juli 2018 keine Gründe für eine Beanstandung.

Es sei nicht schwer gewesen, die Umweltverschmutzung und die Verantwortung des Unternehmens zu beweisen, sagt der Rechtsanwalt Pablo Fajardo, der die Kläger vor Gericht vertreten hat. Die Folgen seien überall sichtbar und es gebe unzählige Zeugen. „Die Schwierigkeit besteht darin, die Entschädigungssumme zu bekommen“, fügt er hinzu.  

Bis heute ist kein Cent an die Betroffenen ausgezahlt worden. „Der Skandal begann nach der Verurteilung 2011“, sagt die Juristin Lincoln. Chevron habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Durchsetzung des Urteils zu verhindern und die Kläger und ihre Anwälte zu diskreditieren. „Soweit ich weiß, wurden mindestens 2000 Anwälte und Berater engagiert. Es ist ein richtiger Fall von David gegen Goliath, bei dem Geld und Macht in großem Maßstab eingesetzt werden“, erläutert sie.

Der Ölkonzern hatte bereits vor seiner Verurteilung aus Ecuador alle Vermögenswerte abgezogen, sodass das Urteil dort nicht vollstreckt werden kann. In den USA – wo der Hauptsitz des Unternehmens ist – ging Chevron dann gegen die Kläger und ihre Anwälte juristisch vor. Mit Berufung auf den sogenannten RICO-Act, ein Bundesgesetz zur Bekämpfung von kriminellen Vereinigungen und organisiertem Verbrechen, wurden die Betroffenen und ihre juristischen Beistände 2011 vor ein New Yorker Gericht gezogen. „Der Prozess in Ecuador wurde durch zahlreiche Rechtswidrigkeiten und Unregelmäßigkeiten entstellt, die die Anwälte der Kläger begingen“, fast  Chevron-Kommunikationsberater James Craig die Anschuldigungen auf schriftliche Anfrage zusammen. „Das beinhaltete, dass Beweise gefälscht, Gutachter und Richter bestochen und das Urteil vorgeschrieben wurden.“
Die RICO-Klage war vor US-Gerichten 2014 und in der Berufung 2016 erfolgreich. Sarah Lincoln von Brot für die Welt sagt jedoch, der Vorsitzende Richter Lewis Kaplan sei voreingenommen gewesen. „Von den Betroffenen sprach er als den ‚sogenannten Klägern‘. Für ihn entbehrte ein Verfahren gegen einen US-Konzern praktisch jeder Grundlage.“ Außerdem seien die Vorwürfe in erster Linie durch einen Hauptbelastungszeugen belegt worden, den ehemaligen ecuadorianischen Richter Alberto Guerra. Er hatte zu Beginn dem ecuadorianischen Verfahren gegen Chevron vorgesessen und war 2008 wegen Korruptionsvorwürfen vom Dienst suspendiert worden. Er habe seine Aussagen ständig verändert, sagt Lincoln. 2015 habe Guerra zudem in einem internationalen

Schiedsgerichtsverfahren in Den Haag, das Chevron gegen Ecuador angestrengt hatte, eingeräumt, dass viele seiner Aussagen in dem RICO-Verfahren nicht der Wahrheit entsprachen. Doch eine erneute Beweisaufnahme in den USA fand nicht statt. Im Juli 2017 bestätigte der Oberste Gerichtshof der USA, dass Chevron sich auf den RICO-Act berufen kann. Daher dürfen die als „betrügerisch“ verurteilten ecuadorianischen Kläger und ihre Anwälte ihre Schadensersatzansprüche nicht in den USA geltend machen.

Zwar hat der ecuadorianische Schuldspruch gegen den Ölmulti weiter Bestand. Doch den Klägern bleibt nichts anderes übrig, als  in anderen Ländern, in denen Chevron tätig ist, für die Zahlung der Entschädigung zu streiten. In Argentinien verfügte ein Zivilgericht 2012, Rechtshilfe zu leisten und das Vermögen des Unternehmens in dem südamerikanischen Land zu diesem Zweck zu konfiszieren. Doch im Mai 2013 kippte der Oberste Gerichtshof in Buenos Aires diese Entscheidung; wenig später sagte der Ölmulti der argentinischen Regierung eine Milliardeninvestition für die Schiefergasgewinnung in Patagonien zu. Mitte Juli dieses Jahres wurde in letzter Instanz entschieden, dass Chevron Argentinien nicht für die vom Mutterkonzern verursachten Schäden in Ecuador zur Verantwortung zu ziehen sei, und das Verfahren wurde eingestellt.

Zurzeit streiten die Kläger in Kanada, ob das Vermögen der dortigen Chevron-Tochter für die Zahlung der Strafe in Ecuador herangezogen werden kann. Hier hat ein Berufungsgericht Ende Mai zu Gunsten Chevrons geurteilt; die Richter haben sich ebenfalls, wenn auch nicht einstimmig, darauf berufen, Mutter- und Tochterkonzern als zwei getrennte Einheiten zu begreifen. Die Ecuadorianer wollen in Ottawa in die Revision vor dem Obersten Gerichtshof gehen. Juristin Lincoln hofft, dass zu ihren Gunsten entschieden wird: „In den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte werden Konzerne als Einheit gesehen, die für ihre gesamte Struktur verantwortlich sind. Es ist wichtig, diese Argumentation in den verschiedenen Verfahren weiter hochzuhalten.“

Für den Klägeranwalt Pablo Fajardo steht fest, dass der Kampf für Gerechtigkeit auch dann weitergeht, wenn Kanada die Klage der Ecuadorianer in letzter Instanz zurückweisen sollte. Nur eben in einem anderen Land – der Konzern sei in fast allen Ländern der Erde tätig. „Wir haben 25 Jahre gekämpft. Und wir werden jetzt nicht aufgeben“, sagt er. „Wir machen weiter, bis Chevron zahlt und die Schäden, die im Amazonasgebiet angerichtet wurden, endlich repariert werden können.“

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erschienen in Ausgabe 9 / 2018: Drang nach Schönheit
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