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Abfallentsorgung
Rainer Hörig

Baida und Ram Jogdand sorgen in Pune jeden Morgen dafür, dass die Leute ihren Müll trennen.

Müllsammler in Pune
Indische Großstädte tun sich schwer mit ihrem Müll. Häufig landet er unsortiert auf großen Deponien und schädigt die Umwelt und die Gesundheit der Anwohner. Die Millionenstadt Pune sucht nach anderen Wegen.

Die Sonne steht tief über dem Hügel, der die Wohnblocks in der Umgebung des Dorfes Urali Devachi überragt. Hoch oben kreuzen auf einem ausgedehnten Plateau rostige Kettenfahrzeuge, entleeren große Kipplaster ihre stinkende Fracht. Mit langen Eisenhaken stürzen sich mehr als ein Dutzend vermummte Gestalten auf den neuen Abfallberg. Mit flinken Fingern klauben sie Glas- und Metallstücke, Pappkartons und Plastikfolien aus der schmierigen Masse und stopfen sie in große, schmutzig-weiße Plastiksäcke auf ihren Schultern. Mit dem Verkauf der Wertstoffe verdienen sie umgerechnet etwa ein bis zwei Euro am Tag.

An Nachschub mangelt es nicht. Denn auf der Deponie landet ein Großteil des Mülls der Stadt Pune, einer aufstrebenden Industriemetropole mit fünf Millionen Einwohnern 120 Kilometer östlich der Hafenstadt Mumbai. Der Umweltbeauftragte der Stadtverwaltung, Suresh Jagtap, kennt die Zahlen: „Das gesamte Abfallaufkommen der Stadt beträgt pro Tag mehr als 2000 Tonnen. Davon besteht fast die Hälfte aus organischen Abfällen, etwa ein Drittel kann recycelt werden, der Rest geht auf die Deponie. Dahin liefern wir zurzeit 850 bis 950 Tonnen Müll täglich, das entspricht 70 bis 80 Lastwagenladungen.“

Die Deponie verpestet die Luft und vergiftet den Boden

Seit 25 Jahren wächst in Urali Devachi der Müllberg in den Himmel. Was damals als harmlos erscheinende Deponie begann, hat sich inzwischen zu einer Umweltkatastrophe entwickelt. In dem unter tropischer Sonne gärenden Müll brüten Krankheitserreger. Hochgiftige Flüssigkeiten sickern ins Erdreich. Im Sommer, wenn die Temperaturen über 40 Grad klettern, entzündet sich der Müll an Hunderten verschiedenen Orten. Ätzende Rauchschwaden ziehen dann Tag und Nacht durch das Dorf am Fuße des Müllbergs.

„Manchmal ist der Rauch so dicht, dass man kaum noch die eigene Hand vor Augen sieht“, klagt die Bäuerin Surukha Badel. „Wir können das Haus nicht verlassen, und selbst drinnen fühlen wir uns, als müssten wir ersticken. Unsere Kinder leiden an chronischem Husten und Bronchitis.“ Auch das Grundwasser ist großflächig verseucht, die Landwirtschaft liegt am Boden. In den Brunnen bedeckt ein öliger Film das Wasser. Seit Jahren wird die Bevölkerung von Urali Devachi mit Trinkwasser aus Tankwagen versorgt. „Unser eigenes Wasser taugt nicht einmal mehr zum Wäschewaschen“, bestätigt Surukha Badel.

Überall in Indien leiden Dorfgemeinschaften in der Nähe von Großstädten unter solchen Müllbergen, denn die Stadtverwaltungen setzen vornehmlich auf die Deponierung von Abfällen. Landesweit existieren nur wenige Anlagen, die Müll verbrennen. Die meisten kämpfen mit hohen Kosten, weil indischer Müll wegen seines großen Anteils an organischen Abfällen viel Feuchtigkeit enthält und daher zusammen mit Öl oder Gas verbrannt werden muss.

Doch immer mehr Gemeinschaften im ganzen Land begehren auf gegen die verfehlte staatliche Müllpolitik. Auch in Urali Devachi errichteten die Bewohner schon Straßensperren, um die Mülltransporter aus Pune zu stoppen. Zeitweise musste die Stadtverwaltung den Müll unter Polizeischutz zur Deponie bringen lassen. „Wir haben uns mit den Dorfbewohnern geeinigt“, behauptet der städtische Beauftragte Suresh Jagtap. „Wir versorgen den gesamten Ort mit Trinkwasser und bieten den besonders betroffenen Familien Jobs in der Stadtverwaltung an. Wir bemühen uns auch, die Deponie durch Abdecken mit Erde zu versiegeln. In den vergangenen Jahren konnten wir die Situation spürbar verbessern.“

Doch als im Mai 2017 wieder einmal Feuer auf der Deponie ausbrach, setzten die Dorfbewohner ihre Straßenblockade fort. In Pune quollen die Müllbehälter über, die Millionenstadt steuerte auf einen Notstand zu. Zum wiederholten Male musste die Stadtverwaltung die aufgebrachten Dorfbewohner mit Zugeständnissen beruhigen.

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Aber Pune sucht auch andere Wege, um besser mit seinem Müll fertig zu werden. Es ist sieben Uhr morgens. Baida Jogdand und ihr Mann Ram schieben einen grünen Handkarren in eine Straße im Stadtteil Kotrhud und rufen laut immer wieder „Kachhra“, Hindi für Abfall. Türen öffnen sich, Hausfrauen bringen ihre Abfälle in grünen und weißen Plastik­eimern auf die Straße. Baida und Ram steuern an einem Vormittag mehr als 250 Haushalte an. „Wir sortieren den Abfall schon während des Sammelns. Einer schiebt den Karren, der andere sortiert die verwertbaren Abfälle aus“, erklärt Baida Jogdand. „Zwischen elf und zwölf Uhr kommt der Lastwagen der Stadtverwaltung, der uns die gemischten Reste abnimmt.“

Baida Jogdand kämpft gegen die Faulheit

Eigentlich, so schreibt es jedenfalls die Stadtverwaltung vor, müssten die Bewohner ihren Müll selbst sortieren. Dafür haben sie zwei verschiedenfarbige Eimer erhalten, einen für organische, einen für wiederverwertbare Abfälle. Doch sei es aus Zeitnot oder aus Bequemlichkeit, die meisten bringen ihren Müll unsortiert zur Abfuhr. „In dieser Straße trennen vielleicht 20 Haushalte ihren Abfall richtig“, erklärt Baida Jogdand. „Aber selbst die muss ich von Zeit zu Zeit immer wieder daran erinnern. Die Stadtverwaltung hat zwar diese Vorschrift erlassen, kümmert sich aber nicht um deren Einhaltung. Wir könnten viel Zeit sparen, wenn die Leute ihre Abfälle vernünftig trennen würden.“   

Baida und Ram Jogdand sind Müllsammler von Beruf. Anstatt Tag für Tag die Straßen der Stadt nach Verwertbarem abzusuchen, arbeiten sie für die Kooperative SWACH, die ihre Gewerkschaft  vor zehn Jahren gemeinsam mit der Stadtverwaltung ins Leben gerufen hat. SWACH entsorgt heute Abfälle in der Hälfte der Stadt Pune, damit dient sie rund 2,5 Millionen Menschen. Zum ersten Mal in der Stadtgeschichte wird nun dort der Abfall an der Haustür abgeholt. Die Kooperative hat 2900 Müllsammlern einen Arbeitsplatz und ein einigermaßen gesichertes Einkommen verschafft.

„Die Bürger bezahlen monatlich eine Gebühr, damit tragen sie den Lohn der Sammler“, erklärt Lakshmi Narayan, die treibende Kraft hinter der Kooperative. „Die Stadtverwaltung überweist uns eine relativ geringe Summe, mit der wir die Kooperative finanzieren, Bürokosten, Gehälter von Koordinatoren, Öffentlichkeitsarbeit, Versicherungsprämien.“ Mit dem Verkauf der gesammelten Wertstoffe erwirtschaften die Müllsammler ein zusätzliches Einkommen.  

SWACH-Mitarbeiter sammeln täglich 125 Tonnen Wertstoffe ein. Dadurch spart die Stadtverwaltung eine Menge Geld, rechnet der oberste Müllmann im Rathaus, Suresh Jagtap, vor: „Die Abfuhr einer Tonne Müll kostet uns etwa 1200 Rupien. Die Arbeit von SWACH entlastet unsere Müllabfuhr also um 150.000 Rupien pro Tag. Im Jahr sparen wir 120 Millionen Rupien. Nicht einmal die Hälfte davon zahlen wir der SWACH-Kooperative für deren laufende Kosten.“

Beitrag zu Umweltschutz und Lebensqualität

Die Geschichte von SWACH reicht bis in die 1990er Jahre zurück. Damals beschlossen die College-Dozentin Lakshmi Narayan und einige ihrer Kolleginnen, sich um das Schicksal der Müllsammlerinnen auf Punes Straßen zu kümmern: „Wir waren sehr betroffen, unter welchen Bedingungen diese Menschen arbeiten mussten. Die meisten sind Frauen, bitterarm, und gehören zur diskriminierten Minderheit der Dalits.“ Mit ihrer Arbeit verdienten sie nicht nur ihren Lebensunterhalt, sie leisteten auch einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz und der Lebensqualität in der Stadt, fügt Narayan hinzu. „Wir erkannten, dass ihre Arbeit ökonomisch sinnvoll, sozial nützlich und umweltfreundlich ist.“

Die jungen Frauen beschlossen, die Müllsammlerinnen in einer Gewerkschaft zu organisieren, um ihnen eine Stimme zu verleihen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Ihr Plan traf auf Zustimmung. Ganz oben auf der Sorgenliste der Müllsammler standen die unsichere Arbeitssituation, die Belästigungen durch Polizisten, die Schmiergelder verlangten, die Ausbildung der Kinder sowie ein Zugang zu Kleinkrediten, um Krisensituationen zu überbrücken. 1993 entstand die Gewerkschaft „Kagad Kach Patra Kashtakari Panchayat“ (Vereinigung von Arbeitern für Papier-, Glas- und Blechabfälle), abgekürzt KKPKP. Mit Sitzstreiks, Demos und Blockaden von Amtsgebäuden verliehen sie ihrer Forderung Nachdruck, die Müllsammlerinnen zu registrieren und mit einem Ausweis auszustatten, der ihre Arbeit amtlich beglaubigte und sie vor willkürlicher Belästigung schützte.

Die Stadtverwaltung gab 1996 nach und stellte Ausweise für Müllsammler aus. Zehn Jahre später wurde die Kooperative SWACH gegründet. Heute kämpft die Gewerkschaft für einen guten Versicherungsschutz für Müllsammler im Krankheits- und Todesfall und für bessere Arbeitsbedingungen. „Ich sehe das als einen laufenden Prozess“, betont Lakshmi Narayan. „Selbst nach 25 Jahren Verhandlungen mit einer störrischen Stadtverwaltung gibt es eine ganze Reihe von Problemen, die noch gelöst werden müssen.“ Im Gespräch klagen viele Müllsammlerinnen über fehlende Schutzkleidung, über mangelnde Ausrüstung und träge Kunden. „Wir wünschen uns einen Unterstand, wo wir uns zum Essen aufhalten können, wo wir vor Hitze, Staub und Regen geschützt sind. Wir brauchen dringend Toiletten und Waschstellen“, sagt Mangal Gaikwad, die seit 25 Jahren als Müllsammlerin arbeitet.

Ihre Kollegin Laxmi Barakwad beschwert sich darüber, dass viele Haushalte noch immer gemischten Müll abliefern: „Wie oft soll ich es den Leuten noch sagen? Viele Ladies machen ihre Haushaltshilfen für die Mülltrennung verantwortlich. Sie lassen sich von jemandem wie mir nichts sagen, denn ich gehöre nicht zu ihrer Gesellschaft.“ Sie weigere sich auch schon einmal, unsortierte Abfälle mitzunehmen. „Die Hausfrau klagt, es sei so schwierig, die schmutzigen Sachen zu trennen. Dann erwidere ich: Glauben Sie, für mich sei das weniger eklig?“

Auch Müllsammler sind ab und zu unpünktlich

Natürlich sind auch Müllsammler keine Heiligen. Gelegentlich hört man Beschwerden, sie holten nicht jeden Tag den Müll ab, seien unhöflich oder unpünktlich. Krankheiten und Familienpflichten mögen hier eine Rolle spielen. Bei SWACH bemühen sich zahlreiche Koordinatoren darum, ein reibungsloses Funktionieren der Müllentsorgung zu gewährleisten.

Autor

Rainer Hörig

war dreißig Jahre lang als freier Korrespondent für deutsche Medien in der indischen Industriestadt Pune tätig und dann Redakteur der deutsch-indischen Zeitschrift „Meine Welt“. Rainer Hörig ist im Mai 2024 verstorben.
Bei wachsender Bevölkerung und steigendem Wohlstand wird das Müllaufkommen der Millionenstadt Pune auch in Zukunft weiter wachsen. Wird der kleine Ort Urali Devachi eines Tages unbewohnbar sein? Braucht die Stadt eine zweite Deponie? Der Abfallbeauftragte Suresh Jagtap schmiedet große Pläne: „Wir planen, eine Weiterverarbeitungsanlage nur für Bauschutt und Abriss­abfall am Stadtrand zu errichten. Für Grünabfälle, immerhin 80 bis 90 Tonnen täglich, haben wir bereits ein getrenntes Sammelsystem aufgebaut, das auf Kompostierung basiert und obendrein Holzpellets produziert.“ Auch der Elektroschrott werde separat und fachgerecht entsorgt. Im Dezember gehe eine Verwertungsanlage für unsortierte Abfälle in Betrieb, die pro Tag 750 Tonnen verarbeiten kann. Im Vorort Hadapsar sei eine Müllverbrennungsanlage im Bau.

Lakshmi Narayan hält nichts davon, das zentralisierte und teure Müllverwertungssystem der Industrieländer nachzuahmen. Es funktioniere selbst in Amerika und Europa nicht, unter indischen Bedingungen sei es zu teuer und obendrein schädlich für die Umwelt: „Wie können Sie einerseits die Bürger dazu aufrufen, ihre Abfälle zu trennen, und andererseits Anlagen zur Verarbeitung von gemischten Abfällen bauen? Diese Fabriken müssen doch weiterhin mit Rohstoffen versorgt werden, daher konterkarieren sie unsere Bemühungen, die Menschen zur Abfalltrennung zu animieren.“

Narayan setzt vielmehr auf Müllvermeidung: Die Hersteller müssten für ihre Produkte mehr Verantwortung und die Kosten für deren fachgerechte Entsorgung übernehmen, fordert sie. Ein neues Konsumverhalten sei das Gebot der Stunde: „Wir müssen Mittel und Wege finden, das Müllaufkommen drastisch zu reduzieren mit Hilfe von Recycling und Kompostierung. Aber auch ein verantwortlicher Konsum und Druck auf unsere Regierung sind nötig, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Dann, so hofft sie, könnten in 20 Jahren so gute dezentrale Verwertungsketten aufgebaut sein, „dass wir keine Müllsammler mehr benötigen“.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
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