Die Bundeswehr und deutsche Polizisten beteiligen sich in Mali an einer europäischen Mission mit ehrgeizigem Ziel: Armee und Polizei dort sollen in die Lage versetzt werden, für Sicherheit im Land zu sorgen. Auch Afghanistan erhält solche Unterstützung und in kleinerem Umfang Jordanien und der Irak, Tunesien, Nigeria und Niger: teils Training und Beratung, teils Geräte wie Lastwagen und Aufklärungstechnik. Das Konzept der Bundesregierung ist jedoch, den ganzen Sicherheitssektor einschließlich Rechtswesen in schwachen, krisengeplagten Staaten zu verbessern. Für solche Sicherheitssektorreformen (SSR), die Berlin als Instrument der Friedensförderung und der Sicherheitspolitik begreift, erarbeiten die fünf beteiligten Ministerien für Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklung, Inneres und Justiz eine neue gemeinsame Strategie. Dazu haben sie Ende April zu einer Debatte auf peacelab.blog eingeladen.
Das ist lobenswert, weil es die nötige offene Diskussion fördert. Der Anstoß aus der Regierung verbirgt allerdings grundlegende Probleme hinter wohlklingenden Konzepten. Laut den fünf Ministerien soll sich die neue Strategie am Prinzip der menschlichen Sicherheit ausrichten, am Recht der Einzelnen auf ein Leben ohne Angst und Not. In fragilen Staaten sollen Sicherheitsorgane nicht nur leistungsfähig werden, sondern auch legitimiert, an das Recht gebunden und demokratischer Kontrolle unterstellt. Das ist zwar wünschenswert, doch die meisten Versuche, so etwas in fragilen Staaten mit Hilfe von außen zu schaffen, sind gescheitert – selbst wenn enormer Aufwand betrieben wird wie in Afghanistan. Hier kontrolliert die Regierung laut einem neuen Bericht der US-Regierung nur noch gut die Hälfte des Staatsgebietes, und die Zahl ihrer Soldaten ist im vergangenen Jahr um ein Zehntel geschrumpft.
Eine ehrliche Debatte müsste an den Gründen solcher Fehlschläge ansetzen. Ein Kernproblem von SSR liegt darin, dass es fragilen Staaten nicht einfach an Leistungsfähigkeit fehlt – etwa an Sozialdiensten und Polizisten. Die Regierung ist hier nur einer von mehreren Herrschaftsträgern, die Legitimität beanspruchen; wer die Zentralregierung bildet und wie sie die Macht mit lokalen oder ethnischen Führungsgremien teilt, ist umstritten. Dies ist der Nährboden für Rebellionen wie in Mali und Afghanistan. Wer hier „den Staat“ stärkt, greift in die Machtbalance und in den Streit um Legitimität ein und nimmt Partei – meist die der offiziellen Regierung. Mit der müssen Geberländer arbeiten, weshalb SSR-Programme auf den Staat fixiert sind und meist informelle Schlichtungsgremien ignorieren.
In Mali unterstützt Europa korrupte Sicherheitskräfte
Solche Hilfe kann im Einzelfall nötig sein; als einer der wenigen Erfolgsfälle von SSR gilt Sierra Leone nach dem Bürgerkrieg bis zum Jahr 2000. Oft aber wird sie mehr schaden als nutzen. In Mali unterstützt Europa Sicherheitskräfte, die korrupt sind und mit Übergriffen im Zentrum des Landes radikalen Gruppen noch Zulauf verschaffen. Die Regierung tut wenig, sie an die Kandare zu nehmen. Diese Art Terrorbekämpfung halten manche Politiker in Mali für verhängnisvoll und treten für eine Verhandlungslösung ein, ohne in Europa Gehör zu finden.
Es ist verfehlt, Krisenländern standardmäßig Hilfe für Armee oder Polizei anzubieten und, sollten die brutal und rechtswidrig vorgehen, noch ein Menschenrechtstraining und Justizreformen draufzupacken. Da Hilfe für Sicherheitskräfte so riskant ist, sollte eine am Frieden orientierte Strategie für SSR festlegen, dass sie im Zweifel unterbleibt, wenn die Voraussetzungen schlecht sind. SSR-Projekte sind zudem höchstens eins der Instrumente, eine Gewaltspirale zu bremsen – neben diplomatischen Initiativen, Entwicklungshilfe oder Erleichterungen für Handel und Arbeitsmigration. Was sinnvoll scheint, muss man auf Basis von sorgfältiger Beobachtung des Partnerlands beurteilen.
Allerdings verfolgen Geberländer, auch Deutschland, mit Militär- und Polizeihilfe eigene Interessen – verschieden gewichtet je nach Ministerium. Sie wollen Gesprächskanäle ins Partnerland und den Austausch zwischen Nachrichtendiensten aufrechterhalten oder Migration schon in Afrika bremsen. Die beliebte Behauptung, was das Leben im Sahel sicherer mache, diene auch unserer Sicherheit und umgekehrt, ist Augenwischerei. Europa vor Migranten zu sichern, indem man sie von Soldaten des Niger aufhalten lässt, kann dort Konflikte anheizen. Im Zweifel haben für Geberregierungen aber meist eigene, kurzfristige Interessen Vorrang – zum Schaden von durchdachter Friedensförderung. Zu der werden sich die fünf Ministerien in der neuen SSR-Strategie gemeinsam bekennen. Doch Papier ist bekanntlich geduldig.
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