Die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Organisationen schrumpfen in vielen Ländern, besonders wenn sie zu politischen Fragen und Menschenrechten arbeiten. Laut der internationalen Allianz für Bürgerrechte „Civicus“ leben nur zwei Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen sie sich uneingeschränkt politisch betätigen können, weitere knapp 9 Prozent können das mit gewissen Einschränkungen. Die Methoden, mit denen Regierungen zivilgesellschaftliche Organisationen behindern, sind laut Michael Windfuhr, dem stellvertretenden Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, vielfältig: Sie reichen von umständlichen Zulassungsverfahren über Beschränkungen bei der Finanzierung aus dem Ausland bis hin zu offenen Verboten und Gewalt gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Windfuhr deutet solche Schikanen gegen die Zivilgesellschaft auch als Gegenreaktion des Staates auf das Vordingen nichtstaatlicher Organisationen in die internationale Politik. Auf einem Symposium anlässlich des zehnjährigen Bestehens von „welt-sichten“ Ende Mai in Frankfurt am Main erklärte Windfuhr, solche Organisationen hätten in den 1990er Jahren, besonders sichtbar auf großen Weltkonferenzen, lautstark Teilhabe, Transparenz und Rechenschaftspflicht gefordert und damit viel erreicht. Zugleich habe sich die Marktwirtschaft globalisiert und in der Entwicklungspolitik die Idee vom „schlanken Staat“ durchgesetzt. Staatlichkeit sei so von mehreren Seiten unter Druck geraten. Jetzt beobachte man die Gegenreaktion vieler Regierungen gegen die Zivilgesellschaft. Um dem entgegenzusteuern, sollten in der Entwicklungspolitik Parteien und Parlamente wieder ernster genommen werden, meint Windfuhr. Und von der Zivilgesellschaft fordert er mehr Bescheidenheit. Sie sei „ein wichtiger Akteur, aber nur einer von vielen“.
Die Demokratieförderung im Ausland ist völkerrechtlich nicht klar geregelt
Auch Jonas Wolff, Politikwissenschaftler bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), plädiert dafür, Regierungen zuzuhören und ihre Einwände gegen ausländische Finanzhilfe für einheimische Organisationen ernst zu nehmen. Es gehe ihm nicht darum, die Beschränkung zivilgesellschaftlicher Arbeit zu verteidigen. Aber man müsse zu Kenntnis nehmen, dass heute international umstrittener sei als noch vor einigen Jahren, was unter demokratischer Teilhabe und Beteiligung zu verstehen sei. Noch gründe die internationale Ordnung auf dem Prinzip staatlicher Souveränität, während die Demokratieförderung im Ausland völkerrechtlich nicht klar geregelt sei.
Klaus Seitz, der Leiter der Abteilung Politik bei Brot für die Welt, widerspricht. „Universelle Menschenrechte stehen über nationaler Souveränität“, sagt er. Der UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Versammlungsfreiheit habe wiederholt klargestellt, dass dieses Recht auch den Erhalt von Fördermitteln aus dem Ausland umfasse. Seitz sieht im Trend des „shrinking space“ nur ein Symptom für eine „globale Krise der Demokratie“.
Wie sich dieser Trend auf die Partnerorganisationen in Indien und Simbabwe und damit indirekt auf die eigene Arbeit auswirkt, berichteten in Frankfurt Vertreter und Vertreterinnen der „welt-sichten“-Herausgeber. In Indien müssen sich nichtstaatliche Organisationen registrieren lassen, wenn sie Fördergelder aus dem Ausland beziehen. Die Vorgaben änderten sich jedoch ständig, erklärt Elmar Noé von Misereor. Die Folge: Es sei „kaum möglich, gesetzeskonform zu arbeiten“. Wer seine Registrierung verliere, könne diese zwar wieder neu beantragen. Doch das koste viel Zeit und Geld.
Partner in Indien brauchen mehr Schutz
Tobias Buser von der Schweizer Hilfsorganisation Fastenopfer berichtet, dass das indische Waldrechtsgesetz von 2006 indigenen Volksgruppen, den Adivasi, mehr Rechte an Land zuspricht. Gesetz und Wirklichkeit klafften jedoch auseinander: Die Menschen seien trotzdem Repressionen der Polizei ausgesetzt. Manche Gruppen träten deshalb nicht offen für Landrechte ein, sondern nur informell mit Hilfe von Veranstaltungen zur Pflege ihrer Kultur. Wie Noé ist Buser überzeugt, dass indische Partner mehr Schutz brauchen. Dazu gehöre unter anderem, die Kommunikation technisch sicherer zu machen. Und man müsse Spielräume nutzen: „Die Möglichkeit, unterm Radar zu fahren und auf informellem Weg den Dialog zu fördern, gibt es auch in repressiven Systemen“, sagt Buser.
In Simbabwe haben es politische Organisationen schon lange schwer. Bekommen sie mehr Spielraum, seit in dem südafrikanischen Land im vergangenen November Emmerson Mnangagwa den langjährigen Staatschef Robert Mugabe abgelöst hat? Der aus Simbabwe stammende Journalist Itai Mushekwe erkennt kaum Besserung. „Der neue Präsident gibt vor, offen zu sein. Das stimmt nicht“, warnte er in Frankfurt. Die Bedingungen für Journalisten hätten sich „von schlecht zu schlechter“ entwickelt. Für unabhängige Medien zu arbeiten, sei noch schwerer geworden als zuvor. „Wer zu kritisch ist, droht verhaftet zu werden“, sagt Mushekwe und berichtet, die neue Regierung habe klargestellt, dass sie die politische Opposition ignorieren werde. Humanitäre Hilfsorganisationen hingegen seien willkommen.
Gudrun Steiner von der Kindernothilfe bestätigt diesen Eindruck: Für Hilfsorganisationen könnte es besser werden in Simbabwe. Projektpartner seien weiter Polizeikontrollen ausgesetzt, aber seltener als früher. Es gebe allerdings Kollegen, die das anders einschätzten. Der Machtwechsel lasse in jedem Falle hoffen, dass nach dem Abtritt des Diktators wieder mehr Geld in die Zusammenarbeit mit Zimbabwe fließe.
Frank Bliss bezweifelt jedoch, dass die Geber die wirklich relevanten Organisationen im Blick haben. Bliss befasst sich seit vielen Jahren als entwicklungspolitische Berater und Gutachter mit der Zivilgesellschaft in Ländern Afrikas und Zentralasiens. Er warnt, Geber aus dem Norden – und zwar staatliche wie nichtstaatliche – erreichten dort die „echte Zivilgesellschaft“ häufig gar nicht. In vielen Fällen seien ihre Partner professionelle Entwicklungsmakler, während Gewerkschaften oder Berufsverbände links liegen gelassen würden. Iris Menn von der Christoffel-Blindenmission (CBM) lässt das für ihre Organisation nicht gelten: Die CBM arbeite mit vielen Graswurzelinitiativen zusammen. Oft erreiche man die allerdings nur indirekt über professionelle Mittlerorganisationen in den Städten.
Autorin
Hanna Pütz
hat bei „welt-sichten“ volontiert und ist jetzt Online-Redakteurin bei „Aktion Deutschland Hilft“ in Bonn.Die Beschränkung ihrer Handlungsspielräume zwingt lokale Organisationen und ihre Partner im Norden, neu über Ziele und Strategien ihrer Arbeit nachzudenken. Sie können, hieß es auf dem Symposium, auf neue Partner zugehen, Graswurzelinitiativen stärker untereinander in Kontakt bringen und vernetzen und den politischen Dialog auch mit Behördenvertretern fördern.
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