Als die Abwasseringenieurin Ashley Muspratt ihr Start-up 2015 nach Kigali in Ruanda verlegte, hatte die Stadt keine zentrale Kläranlage. Wer in der Millionenstadt das Glück hatte, eine Toilette mit Wasserspülung zu besitzen, musste sie an eine Klärgrube anschließen. War der Tank voll, wurde ein Lastwagen bestellt, um die Grube auszupumpen. Der Inhalt wurde über unbefestigte, staubige Straßen zu einem riesigen Becken unter freiem Himmel geschafft, das man am Stadtrand auf einer Mülldeponie ausgehoben hatte. Mit Hygienestandards für die Abwasserbehandlung hat das wenig zu tun. Aber es ist typisch für Entwicklungsländer.
Mangelnde Hygiene ist weltweit eine große Herausforderung. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO und des UN-Kinderhilfswerks Unicef aus dem vergangenen Jahr müssen weltweit etwa 4,5 Milliarden Menschen ohne sichere sanitäre Anlagen auskommen. 900 Millionen von ihnen haben gar keine Toilette. Für die Übrigen bedeutet das: Bei ihren Toiletten, bei denen das Abwasser in Tanks oder Gruben gesammelt wird, werden die im Fäkalschlamm enthaltenen Krankheitserreger nicht aus dem Verkehr gezogen. In der Folge können sich Krankheiten wie Cholera, Ruhr, Hepatitis A und Typhus ausbreiten.
Geschäfte in Millionenhöhe
Hochkomplexe Anlagen zur Reinigung von Abwasser, die im Rahmen von Entwicklungsprojekten aus Industrieländern importiert werden, sind oft zum Scheitern verurteilt, weil es vor Ort an Geld und Fachpersonal mangelt. Doch in den vergangenen Jahren hat sich eine neue Idee unter Wissenschaftlern durchgesetzt: Sie begreifen die Abwasserbehandlung als einen technisch einfachen Fertigungsprozess, in dem Exkremente als Rohstoff betrachtet werden. Es gibt viele mögliche Endprodukte: Dünger, Energie, Baumaterialien.
Der Verkauf dieser Erzeugnisse würde die Betriebskosten senken und einen Anreiz darstellen, die gesamte Kette der Abwasserbehandlung effizienter zu machen. Die Toilet Board Coalition, eine Partnerschaft unter Mitwirkung globaler Konzerne wie Unilever und Kimberly-Clark, schätzt, dass die Sanitärwirtschaft allein in Indien für die kommenden drei Jahre „praktisch unausgeschöpfte“ Geschäftsmöglichkeiten in Höhe von 62 Milliarden US-Dollar bietet.
„Die Rückgewinnung von Wertstoffen bietet vielen Städten die Chance, Einnahmen aus dem Verkauf der Endprodukte zu erzielen. Damit können sie die Kläranlage weiterbetreiben und die hygienischen Bedingungen verbessern“, erklärt die Bodenkundlerin Olufunke Cofie. Aber sie warnt auch: Damit dieser Ansatz erfolgreich ist, braucht es nicht nur eine neue Technologie, sondern auch eine angemessene Regulierung und breite öffentliche Zustimmung. Nicht zuletzt müsse die Finanzierung gewährleistet sein, sagt Cofie, die das Westafrikabüro des International Water Management Institute im ghanaischen Accra leitet.
Autorin
Chelsea Wald
ist freie Journalistin in Den Haag, Niederlande. Sie beschäftigt sich vor allem mit Wissenschafts- und Umweltthemen.Verarbeitung zu Brenngranulat
Dabei war ihr klar: Sie musste aus dem Fäkalschlamm ein Produkt entwickeln, das sich bestmöglich vermarkten lässt. Forscher aus aller Welt hatten schon viele Optionen aufgezeigt. Klärschlamm lässt sich zu Dünger verarbeiten, in Klärteichen lassen sich Pflanzen und Fische züchten. Ferner kann man daraus Energie in verschiedener Form gewinnen, indem man Mikroben für die Erzeugung von Biogas einsetzt oder den Schlamm zu Holzkohlebriketts presst. Nach einem Bericht der Universität der Vereinten Nationen im kanadischen Hamilton von 2015 könnten die menschlichen Exkremente auf der ganzen Erde zusammen mehr als 138 Millionen Haushalte jährlich mit Strom versorgen. Zusätzlich könnte der als Nebenprodukt anfallende Schlamm für weitere 130.000 Haushalte einen holzkohleartigen Brennstoff liefern.
Muspratt verglich die Lösungen aus einer Vielzahl von Studien und kam zu einem Schluss, der von der herkömmlichen Meinung abweicht. Die meisten Leute, sagt sie, nähmen an, dass sich Dünger und Biogas am besten eignen, weil sie in Nordamerika und Europa so weit verbreitet sind. Aber der Dünger aus der Kläranlage – das wahrscheinlich älteste und traditionellste Endprodukt aus menschlichen Ausscheidungen – steht im Wettbewerb zu massiv subventioniertem, importiertem Kunstdünger. Das bedeutet, dass die Bauern vermutlich nicht viel dafür bezahlen werden, und die Nachfrage ist saisonal bedingt. Biogas ist schwierig zu lagern und zu transportieren, und mancherorts fehlt es an der Infrastruktur, um es zu nutzen.
Sie entschied sich für einen anderen Weg: In der Kläranlage mit Namen „Pivot-Werke“ wurde der Schlamm von Krankheitserregern gereinigt und zu einem Festbrennstoff in Form eines feinen Pulvers beziehungsweise Granulats verarbeitet. Technologisch war das dort eingesetzte Verfahren recht einfach und kam ohne teure Infrastruktur, Kraftstoff oder chemische Betriebsmittel aus. Zuerst stellten die Pivot-Mitarbeiter, in grüne Overalls gekleidet und oft mit Mundschutz ausgerüstet, aus dem flüssigen Schlamm durch Zusatz eines Polymers eine feuchte Masse her, die dann über ein Mikrosieb lief.
Danach ließ man sie etwa sieben Tage lang in Glashäusern weiter trocknen. Abschließend wurde die Substanz durch eine Trockeneinheit geleitet, die mit Kartonabfällen befeuert wurde. Danach war sie trocken genug, um zu brennen, und alle eventuell überlebenden Krankheitserreger waren abgetötet. Für die Anlage stellte die Stadt Kigali ein Grundstück zur Verfügung, sozial interessierte Investoren steuerten Zuschüsse bei.
Umweltregulierung als Anreiz
Aus der Marktperspektive trifft diese Art Brennstoff auf einen vorhandenen Bedarf, besonders in Afrika: Zement- und Ziegelsteinhersteller nutzen pulverförmigen trockenen Brennstoff anstelle von Briketts für ihre Brennöfen und sind immer auf der Suche nach neuen Bezugsquellen – besonders solchen, die sich umweltverträglich nennen dürfen. Viele Unternehmen und Länder hätten strenge Umweltauflagen, darunter auch Ruanda, erklärt Muspratt. „Ich werde oft gefragt, warum Unternehmen den Brennstoff kaufen sollten, was der Anreiz ist. Und Umweltregulierungen sind ein wichtiger Treiber.“
Ein großes Problem von Pivot bestand darin, genug Schlamm für die Fabrikanlage zu bekommen. Der Inhalt aus den Klärgruben in den wohlhabenderen Stadtteilen reichte nicht aus. In den informellen Siedlungen Kigalis gibt es Tausende Latrinen, deren Gruben die Bewohner mit einer Schaufel leeren - eine gefährliche und illegale Tätigkeit. Pivot startete ein Nebengeschäft und setzte Saugfahrzeuge zum Leeren der Gruben ein. Die Nachfrage sei groß gewesen, berichtet Muspratt, aber die Qualität des Schlamms war wegen der Bauweise der Gruben keineswegs ideal. „Es ist die reine Ironie. Alle diese Städte haben große Probleme mit der Hygiene, weil sie die Abwässer nicht reinigen können. Trotzdem ist es für eine Kläranlage schwierig, genügend Abwasser zu bekommen.“
Nach mehr als zwei Jahren Betrieb hatten die Pivot-Werke, die komplett von einem einheimischen Team gemanagt wurden, ihr Ziel nahezu erreicht. Ihre Kapitalkosten lagen nach eigenen Angaben um die Hälfte unter denen von konventionellen Kläranlagen, die Betriebskosten waren sogar drei Viertel geringer. Außerdem waren 50 Jobs entstanden, in einem Land, das nach Arbeitsplätzen hungert. Es waren mehr als 36.000 Kubikmeter Fäkalschlamm verarbeitet und 200 Tonnen Brennstoff hergestellt worden.
Das Unternehmen konnte nicht schnell genug expandieren
Leider reichte die gute Technologie nicht. Das Geschäftsmodell von Muspratts Start-up war darauf aufgebaut, gleichartige Anlagen an Gemeinden in der ganzen Welt, insbesondere in Afrika und Indien, zu verkaufen. Dort steigt die Nachfrage nach solchen Lösungen, weil die Regierungen die Hygiene verbessern wollen. Doch um mit ihnen ins Geschäft zu kommen, braucht es langen Atem: die Projektentwicklungszyklen sind lang, die Beschaffungsregeln undurchsichtig und die verfügbaren finanziellen Ressourcen begrenzt.
„Das Konzept der Wertstoffrückgewinnung ist für die meisten Fachkräfte in diesem Sektor noch neu“, sagt Doulaye Kone, stellvertretender Direktor des Water, Sanitation and Hygiene Program der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung in Seattle. „Wenn man gewohnt ist zu denken, dass es hier kein Geld zu verdienen gibt, dann braucht es seine Zeit, bis sich die Entscheidungsträger umgewöhnt haben.“ Das Unternehmen konnte nicht schnell genug expandieren, um sich am Markt zu halten.
Meinungsverschiedenheiten mit einigen Investoren verschlimmerten die finanziellen Nöte. Im vergangenen Jahr musste Pivot offiziell Konkurs anmelden. Die Anlage wurde abgebaut, das Inventar und die Vermögensgegenstände wurden veräußert. Kigali steht jetzt wieder da wie zuvor und entsorgt den Inhalt der septischen Tanks in einer Grube unter freiem Himmel. Die Stadt hat erst kürzlich eine Ausschreibung für ihr erstes zentrales Kanalisationsnetz gestartet, aber das Verfahren wird Jahre dauern.
Ashley Muspratt hat einen neuen Weg eingeschlagen. Gemeinsam mit dem leitenden Ingenieur von Pivot, Andy Miller, hat sie in den USA eine neue Firma mit dem Namen „30 degrees“ (30 Grad) gegründet. Sie beraten große Bauunternehmen mit einem Interesse an der Abwasserwirtschaft und den nötigen Ressourcen für das Geschäft mit Regierungen, die Pivot seinerzeit abgingen.
Pivots Untergang war ein Rückschlag in dem kleinen, aber wachsenden Bereich, sagt der Bau- und Umweltingenieur Daniel Ddiba, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stockholmer Umweltinstitut. Er hatte vor einigen Jahren Forschungsergebnisse zur Verfügung gestellt, die Muspratt nutzte, um die Technologie für die Pivot-Werke zu entwickeln. „Für mich war es eine traurige Wendung der Dinge“, sagt er. „Ich war überzeugt, sie hätten sich als einer der Pioniere im Bereich der Umwandlung von Fäkalschlamm in Brennstoff bewährt.“ Man müsse jedoch anerkennen, „dass sie in einem schwierigen Umfeld tätig waren“. Die Wertstoffrückgewinnung hat zwar das Potenzial, die sanitären Bedingungen für Milliarden Menschen zu revolutionieren. Aber noch lässt eine Erfolgsgeschichte auf sich warten, die ihr zum Durchbruch verhilft.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
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