Die Wellen schlagen hart gegen das kleine Boot, während es mit Vollgas auf die Insel Koh Seh zurast. Rund 20 Minuten dauert die Fahrt vom kambodschanischen Festland. Auf den ersten Blick wirkt die Insel wie ein kleines tropisches Paradies: Hütten, die von Palmen umgeben sind, dazwischen baumeln Hängematten. Doch vor der Küste ist die Natur keineswegs so paradiesisch: Die Gewässer vor Kambodscha in der Region Kep sind durch illegale Fischerei fast leer gefischt, Fangnetze haben den Meeresboden zerstört und das Wasser ist voller Müll.
Um das Meer wieder mit Leben zu füllen, hat Paul Ferber vor mehr als vier Jahren auf Koh Seh das Marine Conservation Center (MCC) gegründet. Der Brite und sein Team aus rund 20 Meeresbiologen, Aktivisten und Freiwilligen gehen gegen illegale Fischer vor, patrouillieren nachts auf hoher See, erforschen die Unterwasserwelt und renaturieren den Meeresboden mit Betonklötzen, an denen sich Austern und Schwämme ansiedeln, die das Wasser filtern. Die Inselbewohner sammeln täglich neu angespülten Plastikmüll vom Strand. Hilfe erhalten sie von ganz oben: „Wir bekommen sehr, sehr gute Unterstützung von der Regierung“, sagt Ferber. Zu kämpfen haben sie eher mit den lokalen Behörden, die ihre Arbeit erschweren.
Den Umweltschützern geht es besser als vielen anderen Aktivisten in Kambodscha – vor allem als denen, die sich für die Menschenrechte stark machen. Ihre Freiheiten werden zunehmend eingeschränkt. Gerade vor den anstehenden Parlamentswahlen am 29. Juli begrenzt die Regierungspartei unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Hun Sen die Meinungs- und Pressefreiheit. Oppositionelle sitzen im Gefängnis oder sind außer Landes geflohen, kritische Medien mussten schließen, politisch Engagierte werden unter Druck gesetzt und nur noch wenige Menschen wagen es, die Regierung öffentlich zu kritisieren.
Seit mehr als drei Jahrzehnten hat Hun Sen das Land fest im Griff; seit 1985, sechs Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer, ist er Ministerpräsident. Ein Sieg seiner Kambodschanischen Volkspartei (CPP) bei den Parlamentswahlen gilt als sicher. Nach dem sehr guten Abschneiden der wichtigsten Oppositionspartei, der Nationalen Rettungspartei Kambodschas (CNRP), bei den Kommunalwahlen im vergangenen Juni ließ die Regierung den CNRP-Vorsitzenden Kem Sokha wegen angeblichen Landesverrats festnehmen und die Partei verbieten. Alle Lokalpolitiker der CNRP verloren ihre Posten und Hun Sen verhängte über 118 CNRP-Politiker ein fünfjähriges Politikverbot. Kem Sokha sitzt immer noch in Untersuchungshaft.
„Wir wissen alle, wer gewinnen wird"
Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) beobachtet von Bangkok aus die Situation und sieht die Entwicklung in Kambodscha sehr pessimistisch. Das Land verschließe sich zunehmend der Demokratie, und „das wird von Hun Sen angeführt“, sagt der stellvertretende Direktor der Asienabteilung von HRW. Die anstehenden Wahlen hält er deshalb für einen „Witz“. Naly Pilorge teilt diese Ansicht. Sie leitet die kambodschanische Menschenrechtsorganisation Licadho und äußert noch öffentlich ihre Meinung, obwohl das in den vergangenen drei Jahren riskanter geworden sei, wie sie sagt. „Wir wissen alle, wer gewinnen wird – auf dem Wahlschein gibt es zwar 20 politische Parteien, aber in Wahrheit nur eine“, sagt sie in ihrem Büro in Phnom Penh. Offen sei nur die Frage, ob es die Menschen wagen, die Wahlen zu boykottieren oder ihren Wahlschein ungültig zu machen.
Autorin
Johanna Greuter
ist Volontärin bei "welt-sichten".Damals mussten innerhalb weniger Tage 32 Radiosender schließen, darunter der kambodschanische Ableger des US-Auslandssenders Radio Free Asia. Im September folgte die älteste englischsprachige Tageszeitung, die „Cambodia Daily“, wegen angeblicher Steuerschulden, und erst kürzlich wurde die vormals kritische englischsprachige Tageszeitung „The Phnom Penh Post“ an einen malaysischen Geschäftsmann verkauft, der gute Beziehungen zu Hun Sen pflegt. Laut Reporter ohne Grenzen belegt Kambodscha derzeit auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 142 von 180.
Kritik äußert Pilorge auch an der Zusammenarbeit westlicher Staaten mit Kambodscha. Teilweise habe die internationale Gemeinschaft, darunter Deutschland, problematische Programme gefördert und dadurch Menschenrechte verletzt, bemängelt die Direktorin von Licadho. Vor allem Förderungen für Dezentralisierung und gute Regierungsführung missfallen ihr, weil das den undemokratischen Staat stärke. „Wir hoffen sehr, dass Deutschland Dezentralisierungsprogramme nicht weiter unterstützt, weder direkt noch indirekt“, sagt sie. „Wenigstens solange, bis grundlegende demokratische Prinzipien in Kambodscha wieder gelten.“ Pilorge ist nicht generell gegen Entwicklungshilfe, sie tritt jedoch dafür ein, dass nur Projekte gefördert werden, die „nicht umstritten sind oder schaden“ – in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Stärkung der Zivilgesellschaft.
Das Entwicklungsministerium (BMZ) will seine Zusammenarbeit mit Kambodscha jedoch zunächst nicht ändern. Klaus Supp, Ministerialrat im Referat China, Zentralasien, Ostasien, Laos und Kambodscha, betont auf Anfrage, Kambodscha sei eines der fünf erfolgreichsten Länder beim Erreichen der Millenniumsziele der Vereinten Nationen gewesen. „Es gibt enorme Entwicklungsfortschritte“, sagt er, vor allem bei der Bekämpfung der Armut und bei der Gesundheitsversorgung. Mangelnde Rechtssicherheit und Korruption behinderten jedoch die Entwicklung. Laut dem Korruptionsindex von Transparency International von 2017 liegt Kambodscha auf Rang 163 von 180 Staaten.
Einfluss durch Dezentralisierungsprojekte
Projekte zur Dezentralisierung würden weiter gefördert, „weil wir dadurch gewisse Einflussmöglichkeiten haben“, sagt Supp. „Wenn wir uns zurückziehen, überlassen wir das Spielfeld anderen.“ Im vergangenen Jahr hat das BMZ Kambodscha mit 36,8 Millionen Euro gefördert – für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft und des Gesundheitssystems sowie für gute Regierungsführung. Über die Höhe der bilateralen Hilfe wird alle zwei Jahre neu entschieden. Eine Möglichkeit, Hun Sens Politik zu kritisieren, sei, diese Mittel zu kürzen, sagt Supp. Dies träfe jedoch vor allem die arme ländliche Bevölkerung. Zudem könnten EU-Handelsbeschränkungen verhängt werden, jedoch nur bei schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Die EU prüfe diese Möglichkeit, allerdings wäre dadurch überwiegend die Textilindustrie betroffen, in der vor allem junge Frauen arbeiten. Das BMZ prüfe fortlaufend, ob und wie man mit Kambodscha weiterarbeiten könne.
Sollte sich der Westen zurückziehen, stünde China parat, um die Lücke zu füllen. Peking engagiert sich jetzt schon stark in Kambodscha, in den vergangenen Jahren haben chinesische Investitionen, vor allem in Infrastrukturprojekte und Immobilien, noch einmal stark zugenommen. 2017 investierten chinesische Unternehmen dort 1,4 Milliarden US-Dollar; laut der kambodschanischen Regierung entspricht das einem Drittel der gesamten Investitionen aus dem In- und Ausland. China stellt keine Bedingungen zur Einhaltung der Menschenrechte, Meinungs- oder Pressefreiheit. Das gefällt Hun Sen, der im Februar sagte, China respektiere ihn und wolle ihn nicht disziplinieren wie die USA oder Europa.
Laut dem politischen Analysten Ou Virak ist das ein bekanntes Muster. „Wenn wir Probleme mit dem Osten haben, suchen wir Unterstützung beim Westen; wenn wir Probleme mit dem Westen haben, wenden wir uns an den Osten: Das ist die politische Psychologie Kambodschas seit Jahrhunderten“, meint er. Der Kambodschaner, der in den USA aufgewachsen ist, hat Ende 2015 die unabhängige Denkfabrik Future Forum in Phnom Penh gegründet. Virak plädiert dafür, es den Kambodschanern selbst zu überlassen, ein politisches System aufzubauen und ihnen dafür mehr Zeit zu geben. Er ist gegen Druck aus dem Westen, der ihnen eine schnelle Demokratisierung vorschreibe, und glaubt, dass die Kambodschaner „noch zehn bis zwanzig Jahre“ brauchen werden.
Westliche Medien zeichneten zudem ein verzerrtes Bild der Vorgänge im Land, sagt er. Sie hätten etwa die Oppositionspartei CRNP als Boten der Demokratie und der Menschenrechte gefeiert, doch nicht erwähnt, dass sie mit rassistischen Aussagen gegenüber Vietnam ein Feindbild schüre. 2013, als die Menschen vor den Wahlen auf die Straße gingen, wurde berichtet, dass sie für mehr Freiheit, Demokratie und den Respekt von Menschenrechten demonstrierten. „Das ist nicht die ganze Wahrheit“, erklärt Virak. Viele seien auch auf die Straße gegangen, um die „Besatzung des Feindes“ zu beenden – damit ist Vietnam gemeint, das zwar Ende der 1970er Jahre die Roten Khmer vertrieben hat, aber seitdem in den Augen einiger Kambodschaner das Land besetze. Für sie seien Hun Sen und die CPP Marionetten der vietnamesischen Regierung, und die Opposition bediene diese Position. „Der Nationalismus treibt Menschen viel mehr an als andere Einflussfaktoren“, sagt Virak.
Um Kambodscha selbstbestimmt in Richtung Demokratie zu führen, müsse die einheimische Expertise gefördert werden, sagt Virak. Deshalb bietet er in seiner Denkfabrik jungen Akademikerinnen und Akademikern die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines Stipendiums ein Jahr lang mit der Zukunft Kambodschas auseinanderzusetzen und Ideen zu entwickeln. Auch die Menschenrechtsaktivistin Naly Pilorge setzt auf die nächste Generation. In der Jugend liegt statistisch gesehen viel Potenzial: Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sind etwa zwei Drittel der rund 16 Millionen Einwohner Kambodschas unter 30 Jahre alt. Pilorge meint, dass die Jugend sich heute über soziale Kanäle informiere, im Ausland studiere, dort kritisches Denken lerne und mehr wolle als ihre Eltern. „Sie wollen eine verantwortungsvolle Regierung und einige von ihnen verstehen, dass die Regierung eigentlich ihnen dienen soll und nicht andersherum“, sagt sie.
Es sei durchaus möglich, sich kritisch auszutauschen, meint Ou Virak – unter dem Radar der Regierung. Ein Beispiel ist die Factory Phnom Penh, in der auch seine Denkfabrik untergebracht ist. Die ehemalige Fabrikhalle wurde zu einem 3,4 Hektar großen Coworking Space umgestaltet. Im Januar 2018 wurde sie eröffnet und bietet Platz für aufstrebende Unternehmen und Ateliers für Künstler. Das Gebäude könnte auch in Berlin stehen: hip, offene Arbeitsplätze, Graffitis an den Wänden, Fahrräder zum Ausleihen und in der Mitte ein Café, in dem sich junge Leute treffen können – und darüber diskutieren, in welchem Kambodscha sie in Zukunft leben wollen.
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