Immer wieder kommen Fälle ans Licht, in denen international tätige Unternehmen in einzelnen Ländern ihre Steuerschuld kleingerechnet haben – teilweise mit legalen Tricks, teilweise durch Betrug. Rund 60 Industrie- und Schwellenländer haben deshalb beschlossen, dass die Unternehmen den Behörden Land für Land über Gewinne und Steuerzahlungen berichten. Reicht das oder sollten diese Berichte auch öffentlich zugänglich sein?
Klaus Schilder meint: "Steuerehrlichkeit ist ein öffentliches Gut."
Die vielen Enthüllungsskandale der vergangenen Jahre – von den Swiss- und Lux-Leaks bis hin zu den Panama und Paradise Papers – haben ins öffentliche Bewusstsein gerückt und auf die politische Tagesordnung gesetzt, welche volkswirtschaftlichen Schäden die globale Steuervermeidung von multinationalen Konzernen verursacht. Sie zeigen, dass aufgrund undurchsichtiger Konzernberichte für die Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar ist, wo und wie multinational tätige Unternehmen ihre Gewinne und Steuerzahlungen verteilen. Hier setzt die länderbezogene Berichterstattung von multinationalen Unternehmen an, die fünf Dutzend Länder weltweit mittlerweile gesetzlich eingeführt haben oder einführen wollen.
Diese Berichte sollten aber nicht nur den Steuerbehörden zugänglich sein, sondern veröffentlicht werden müssen. Denn erst wenn multinationale Konzerne zentrale Bilanzdaten für jedes Land veröffentlichen, in dem sie tätig sind, würde die Verschiebung von Gewinnen sichtbar gemacht werden. Das würde den Druck auf die Gesetzgeber erhöhen, die Steuervermeidung wirksam zu unterbinden und den zerstörerischen Steuerwettlauf zwischen Staaten zu beenden.
Die Diskussion über die Einführung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für Unternehmen zeigt, dass nur auf Freiwilligkeit setzende Initiativen nicht geeignet sind, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen entlang der globalen Wertschöpfungsketten zu verringern oder zu stoppen. Denn es fehlen die Mittel, schwarze Schafe unter Druck zu setzen.
Das gilt auch für den Kampf gegen die Steuervermeidung. Das Geschäftsmodell vieler multinational tätiger Unternehmen – die Mehrzahl davon mit Sitz in westlichen Industrieländern – beruht auf der Verschiebung von zu versteuernden Gewinnen in Niedrigsteueroasen. Dass dies keine Polemik einzelner nichtstaatlicher Organisationen ist, zeigen die jüngst bekannt gewordenen Fälle unternehmerischer „Steueroptimierung“ von Apple und Amazon über BASF und IKEA bis hin zu Starbucks.
Eine Oxfam-Studie über die Gewinnausweisung der 20 größten europäischen Banken, für die seit 2015 eine Veröffentlichungspflicht besteht, zeigt, dass knapp ein Drittel der Gewinne (4,9 Milliarden Euro) alleine im Niedrigsteuerland Luxemburg anfällt; weitere gut 12 Prozent ihrer Gewinne verbuchen die Banken in Steueroasen. Für große europäische Banken und Bergbauunternehmen oder außereuropäische Unternehmen mit Geschäften in der EU ist die Berichterstattung längst Pflicht. Sie sollte rasch auf weitere Wirtschaftszweige und weitere OECD-Länder ausgeweitet und zudem um die Pflicht erweitert werden, die Berichte zu veröffentlichen.
Öffentliche Berichte helfen den Behörden im Süden
Öffentliche Unternehmensbilanzen sind kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung dafür, kriminellen Steuerbetrug sowie legale, aber aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Auswirkungen illegitime Steuervermeidung zu unterbinden. Denn einige wenige große Konzerne haben sich mit Hilfe großer Steuerkanzleien, aber auch mit Hilfe von Politik und Steuerverwaltungen auf Kosten der Gesellschaft große Vorteile verschafft. Wenn Großkonzerne ihre Länderberichte veröffentlichen müssen, haben sie es schwerer, Gewinne nicht da zu versteuern, wo sie erwirtschaftet werden.
Schließlich geht es auch um globale Gerechtigkeit: Künftig sollten nicht nur die reichen Industrieländer im exklusiven Kreis von Europäischer Union und OECD die globalen Rechtsnormen für eine faire Unternehmensbesteuerung festlegen. Öffentliche Berichte wären hilfreich für den Fiskus in Entwicklungsländern, in denen Einnahmen aus Unternehmenssteuern stärker zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte beitragen als in den Industrieländern. Eine öffentliche, umfassende und vergleichbare länderbezogene Berichterstattung in Kombination mit einem automatischen Austausch steuerrelevanter Informationen mit Steuerbehörden in Entwicklungsländern würde zudem die Voraussetzung dafür schaffen, den globalen Süden auf Augenhöhe in die Diskussionen um weitere Reformen der internationalen Unternehmensbesteuerung einzubeziehen.
Steuerehrlichkeit ist ein öffentliches Gut. Es gilt, dieses ebenso zu schützen wie die Demokratie oder den sozialen Frieden.
Maya Forstater warnt: "Die Länderberichte sind kein Wundermittel."
Multinational tätige Unternehmen sollen vertrauliche länderbezogene Berichte erstellen, damit Steuerprüfer diese Informationen zur Risikobewertung verwenden können: Die Berichte sollen Steuerprüfer auf Unternehmen aufmerksam machen, die an Orten hohe Gewinne verbuchen, wo sie wenig Aktivität aufweisen. Die Bewegung für Steuergerechtigkeit und viele nichtstaatliche Organisationen wollen, dass diese Berichte veröffentlicht werden. Auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben diesen Vorschlag aufgegriffen. Jedoch ist fraglich, ob die Veröffentlichung die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen kann – oder ob sie nicht vielmehr eine rechtsstaatliche Steuererhebung untergraben würde.
Ein Argument für die Veröffentlichung länderbezogener Berichte ist, dass Steuerprüfer in Entwicklungsländern dadurch einfachen Zugang zu Informationen erhalten. Der zurzeit gängige vertrauliche Austausch zwischen Steuerbehörden verlangt, dass Steuerprüfer Informationen vertraulich behandeln und Steuern nach klaren Vorschriften erheben. Das würde durch die Veröffentlichung ausgehebelt, und das ist weder nützlich noch notwendig. Regierungen und Finanzbehörden in Entwicklungsländern haben das auch nicht ausdrücklich verlangt.
Ein zweites Argument für frei zugängliche Berichte ist, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, ob Unternehmen einen gerechten Anteil an Steuern zahlen. Das internationale Tax Justice Network argumentiert, Journalisten und nichtstaatliche Organisationen könnten das Verhältnis zwischen Einnahmen, Mitarbeiterzahl und Profiten berechnen und auf Grundlage der Steuerberichte aufdecken, ob in einem Land zwischen den ausgewiesenen Gewinnen und der tatsächlichen Geschäftstätigkeit eine Schieflage besteht.
Steuerfachleute sagen jedoch, dass solche Berechnungen zu sehr vereinfachen. Steuerbehörden können sie zwar als erste Anhaltspunkte nutzen, um bei einem Unternehmen genauer hinzusehen. Doch in der Öffentlichkeit würden sie zu einem Missklang aus Anschuldigungen, Missverständnissen und Widerlegungen führen und nur weiteres Misstrauen schüren. Das Forum afrikanischer Steuerbehörden ATAF beklagt, schon heute seien die Behörden politischer Einflussnahme ausgesetzt, insbesondere bei der Überprüfung großer Steuerzahler. Die Veröffentlichung von Steuerberichten würde dieses Risiko noch erhöhen.
Es kursieren aufgeblasene Zahlen zum Steuerbetrug
Ein weiterer Grund zur Vorsicht liegt darin, dass in der öffentlichen Debatte über die Steuerehrlichkeit multinationaler Unternehmen oft übertriebene oder missverstandene Zahlen kursieren. Es heißt, arme Länder bluteten geradezu aus, indem sie als Folge von Steuerbetrug Milliarden oder gar Billionen US-Dollar verlören. Ihnen gingen Summen verloren, die mehrfach so groß wie ihre Budgets für Gesundheits- oder Bildungspolitik seien.
Diese Zahlen drücken jedoch mehr Wunschdenken als Realität aus. Ja, arme Länder können ihre Einnahmen steigern, wenn sie multinationale Unternehmen effektiver besteuern und zugleich andere Steuern stärken. Aber die reißerischen Schlagzeilen beruhen auf aufgeblasenen Fehleinschätzungen oder Missverständnissen. In Wirklichkeit sind die Profite von multinationalen Unternehmen nur ein kleiner Teil der meisten Volkswirtschaften – mit Ausnahme einiger Länder mit großer Bergbauindustrie. Große Unternehmen sind meist auch große Steuerzahler und tragen in Entwicklungsländern heute schon einen größeren Teil an den gesamten Steuereinnahmen bei als in reichen Ländern.
Vieles spricht dafür, dass Bergbauunternehmen länderbezogene Berichte veröffentlichen sollten. Das würde es den Bürgern ermöglichen, die Geschäfte und Gewinne mit den natürlichen Ressourcen ihres Landes zu überprüfen. Doch dieses Argument lässt sich nicht einfach auf andere Bereiche übertragen. Bisherige Erfahrungen mit Steuertransparenz im Öl-, Gas- und Bergbausektor haben zudem gezeigt, dass einfache Rechnungen keine Antwort darauf liefern, ob ein Unternehmen einen „fairen“ Steuerbetrag zahlt.
Transparenz ist ein Mittel zum Zweck. Das wichtigste Ziel internationaler Zusammenarbeit in Steuerfragen besteht darin, Regierungen zu befähigen und zu ermutigen, rechtsstaatlich korrekt Steuern zu erheben und ihren eigenen Bürgern darüber Rechenschaft abzulegen. Öffentliche länderbezogene Berichte von Unternehmen sind kein Wundermittel, das zu diesem Ziel führt.
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