Lange haben die Missbrauchsopfer warten müssen, bis endlich etwas passiert ist. Zwar hatte die Vatikanjustiz bereits 2011 den Priester Fernando Karadima wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den 1980er und 1990er Jahren für schuldig erklärt. Karadima war damals allerdings schon 80 Jahre alt, lebte im Altersheim und stritt alles ab.
2015 ernannte Papst Franziskus dann ausgerechnet einen Vertrauten Karadimas, Juan Barros, zum Bischof von Osorno. Barros soll – so die Überzeugung der Opfer – von den Missbräuchen gewusst und Karadima gedeckt haben. Kirchenvertreter taten diese Anschuldigungen als böswillige Verleumdung ab. Und selbst bei seiner Chilereise Anfang des Jahres vertrat Papst Franziskus noch diese Meinung und nahm Barros in Schutz.
Die Empörung der Missbrauchsopfer und der chilenischen Öffentlichkeit war groß. Schon auf seinem Rückflug nach Rom entschuldigte sich der Pontifex bei den Opfern, räumte schwere Fehler im Umgang mit dem Missbrauchsskandal ein und versprach Aufklärung und Veränderungen. Die bekommt die katholische Kirche in Chile jetzt mit voller Wucht zu spüren. Mitte Mai wurden alle 34 Bischöfe nach Rom zitiert, wo sie Franziskus drei Tage lang ins Gebet nahm. Danach boten alle ihren Rücktritt an – ein historisch einmaliger Fall.
Franziskus reagierte darauf vorerst nicht, kündigte aber an, dass Rücktritte allein nicht reichen würden, um die Mechanismen des Vertuschens auszuschalten und das elitäre Denken in bestimmten Kirchenkreisen in Chile auszumerzen. Anfang Juni nahm der Papst die Rücktrittsgesuche von drei Bischöfen an, darunter auch das des im Zentrum des Vertuschungsskandals stehenden Bischofs von Osorno, Juan Barros.
Der Vatikan schickt einen Sonderermittler
Seit Mitte Juni ermittelt nun zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Polizei gegen hochrangige Kirchenvertreter. Die Staatsanwaltschaft ließ die Archive der Kirchengerichte in Santiago und Rancagua durchsuchen und stellte mehrere Dokumente aus den kircheninternen Prozessen zu verschiedenen Missbrauchsfällen sicher. Vermutet wird, dass der Kirche Informationen zu einem regelrechten Netzwerk von Priestern vorliegen, die sich an Minderjährigen sexuell vergangen haben sollen.
Der Vatikan hat indes einen Sonderermittler und einen Gesandten nach Chile geschickt. Sie sollen mit den Priestern und Bischöfen besprechen, wie mit Missbrauchsfällen künftig umgegangen werden soll. Beide haben den Justizbehörden volle Kooperation zugesagt. Zudem soll eine direkt dem Vatikan unterstellte Meldestelle in Chile eingerichtet werden.
„Wir hoffen, dies ist der Anfang vom Ende einer Kultur des Missbrauchs und der Verschleierung in der Kirche“, schrieb Juan Carlos Cruz, eines der Missbrauchsopfer des verurteilten Karadima daraufhin auf Twitter.
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