Zwischen Kunst, Kommerz und Kommunismus

Sandra Weiss

Für die spanische Kolonialmacht war Kuba einst der geopolitische Schlüssel zur Karibik – wie hier in diesem Kunstwerk dargestellt.

Kuba
Kubas Kulturfabrik lotet Freiräume aus und findet damit ein buntes Publikum. Trotzdem hat sie in der Regierung auch Fürsprecher.

Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Mit diesem Spruch, in schwarzen Lettern an den Eingang geklebt, empfängt die Kulturfabrik FAC ihre Besucher in Havanna. Provokation gehört hier zum Konzept. Hinter dem Kürzel verbirgt sich Kubas derzeit angesagtestes Kulturprojekt – Künstlerkneipe, Disco, Galerie und Sozialprojekt zugleich. Die FAC hat den Anspruch, alle künstlerischen Aktivitäten zu kombinieren, will aber auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Im Kapitalismus würde das wohl unter dem Etikett „Öffentlich-private Partnerschaft“ laufen, in Kuba ist es ein noch namenloses neuartiges Experiment.

Industrie und Kultur sind attraktive Gegensätze – das ist auch in Havanna so. Die FAC wurde 2014 eröffnet und ist in den Hallen einer ehemaligen Speiseölfabrik untergebracht. Das Backsteingebäude am Ufer des Almendares-Flusses hat der Staat mietfrei zur Verfügung gestellt. Zu den illustren Gästen zählten bislang Mick Jagger und Lady Gaga ebenso wie Kanadas Premier Justin Trudeau und die frühere First Lady der USA, Michelle Obama.

Doch die Kulturfabrik ist mehr als ein Geheimtipp für Kunstliebhaber oder ein Ausflugsziel für ausländische Hipster. Sie ist ein Symbol der Reformen, die seit einigen Jahren auf der karibischen Zuckerinsel stattfinden – kritisch beäugt von den Hardlinern der Kommunistischen Partei, begeistert angenommen von einer jungen Generation, die dort einen Ort der Kreativität findet. Ein Ambiente, das ihr die Chance gibt, Freiräume auszuloten und geistige Nahrung zu finden, fernab der sozialistischen Propaganda. „Ich komme oft hierher, treffe Freunde und hole mir Anregungen“, sagt Ostaly Díaz, eine kubanische Malerin, und nippt an einem Bier. „Es ist ein Ort zum Aufatmen.“

In ihrem Inneren wirkt die Kulturfabrik labyrinth­artig. Eine schmale Treppe führt hinter dem Eingang nach oben, die ersten Ausstellungsräume sind beengt und in kühlem Weiß gehalten. Sie sind den bildenden Künsten gewidmet. Im dritten Stock sind Videoarbeiten und Fotografien zu sehen, nach links geht es in eine Bar mit einem kleinen, lauschigen Innenhof. Das Design und die Aufteilung der Räume verändern sich immer wieder: Erneuerung lautet auch hier das Credo der FAC. Das Herzstück bildet eine große Halle mit einer weiteren Bar und einer Bühne, die Sitzgelegenheiten davor werden nach Bedarf vom Publikum selbst angeordnet. Gerade singt ein Chor karibisch angehauchte Gospels a cappella, in der Halle nebenan wird Tango getanzt. Danach sorgt ein lokaler Rapper lautstark für Stimmung.

Treibende Kraft hinter der Kulturfabrik ist der Musiker X Alfonso. Sein Ziel ist, das Spektrum aller Künste abzubilden: Skulptur, Malerei, Fotografie, Design, Video, Mode, Film, Architektur, Theater und Musik. Die Genres sollen sich gegenseitig befruchten; Gemeinschaftsprojekte sind deshalb besonders willkommen. Das Bühnenprogramm  wechselt jede Woche, die Ausstellungen sind in der Regel drei Monate zu sehen. Das ehrgeizige Projekt lässt erahnen, welche Fülle von künstlerischem Talent in Kuba schlummert – und es umgeht ein Stück weit die kommunistische Bürokratie. Die wenigen staatlichen Galerien  konzentrieren sich auf etablierte Künstler; private Galerien sind noch nicht erlaubt – es gibt sie zwar, doch sie sind nur als Ateliers zugelassen, wie Adan Perrugiora erzählt, der eine Galerie in der Altstadt von Havanna leitet. Damit behält der Staat die Kontrolle über die Inhalte der Kunst. „Deshalb gibt es viel zu wenig Ausstellungsräume in Kuba“, sagt Perrugiora.

Eine Art Selbstzensur?

„Die FAC war von Anfang an eine Herausforderung und traf auf viele Widerstände“, sagt die Foto-und Filmkuratorin Cristina García. Staatliche Fördermittel gab es nicht, die Gründer mussten private Sponsoren finden, die den Umbau finanzierten, unter anderem unterstützte sie der auf Kuba lebende jüdische Emigrant und Fotograf Enrique Rottenberg. Das Programm ist eine inhaltliche Gratwanderung. Jedes Mal stehen die Kuratoren wieder vor der Frage: Was ist möglich, und was könnte den Ärger der Regierung auf sich ziehen?

Bei der Frage nach der Zensur windet sich García. Ein schwieriges Thema, gibt sie zu. Bisher habe sie noch nie wegen politischer Bedenken einen Künstler abgelehnt. „Aber die Künstler wissen auch, was sie uns anbieten.“ Also eine Art Selbstzensur?

„Die Freiheit“, sinniert der Sänger Polito Ibanez, der gerade mit ein paar Bekannten vorbeigeht, „braucht Grenzen und Räume wie die FAC, in denen sie sich entfalten kann, denn sonst stößt sie ins Leere.“ In der Kulturfabrik ist vieles möglich. Eine Zeichnung, die aus der Ferne aussieht wie eine Nachbildung der maroden Gemäuer Havannas und sich beim näheren Hinsehen als Profil Fidel Castros entpuppt, hat es hierher geschafft. Ebenso ein Wellholz, das an der weißen Wand nicht Teig ausrollt, sondern Hunderte kleiner identischer Holzfiguren. Oder die Ausstellung mit Arbeiten von Enrique Rottenberg, in der schwarze Kubaner in pompösen Barockkostümen majestätisch aus schweren, kitschigen Goldrahmen ins Publikum blicken – ein Seitenhieb auf den Rassismus, der trotz gegenteiliger Propaganda auch auf Kuba ein Problem ist.

Zwei Schweine mit den Namen „Fidel“ und „Raul“ auf dem Rücken durch die Gassen zu jagen geht nicht, wie Danilo Maldonado alias „El Sexto“ 2015 erfahren musste. Für die Performance, die die Staatssicherheit noch vor Beginn verhinderte, musste er neun Monate ins Gefängnis. Öffentlich aus Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ vorlesen ist auch nicht ungestraft möglich, oder gar auf dem Revolutionsplatz ein Mikrofon aufstellen und die Umstehenden nach ihren Forderungen und ihrer Meinung zu den politischen Reformen fragen. Dafür wurde Tania Bruguera Ende 2014 festgenommen.

Im Gegensatz zu den unberechenbaren Performance-Künstlern, die die Straße zur Bühne machen und den Überraschungseffekt nutzen, ist die FAC ein fester Ort und wird von den Zensoren weitgehend in Ruhe gelassen. Günstig hat sich vermutlich auch die Freundschaft von X Alfonso mit dem regimetreuen Liedermacher Santiago Feliú ausgewirkt, der das Projekt maßgeblich mittrug, aber einen Tag vor der Eröffnung an einem Herzinfarkt starb.

Ästhetisches Aha-Erlebnis

Die Stärke der Fabrik, so García, sei die bunte Mischung des Publikums. Touristen und Einheimische, Künstler und Neugierige, Jung und Alt schauen hier vorbei. „Wir wollen ihnen ein ästhetisches Aha-Erlebnis bieten“, sagt sie. Dafür müssen die Besucherinnen und Besucher umgerechnet zwei Euro bezahlen. Für Künstler interessant ist vor allem das Publikum. Bis zu 2000 Besucher pro Abend zählt die FAC– da kann keine Galerie, kein Kino- oder Theatersaal mithalten. Junge Fotokünstler wie Ronald Vil haben dank der Fabrik den Sprung in internationale Galerien geschafft. Daran verdienen wolle man aber nicht, beteuert García. „Wir vermitteln nur den Kontakt zwischen den Künstlern und den Interessenten. Kommission kassieren wir nicht.“

Margo Tarver ist mit einer Reisegruppe gekommen. „Ich bin verblüfft über diese Kreativität und Freiheit“, sagt die Kalifornierin  vor einem Wandrelief, das unverkennbar die Konturen der Karibikinsel hat, zusammengesetzt aus Tausenden von Schlüsseln. Andere kommen, weil die FAC mittlerweile im Internet als Geheimtipp gehandelt wird, so die 26-jährige Danelle aus Atlanta, die mit ihren Freundinnen Selfies vor einer Fotowand schießt. Von dem Künstler hat sie noch nie gehört, und zur Kubapolitik ihrer Regierung hat sie auch keine Meinung, aber „echt cool“ sei es hier.

Die FAC hat aber auch Kritiker, wie der Besuch in einem Künstlertreff in Havanna zeigt. „Sie ist versnobt und viel zu teuer. Welcher Kubaner kann sich von seinen umgerechnet 25 Euro Monatslohn den Besuch leisten?“, fragt der Tänzer Nicolas Emmanuel. „Der Staat will damit zeigen, dass er genauso innovativ ist wie Paris, London oder Berlin. Die Gagen für die Auftritte sind lächerlich, und was dort gezeigt wird, tut niemandem weh.“ Yosleidy Rodríguez hat die FAC deshalb noch nie besucht. „Der teure Eintritt ist sicher eine Vorgabe des Staates“, vermutet die Studentin. „Damit möglichst wenige Kubaner sich das leisten können und nicht auf dumme Gedanken kommen.“

Alfonso verteidigt das Projekt. Ein Konzert, egal ob staatlich oder in einem privaten Etablissement, koste heute in Kuba umgerechnet mindestens 15 Euro. Die FAC finanziere sich aus den Eintrittsgeldern, erklärt er. Der Sänger sitzt mit seinem Konzept auch wirtschaftlich zwischen den Stühlen, zwischen einer lokalen Peso-Mangelwirtschaft und einer globalisierten Dollar-Elite – darunter viele Künstler, die mit dem Ausland Geschäfte machen. Aber auch Kinder von Funktionären sowie Kleinunternehmer, die Restaurants führen oder Zimmer an Touristen vermieten, haben inzwischen Zugang zu Dollar. Und ein Teil der Kubaner erhält Überweisungen von ausgewanderten Verwandten.

Autorin

Sandra Weiss

ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.
Deren Devisen abzuschöpfen stecke hinter dem Konzept der FAC, vermutet der Journalist Ernesto Pérez Chang. Denn die Gastronomie sei an Selbstständige ausgelagert, die für ihre Lizenzen Gebühren und Steuern an den Staat bezahlen müssten. Das könne ein Grund sein, warum die Regierung die FAC nicht schon längst wieder dicht gemacht habe, wie es sich einige Funktionäre wünschten, meint Pérez Chang.

Ein anderer ist, dass sie auch soziale Kulturarbeit übernimmt, die sich der klamme Staat nicht mehr leisten kann. Landauf, landab sterben die einst wichtigen staatlichen Kulturzentren einen langsamen Tod, mit ausgedünnten Programmen, baufälligen Bibliotheken und wenig zeitgemäßen Angeboten. Die Kulturfabrik veranstaltet Gratis-Tanzkurse für Ältere, öffentliche Lesungen oder künstlerische Sommerkurse für Kinder. Sie bezieht die Einwohner der angrenzenden Stadtviertel mit ein.

Deshalb hat die FAC innerhalb der Partei ihre Fürsprecher. Besonders Vizepräsident Miguel Diaz Canel, der als Nachfolger für Raúl Castro auf dem Präsidentenposten gehandelt wird, gilt als einer, der ein Herz für die Kultur hat. Für die aufgeschlosseneren Reformer innerhalb der Partei ist es besser, die Künstler an die lange Leine zu legen, als sie durch Repression zu vergraulen. „Ich hoffe sehr, dass die FAC von dem anstehenden Machtwechsel im April profitieren wird“, sagt die Malerin Ostaly Diaz.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2018: Kunst und Politik: Vom Atelier auf die Straße
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