Zwietracht im Naturparadies

Yaguas-Fluss in Peru
Perus Regierung hat das Gebiet am Yaguas-Fluss zum Nationalpark ernannt. Und schon entzündet sich der Konflikt zwischen dem Naturschutz und dem Recht der Indigenen auf Entwicklung neu.

Rosa Flussdelfine, Riesenotter und Seekühe tummeln sich im Wasser, Wollaffen hangeln sich von einem dicht belaubten Baum zum nächsten, Jaguare schleichen durch das Unterholz: All das findet man noch in einem Gebiet im Nordosten des peruanischen Regenwaldes an der Grenze zu Kolumbien. Die Naturkundler vom Field-Museum aus Chicago kamen aus dem Staunen nicht heraus, als sie die Tier- und Pflanzenwelt am Yaguas-Fluss dokumentierten: zwei Drittel aller in Peru vorkommenden Süsswasserfische, bis zu 3500 Pflanzenarten, 110 Amphibienarten und noch einmal so viele Schlangen, 500 Vogelarten und 160 Arten von Säugetieren. Nur Menschen fanden sie keine – ein paradiesischer Zustand.

Mitte Januar hat die peruanische Regierung das mit 8700 Quadratkilometern drei Mal so große Gebiet wie das Saarland zum Nationalpark ernannt. Schon am Tag darauf protestierte Perus größter Amazonas-Indigenenverband Aidesep auf einer Pressekonferenz im Parlament gegen die Entscheidung. Der Konflikt ist nicht neu. Schon 2011 hatte die peruanische Naturschutzbehörde SERNANP das Gebiet am Yaguas-Fluss zur Schutzzone ernannt, um dort einen Nationalpark zu errichten und damit die zweithöchste Kategorie des Landes zum Schutz der Natur zu vergeben. Nur historische Zonen und Gebiete nationalen Interesses stehen noch höher – wie das Areal um die Inka-Ruine Machu Picchu.

Gemanagt wird ein Nationalpark von der staatlichen Naturschutzbehörde. Sie ist allein verantwortlich für alle Entscheidungen, auch wenn im Gebiet Ansässige oder Anwohner in gemeinsamen „Betriebsräten“ ein Mitspracherecht haben. Und vor allem: Natürliche Ressourcen aus einem Nationalpark dürfen nicht außerhalb vermarktet werden. Die Jagd und die Fischerei sind nur zum eigenen Lebensunterhalt erlaubt, Holz darf nur für den Bau des eigenen Hauses geschlagen werden. Der Abbau von Gold und der Holzschlag für den Verkauf sind streng verboten.

Dagegen wenden sich einige Indigenengemeinschaften, die rund um das als von Menschen  unbewohnt geltende Yaguas-Gebiet siedeln. Sie haben bereits im Juni 2017 vorgeschlagen, einen Teil des Areals als kommunales Schutzgebiet innerhalb des Nationalparks auszuweisen. Das stünde unter der Verwaltung der Indigenen und sie könnten es auch wirtschaftlich nutzen. Bei einer Vorabkonsultation im ersten Halbjahr 2017 hatten sich 23 von 29 Anrainergemeinden für den geplanten Park ausgesprochen, sechs stimmten für die Schutzzone innerhalb des Nationalparks.

Der Vorsitzende von Aidesep, Lizardo Cauper, verteidigt die Minderheitenposition. „Den Gemeinden wurde nie richtig erklärt, was ein Nationalpark bedeutet und dass es auch andere Schutzkategorien gibt“, sagt er. „Die Gemeinden, die dagegen waren, leben von dem, was Wald und Fluss hergeben. Das dürfen sie nun nicht mehr.“ Eine Vorabkonsultation sei „keine Wahl, wo die Mehrheit gewinnt. Wenn sich eine Gemeinde durch eine Maßnahme in ihren Rechten verletzt fühlt, kann sie dagegen klagen.“

Das, was Cauper als angestammtes Recht bezeichnet – das Nutzrecht am Wald –, betrachten andere als illegales Geschäft. „Die Gemeinden, die dagegen sind, holen illegal Tropenholz aus dem Gebiet und verkaufen es nach Kolumbien“, sagt Fernando Alvarado, Präsident von 13 Gemeinden, die sich für den Nationalpark ausgesprochen haben. Für sie, die ein bis zwei Tagesmärsche entfernt wohnen – und deshalb nicht in Versuchung sind, selbst dort Bäume abzuholzen –, ist das Gebiet von Yaguas eine heilige, unberührte Zone, in der sich die Tiere und Fische erholen. Sobald sie den Park verlassen, können sie gefangen und gejagt werden. Eine Begründung, warum der Indigenen-Dachverband sich gegen den Nationalpark ausspricht, hat Alvarado auch: „Verwandte eines hohen Indigenen-Funktionärs sind im illegalen Holzhandel mit Kolumbien aktiv.“

Der Druck, den Regenwald zu schützen, ist groß

Im Konflikt um den Nationalpark Yaguas bündeln sich die vielfältigen Interessen, die das Amazonasgebiet heute mehr denn je bedrängen. Da sind einerseits Bauern, die auf der Suche nach neuem Weideland nach und nach den Regenwald roden. Große, oft internationale Investoren reißen sich Land für den Anbau von Palmöl legal unter die Nägel mit der Begründung, ihre akkurat in Reihen gepflanzten Ölpalmen seien schließlich auch Wald. Holzhändler schaffen es immer noch, das begehrte, illegal geschlagene Zedern- und Mahagoniholz aus dem Amazonasgebiet mit legalen Frachtpapieren zu versehen, obwohl der Export von Tropenholz längst verboten ist. Konzerne fördern mitten im Regenwald Erdöl und jagen es durch eine 40 Jahre alte Pipeline, die immer wieder bricht und ganze Bäche mit einer Ölschicht vergiftet. Und da sind seit dem globalen Goldboom, mit dem das Jahrtausend begonnen hat, unzählige kleinere und größere Goldschürfer, die mit Saugbaggern die Urwaldflüsse durchgraben und dabei eine Spur von Quecksilber, Schweröl und wild gefällten Bäumen zurücklassen.

Der Druck, den Regenwald zu schützen, ist jedoch ebenfalls groß. Die Staatengemeinschaft will Wälder erhalten, weil sie den weltweiten Klimawandel aufhalten will. Dazu soll auch die Ausweisung von Nationalparks beitragen. Die CO2-Senken des neuen Nationalparks Yaguas sollen in den nächsten 20 Jahren die Emission von 1,5 Millionen Tonnen CO2 verhindern. Laut Berechnungen von SERNANP entspricht das einem Wert von umgerechnet 2,2 Millionen Euro.

Autorin

Hildegard Willer

ist freie Journalistin und lebt in Lima (Peru).
Beim Erhalt des Regenwaldes und der Umsetzung der Klimaschutzziele ist Deutschland für Peru ein wichtiger Partner. Die Bundesregierung fördert über das Entwicklungsministerium (BMZ) und das Umweltministerium (BMUB) das peruanische Umweltministerium, die Naturschutzbehörde sowie den Aufbau eines Waldschutzprogramms im Rahmen der Klimafinanzierung. In den vergangenen 22 Jahren habe Deutschland die Schaffung von Schutzgebieten in Peru mit insgesamt 95 Millionen US-Dollar unterstützt, heißt es auf der Website der deutschen Botschaft in Lima.

Das BMZ habe der Naturschutzbehörde seit 2013 insgesamt 45 Millionen Euro zugesagt, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Diese Mittel sind bislang nicht zur Förderung des Nationalparks Yaguas genutzt worden, könnten aber künftig auch zu diesem Zweck eingesetzt werden. Außerdem hat die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) die Naturschutzbehörde seit 2015 finanziell und logistisch dabei unterstützt, den Schutz von Yaguas zu verbessern. Der Geschäftsführer der ZGF, Christof Schenck, betonte nach der Ausweisung des Nationalparks, dieser gehe auch auf den Wunsch der indigenen Anrainergemeinden zurück. „Sie wissen, dass der Park ihre Lebensgrundlagen sichert“, erklärte er.

Die Kriegsmarine vertrieb die illegalen Goldsucher

Bislang kommt in Peru der Waldschutz allerdings nur langsam voran. Das Monitoring of Andean Amazon Project (MAAP) schätzt aufgrund von Satellitenbildern, dass sich 2017 der Verlust des peruanischen Regenwaldes im Vergleich zum Vorjahr zwar verlangsamt habe. Dennoch seien umgerechnet 200.000 Fußballfelder Waldfläche verloren gegangen – vor allem an die Landwirtschaft, den Anbau von Ölpalmen und den Abbau von Gold. „Als wir die Satellitenbilder von sechs Saugbaggern zum Goldabbau im Yaguas-Fluss sahen, mussten wir etwas unternehmen“, sagt Pedro Gamio, Direktor der Naturschutzbehörde SERNANP. Er rief die Kriegsmarine, die auch für die Sicherheit der Amazonas-Wasserwege zuständig ist. Sie vertrieb die illegalen Goldsucher.

Gamio meint, hinter der Ablehnung des Nationalparks steckten die Profiteure des illegalen Holz- und Goldabbaus. Ein kommunales Schutzgebiet, wie es der Indigenenverband Aidesep propagiert, sei keine echte Alternative. „Die Leute werden an der Nase herumgeführt“, sagt Gamio. „Auch in einem kommunalen Schutzgebiet darf man kein Holz schlagen und verkaufen.“ Er setzt stattdessen auf legale, umweltschonende Einkommensquellen, die er den indigenen Gemeinden in der Pufferzone des Nationalparks schmackhaft machen will: die Zucht von kleinen Schildkröten und Zierfischen, die insbesondere in China viele Abnehmer finden, soll den Anrainern des Nationalparks Einnahmen bringen. Die Anschubfinanzierung soll eine Millionenspende des privaten nordamerikanischen Andes-Amazon-Fonds leisten.

Zwischen den Interessen derer, die den Regenwald ausbeuten wollen, und jenen, die ihn erhalten wollen, stehen die indigenen Völker, die ihn seit jeher bewohnen. Sie leben meist von dem, was sie fischen, jagen und anbauen, und gehören damit bis heute zu den Ärmsten in Peru. Manche von ihnen sind auch im illegalen Goldabbau oder Holzschlag tätig – in der Regel als letztes Glied in der Kette.

Eigentlich dürfte zwischen dem Schutz der Umwelt und den Interessen der indigenen Völker kein Konflikt bestehen, sagt der Ökologe Ernesto Ráez von der Universität Ruiz de Montoya in Lima. „Die indigenen Völker sind für ihren Lebensunterhalt auf eine intakte Natur angewiesen.“ In Peru jedoch würden sie als „Bedrohung für den Erhalt der Natur angesehen“. Ráez hat untersucht, wie im ältesten Nationalpark Perus, dem vor 45 Jahren gegründeten Park Manú im Departamento Madre de Dios, die Bedürfnisse der dort lebenden indigenen Völker und die Anforderungen des Naturschutzes zusammengehen. „Alle wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben, dass die Existenz indigener Völker im Nationalpark der biologischen Vielfalt nicht geschadet hat. Aber die Naturschutzbehörden ignorieren diese Ergebnisse.“

Zugleich kritisiert Ráez, dass der peruanische Staat zwar einerseits auf Naturschutz setzt, andererseits aber den Mythos von der Entwicklung und Modernisierung des Amazonas-Gebietes verbreitet. „Das ist eine totale Illusion. Den Indigenen werden falsche Hoffnungen gemacht.“ Laut Ráez fehlt es den Naturschützern außerdem an interkulturellen Kompetenzen, wie sie mit indigenen Völkern zusammenleben und -arbeiten können. Diese Kompetenzen werden künftig noch notwendiger werden. Denn zwischen dem Anliegen, die intakte Natur zu schützen, und dem Recht der indigenen Anwohner auf Entwicklung und materielle Teilhabe muss zunehmend vermittelt werden.

Die Großmutter des 66-jährigen Benjamín Rodríguez vom Volk der Ocaína hat noch die Versklavung während des Kautschukbooms vor rund 100 Jahren erlebt. Für seine Kinder wünscht sich Rodríguez eine bessere Zukunft als die eines Subsistenzbauern. „Meine Kinder sollen studieren können und einen Beruf lernen“, sagt der Präsident eines Indigenenverbandes, der sich für die Einrichtung des Nationalparks Yaguas ausgesprochen hat. Der Park weckt Hoffnungen auf Entwicklung bei den an den Park angrenzenden Dörfern: Ein Job als Ranger bei SERNANP oder neue, von der Behörde finanzierte Projekte sollen das ersehnte Einkommen bringen. Der Park hat aber auch Zwietracht gesät: Eine indigene Organisation hat sich gespalten, eine andere steht kurz davor. Und während der Direktor der staatlichen Naturschutzbehörde beteuert, seine Behörde sehe in Yaguas keinen Konflikt, kündigt der Präsident des Indigenen-Dachverbands Aidesep Rechtsmittel gegen die Schaffung des Nationalparks an.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2018: Neu ist Kult
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