viele Länder in Lateinamerika leiden unter den Altlasten
von Ölförderung oder Goldabbau. Wer zahlt dafür?
Der 15. Februar 1967 hat Ecuador verändert. An diesem Tag begann der US-Ölkonzern Texaco mit der Probebohrung im Amazonasgebiet, unweit der Grenze zu Kolumbien. Drei Jahre zuvor hatte das Unternehmen von der Militärdiktatur eine 40-jährige Konzession über 1,4 Millionen Hektar erhalten. Was nach einem Monat aus dem Boden sprudelte, begeisterte die Ingenieure so sehr, dass sie die Quelle nach dem 1901 entdeckten riesigen texanischen Ölfeld „Sour Lake“, „Lago Agrio“ nannten. Ähnlich wie in Texas wurde aus dem Bohrloch eine Stadt und aus dem Agrarland Ecuador ein Erdölexporteur.
Zunächst wusste niemand, wie man mit dem neuen Reichtum umgehen und nach welchen Regeln die Förderung erfolgen sollte. Die Elite des Landes war zu dieser Zeit mehr mit dem Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie beschäftigt als mit dem Geschäft, das für alle Seiten profitabel war und über die Jahre Milliarden von Petrodollars in die Staatskassen spülen sollte. Von Umweltauflagen war nicht die Rede, und für den Ölkonzern stand die Rentabilität an erster Stelle.
Zwischen 1972 und 1992 förderte Texaco 1,5 Milliarden Fass Öl in Ecuador – und übergab dann, als die Ausbeutung nicht mehr so rentabel war, die Vorkommen dem staatlichen Konzern Petroecuador. Zurück blieb eine „Umweltsauerei“, wie der Aktivist Manuel Pallares sagt. Mit Ölrückständen, Chemikalien und Schwermetallen verseuchte Abwässer wurden in offene Gruben geschüttet – oft in unmittelbarer Nähe zu Ansiedlungen.
Hochgiftige und krebserregende Substanzen "legal" entsorgt
Schlammpisten wurden mit Altöl „asphaltiert“, wie man der Bevölkerung weismachte. In Wirklichkeit wurden auf diese Weise billig hochgiftige und krebserregende Substanzen entsorgt. Völlig legal, wie Firmensprecher betonten. Es hätten keine Auflagen existiert, und Erdölförderung sei bekanntlich immer umweltschädlich. Pallares widerspricht: Es sei kein Argument, dass es damals keine Umweltgesetze gab. Denn die Verfassung des Landes schreibe den Schutz von Natur, Gesundheit und Unversehrtheit der Ecuadorianer fest.
Umweltschützer dokumentierten, dass rund 30.000 Menschen durch die Verschmutzung krank wurden, starben oder ihre Felder und Tiere verloren sowie 800 offene Gruben. San Carlos, rund drei Stunden Fahrt von Lago Agrio entfernt, ist eines der Dörfer, die von Texaco gezeichnet sind. Ein paar ärmliche Holzhäuser, eine Schule, eine Krankenstation, umgeben von Bohrstationen. Eine Pipeline aus den nahegelegenen Ölfeldern führt mitten durchs Dorf und wird von Kindern als Spielplatz und von Ortspolitikern als kostenlose Propagandafläche benutzt. Ein penetranter Ölgestank liegt in der Luft.
„Wir waren damals einfach sehr naiv und hatten keine Ahnung“, sagt der ehemalige Friedensrichter Alfonso Ureña. „Es gab oft Unfälle, und wenn auf unseren Trinkwasserbrunnen eine schwarze Lache schwamm, haben wir die einfach zur Seite geschoben und das Wasser darunter getrunken.“ Auch den Tieren schmeckte das salzhaltige Wasser – und dann verloren fast alle Kühe des Dorfes ihre Kälber. Hunde und Hühner starben, es kam zu Missbildungen, Fehlgeburten und Unterleibserkrankungen bei den Frauen. Ureña verlor seinen Vater und seine Tante durch Krebs.
Erst sehr viel später begriffen die Anwohner das ganze Ausmaß der Tragödie. 1993, ein Jahr, nachdem sich Texaco aus Ecuador zurückgezogen hatte, verklagte ein Nachbarschaftskomitee das Unternehmen in New York. Es war der Beginn des ersten und bislang größten Umweltprozesses wegen Altlasten in Lateinamerika. Und es war der Auftakt eines Tauziehens zwischen Umweltschützern, Rohstoffkonzernen und Regierungen, die je nach politischer Couleur mal das eine Lager, mal das andere unterstützten. Von einer Milliarde US-Dollar hat sich die Entschädigungssumme auf 9,5 Milliarden US-Dollar hochgeschraubt. Der Kampf wird mit harten Bandagen geführt.
Texaco mobilisierte eine Heerschaar von Lobbyisten
Zeugen wurden geschmiert oder eingeschüchtert. Der im Umgang mit den Medien sehr versierte Anwalt der Kläger, Steven Donziger, wurde vom Ölkonzern abgehört und dann von den Firmenanwälten wegen Betrug und Schmiergeldzahlungen an Richter angezeigt. Texaco mobilisierte seine komplette Rechtsabteilung und eine Heerschaar von Lobbyisten, die an der juristischen Strategie feilten. Die Prozesse wanderten durch die Instanzen und von den USA nach Ecuador und wieder zurück – je nachdem, ob sich der jeweilige Richter für zuständig erklärte oder nicht. Je nach politischer Großwetterlage in beiden Ländern versuchte Texaco auch, über Lobbyisten politischen Einfluss zu nehmen. Mittendrin wurde Texaco von Chevron aufgekauft; ein Versuch des neuen Eigentümers, die Rechtsnachfolge abzustreiten, scheiterte. Anzeigen wurden geschaltet und Journalisten bezahlt, um Donziger und den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa in Misskredit zu bringen.
Correa schloss sich nach einem Besuch in Lago Agrio noch vor seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2006 den Klägern an und erklärte den US-Konzern zum Staatsfeind. Er handelte allerdings mehr aus politischem Kalkül denn aus Umweltbewusstsein, denn im Laufe der vergangenen Jahre vergab Correa Konzessionen an andere ausländische Bergbau- und Erdölfirmen, erneut ohne vorher die dort lebende Bevölkerung zu befragen und unter laxen Umweltauflagen. All das brachte Chevron in Rage.
Doch mehr als um die Ausbeutung der im internationalen Vergleich eher kleinen ecuadorianischen Ölvorkommen geht es bei dem Streit um eine Grundsatzfrage: Wer muss für die Altlasten aufkommen? Das ist in den meisten Ländern Lateinamerikas eine rechtliche Grauzone. Ein Grundsatzurteil im Sinne der Kläger könnte für die Industrie einen Rattenschwanz an Milliardenklagen nach sich ziehen. Denn Ecuador ist nur die Spitze des Eisbergs.
Peru ist ein anderes Beispiel. Das Andenland ist ein Bergbauparadies und fördert unter anderem Gold, Kupfer, Silber, Zink und Molybdän. Die meisten Minen funktionieren im Tagebau. Um die Edelmetalle aus dem Gestein zu lösen, werden hochgiftige Metalle wie Quecksilber eingesetzt. Auch bei der Schmelze entstehen giftige Gase und saurer Regen. In La Oroya kann man begutachten, wie es aussieht, wenn das nicht sachgerecht gemacht wird. Das kleine Minenstädtchen liegt rund 175 Kilometer östlich von Lima im engen Tal des Mantaro-Flusses und ist Sitz einer Metallschmelze.
„Das ist der Bleikreislauf!“, brüllt Operationsleiter Godofredo Oporto gegen den Lärm an. Von der rostigen Plattform aus sieht man Arbeiter mit Masken und Schutzanzügen, die eine brennende Masse in rechteckige Formen gießen. Die Fabrik ist in einem kläglichen Zustand: Auf der Plattform haben sich Pfützen gebildet, weil das Dach durchgerostet ist; auch in einigen Walzen klaffen Löcher, so groß wie Bombenkrater. Trotz Atemschutzmaske ist nach wenigen Minuten die Zunge belegt. Vor dem Werksgelände brüstet sich die Firma auf bunten Plakatwänden mit ihrem Umweltengagement. Doch vor der kahlen, weißen Bergwand wirken die bunten Schmetterlinge und die dichten Wälder wie Hohn.
Ein paar hundert Meter weiter kontrastiert das Weiß der Berge mit dem tiefen Schwarz des Abraums, der mit einer kleinen Seilbahn angekarrt und einfach neben die Straße gekippt wird. Der saure Regen hat über Jahre hinweg nicht nur alle Pflanzen im Umland sterben lassen, sondern auch den Fels verätzt. Die giftigen Dämpfe setzten sich in die Augen, die Schleimhäute und die Lungen der rund 20.000 Einwohner. Die Blei-Kadmium- und Arsenbelastung liegt bei nahezu allen über der Norm, wie eine von der katholischen Kirche in Auftrag gegebene Studie ergab.
Krebserkrankungen häufen sich, und selbst 100 Kilometer flussabwärts, in der Stadt Concepción, sind Luft, Wasser, Obst und Gemüse mit 14 Schwermetallen belastet. „Wir haben in der Luft bis zu 20.000 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter gemessen“, sagt David Parillona, der Umweltbeauftragte des Ortes. Der Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation ist 20. Der peruanische Staat schaute weg. Der Bergbau ist der wichtigste Devisenbringer des Andenlandes.
Die Schmelze wurde 1922 gegründet. Sie ist eine der wenigen Metallschmelzen in Lateinamerika, in der aus Tonnen gemahlenen Gesteins gleichzeitig Kupfer, Zink, Gold, Silber und Blei gelöst werden. Eine Menge Wasser ist dafür nötig und eine Menge Chemie. Auch ausländische Bergbaukonzerne lassen dort schmelzen – weil es billig ist oder in ihren Heimatländern derartige Dreckschleudern verboten sind. Erst war das Werk in US-Besitz, wurde dann verstaatlicht und 1997 von der US-Firma Doe Run gekauft, die dem Millionär Ira Rennert gehört.
Umweltauflagen gab es lange nicht, und als es sie gab, wurden sie umgangen. Erst als die auf globale Umweltverschmutzing spezialisierte Nicht-Regierungs-Organisation Blacksmith-Institut 2006 die Stadt zur dreckigsten der Welt erklärte, machte die Regierung Druck und setzte Fristen. Doe Run erfüllte keine einzige Auflage, und nach der Schließung der Fabrik 2009 meldete der Konzern Konkurs an; die Gewinne verschwanden auf Konten Renners auf den Cayman-Inseln.
Würden die Firmen alles sanieren, wäre der Bergbau nicht rentabel
Ein Gläubiger-Konsortium, das vor allem aus den Betreibern der umliegenden Bergwerke besteht, rüstete die Fabrik nach, baute ein paar Filter ein und brachte den Zink-, Kupfer- und Bleikreislauf wieder zum Laufen. 220.000 Tonnen Feinmetall werden dort jährlich hergestellt. Der Gewinn belief sich 2013 auf 25 Millionen US-Dollar. Doch die Altlasten zu beseitigen, würde ein Vielfaches davon kosten, wie die aktuelle Umweltdirektorin Rocío Chávez einräumt. „Wir haben Bodenproben anfertigen lassen. Man müsste die Erde des gesamten Umlandes einen Meter tief abtragen lassen.“ Von Stillegen ist noch immer keine Rede; vielmehr soll die Schmelze in diesem Jahr verkauft werden, zusammen mit einer Kupfermine, die zu den Aktiva gehört. Der bisher einzige Interessent ist die Schweizer Firma Glencore Xstrata. Damit sich überhaupt ein Käufer findet, lockerte die Regierung die Umweltauflagen: In La Oroya müssen die Schwefeldioxidemissionen nicht wie im Rest Perus auf unter 20 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen.
La Oroya ist kein Einzelfall. Im Mai 2012 veröffentlichte das peruanische Bergbauministerium ein Register von insgesamt 6850 Umweltaltlasten aus dem Bergbau: Zehn Prozent werden als hoch riskant bezeichnet. Deren Beseitigung kostet mindestens eine Milliarde US-Dollar. Kosten, die nach Einschätzung der Bergbauexpertin Susanne Friess von Misereor der Steuerzahler tragen muss. „Nur die wenigsten Minen übernehmen die Verantwortung für die Umweltschäden.“ Obwohl in fast allen Ländern Lateinamerikas derartige Zeitbomben liegen, weichen die Regierungen dem Problem aus. Außer Peru hat kein Land ein Register erstellt. Zwar ist in den meisten Ländern gesetzlich geregelt, dass die Gebiete nach der Nutzung „im Originalzustand“ oder zumindest „regeneriert“ zurückgegeben werden müssen. Doch das lässt viel Interpretationsspielraum.
Warum das Tauziehen um die Kosten mit so harten Bandagen ausgefochten wird, haben die Umweltschützer Alberto Acosta und Carlos Zorilla an einem Beispiel in Ecuador errechnet: Die Kosten für die Sanierung einer Mine sind deutlich höher als das, was der Staat an Abgaben während der gesamten Nutzung einnimmt. Und wenn die Firmen diese Kosten übernähmen, „wäre der Bergbau nicht rentabel“, schreiben sie in ihrer Studie.
Autorin
Sandra Weiss
ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.Viele solcher Klagen sind derzeit gegen lateinamerikanische Regierungen anhängig: In Costa Rica verklagte Infinito Gold den Staat auf eine Milliarde US-Dollar Schadensersatz, weil die Konzession für eine Goldmine nach einem neuen Gesetz, das Tagebau verbietet, gestrichen wurde. Das kanadische Unternehmen verlor alle Prozesse in Costa Rica und rief dann das Schiedsgericht der Weltbank an. Das Verfahren läuft noch. In El Salvador klagte die kanadische Bergbaufirma Pacific Rim auf 300 Millionen US-Dollar Schadensersatz, weil die Umweltverträglichkeitsprüfung negativ ausfiel und die Konzession nicht erteilt wurde. Das Urteil wird im Laufe des Jahres erwartet.
Die linken Regierungen Lateinamerikas kontern: Correa hat angekündigt, alle Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen auf Klauseln zu überprüfen, die „das Kapital bevorzugen und die Souveränität verletzen“. Neben Ecuador haben sich auch Venezuela und Bolivien aus dem Schiedsgericht der Weltbank zurückgezogen. Für die Firmen ist das ein Rückschlag. Ihr Risiko wächst, wenn sie bei Konflikten nicht mehr auf die investoren-freundlichen Schiedsrichter der Weltbank hoffen können, sondern sich der Gerichtsbarkeit der Länder unterziehen müssen.
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