Das Vorbild der Mönche aus den Bergen

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Religiöser Umweltschutz in China
Möglichst wenig in den Lauf der Welt eingreifen ist die Leitschnur für Taoisten. Doch die enorme Umweltverschmutzung in China bewegt Klöster dazu, ihre Anhänger zu mehr Rücksicht auf die Umwelt anzuhalten.

Der Wintermorgen tief im Qinling-Gebirge im Nordwesten Chinas ist bitterkalt. Ren Farong, der frühere Vorsitzende der Chinesischen Taoistischen Vereinigung, lässt sein runzliges Gesicht von den Sonnenstrahlen wärmen. Gekleidet ist er in ein traditionelles taoistisches Gewand, und wenn er spricht, wippt sein langer weißer Bart auf und ab. „Früher waren die Menschen rechtschaffen und ehrlich und haben die Umwelt geschützt“, erklärt Ren in seinem Korbstuhl im Innenhof des Tempels Louguan Tai. Hier soll Laotse, der etwa im sechsten bis vierten Jahrhundert vor Christus gelebt haben soll, das berühmte Daodejing geschrieben haben – den Text, der die Grundlage des Taoismus bildet.

Unter den smaragdgrünen Dächern von Louguan Tai schlendern Mönche, ihr langes Haar zu Knoten gebunden, an Kiefern und Tannen vorbei. Sie zollen dem Weisen und ihren Göttern in goldenen Schreinen Respekt, unterbrochen nur von gelegentlichem Glockenläuten. Diese friedliche Enklave scheint eine Ewigkeit vom modernen China entfernt zu sein. Und doch liegt nur 70 Kilometer von hier Xi’an, die Hauptstadt der Provinz Shaanxi mit neun Millionen Einwohnern. Dort brausen Luxuswagen an Nobel-Einkaufszentren vorbei, die moderne U-Bahn bringt Büroangestellte zur Arbeit, die jungen Leute gehen zu Starbucks und McDonalds. Die glanzvolle Metropole ist auch für ihre hohe Umweltverschmutzung bekannt. Im Boden von Shaanxi lagern riesige Kohlevorkommen und gewaltige Kohlekraftwerke blasen ihre Abgase in die Luft.

Ren glaubt, dass Gier und Egoismus das natürliche Gleichgewicht der Welt zerstört haben. Als Taoist folgt er dem Prinzip des Wu-wei; dieser spirituelle Grundsatz bedeutet wörtlich übersetzt „Nichthandeln“ und wird häufig so erklärt, dass man den Dingen ihren natürlichen Lauf lässt. Doch über die Jahre haben Ren und andere Taoisten die rasante Umweltzerstörung in China beobachtet. Als die Luft, der Boden und das Wasser immer schmutziger wurden und in einigen Fällen sogar giftig, waren sie so entsetzt, dass sie beschlossen, etwas Untypisches zu tun: etwas zu unternehmen.

Stille Vorkämpfer einer neuen „grünen Revolution“

Mehr als 2500 Jahre, nachdem Laotse sein klassisches Werk in Louguan Tai niedergeschrieben haben soll, kamen Chinas führende Taoisten hier zusammen, um die „Qinling-Vereinbarung“ zu verfassen – benannt nach dem Gebirge, in dem der Tempel liegt. Sie verpflichteten sich darin, die Umwelt zu schützen und stille Vorkämpfer einer neuen „grünen Revolution“ zu werden, die sie das Taoistische Umweltschutz-Netzwerk nannten.

Seit der Gründung 2006 haben sich dem Netzwerk rund 120 Tempel in ganz China angeschlossen. Einige nutzen Biobrennstoffe und Solarstrom für die Beleuchtung. Andere pflanzen Bäume in der Nähe von Gebieten, in denen sich Wüste bildet, um eine weitere Bodenerosion zu verhindern. Oder sie organisieren Freiwillige, die Müll aufsammeln. An den Tempeln erinnern Plakate und Schilder Besucher an die Bedeutung der Natur. „Taoistische  Vorstellungen betonen die Achtung und den Schutz der Natur, das entspricht dem Streben nach Harmonie zwischen den Menschen und der Umwelt“, sagte Ren Farong.

Die Zurückhaltung von Taoisten spiegelt sich auch im Tempel-Netzwerk wider. Während andere Umweltschützer demonstrieren und Petitionen verfassen, glauben Taoisten, dass sich Veränderungen organisch vollziehen: Ihr Beitrag besteht darin, Vorbilder zu sein, die andere zur Nachahmung anregen. „Diese Orte haben sich verpflichtet, ökologische Tempel zu sein. Ich glaube, dass sie wirklich etwas bewirken werden“, erklärt He Yun. Er ist bei der Alliance of Religions and Conservation (ARC), die die Bemühungen der chinesischen Taoisten unterstützt, für Projekte in Asien zuständig.

In Louguan Tai hat es sich der Taoismus auch zur Aufgabe gemacht, Chinas symbolträchtigstes Tier zu schützen, den Panda. Immer mehr Touristen strömen zum Gipfel des heiligen Taibai-Berges und durchqueren dabei den Wald, in dem die Pandas zu Hause sind. Nach und nach hat das ihren Lebensraum so sehr zerstückelt, dass es für die Tiere schwierig geworden ist, sich zu vermehren.

Ökologie-Tempel

Wenn die Touristen nur einen Weg bergauf nähmen, bliebe den Pandas ein größeres Gebiet zum Rückzug, dachten sich die Mönche. Doch Wege zu sperren oder die Touristen anzuweisen, nur einen Wege zu benutzen, wäre für einen Taoisten ein zu starkes Eingreifen in den Lauf der Dinge. Sie glaubten, es sei wirksamer, den Menschen eine bessere Alternative zu bieten. Schließlich bauten sie in Zusammenarbeit mit der ARC an einem der Wege einen Ökologie-Tempel und eröffneten daneben ein umweltpädagogisches Zentrum. Das machte diesen Weg auf den Berg attraktiver und interessanter als die anderen Routen.

Mao Shan, einer der größten taoistischen Tempel in China, liegt nahe Nanjing in der östlichen Provinz Jiangsu. Hier säumen Solarlampen die breiten Fußwege. Es gibt keine Strommasten oder Stromleitungen, die den malerischen Blick von den Hügeln auf eine massive goldene Statue von Laotse verderben. In der Anlage aus Tempeln und Palästen erklären Broschüren die Bedeutung nachhaltiger Praktiken und wie wichtig es ist, die Umwelt sauber zu halten und den eigenen Abfall zu beschränken.

Ein zweistöckiges Gebäude wird für den Kalligraphie-Unterricht benutzt; das obere Stockwerk erreicht man nur über einen aus dem Boden ragenden stufigen Felsblock, der eine natürliche Treppe bildet. Wenn sie den ursprünglichen Bauplänen gefolgt wären, hätten die Mönche Bäume fällen und Steine ausgraben müssen, die seit Millionen Jahren am selben Ort waren. Laut Yang Shihua, dem Vorsteher des Klosters, entschieden sie sich nach der Qinling-Vereinbarung dagegen. „Wir nennen unsere Vorgehensweise ‚Lasst die Straßen, Häuser und Mauern den Bäumen weichen‘“, sagt Yang, während er langsam die natürliche Steintreppe hinaufsteigt. „Jetzt ist sie zu einer Attraktion geworden“, setzt er mit einem Lächeln hinzu.

Aufschwung der Reliigionen

Während im Westen viele Glaubensgemeinschaften darum kämpfen, ihre Anhänger zu halten, erleben Religionen in China einen Aufschwung. Laut Ian Johnson, dem Verfasser des Buches „The Souls of China: The Return of Religion After Mao“, wenden Chinesen sich Religionen zu, weil die ein Gemeinschaftsgefühl bieten. Traditionell lebten Chinesen in kleinen bäuerlichen Gemeinschaften auf dem Land oder im Geflecht schmaler Gassen in Städten, wo jeder auf den anderen achtete. Mit der Urbanisierung und Modernisierung des Landes sind diese Gemeinschaften verloren gegangen und religiöse Gruppen und Gemeinden haben nun Zulauf. „Wer dort hingeht, sucht die Gemeinschaft und eine Art der Zusammengehörigkeit in der Gesellschaft“, sagt Johnson in einem Interview mit chinadialogue.com, einer Website über Umweltfragen in China.

Der Aufschwung der Religion zeigt sich auch beim Taoismus. Vor zwanzig Jahren gab es etwa 1500 Tempel. Heute leben landesweit rund 50.000 Mönche und Nonnen in insgesamt 9000 Tempeln. Wie Taibai Shan und Louguan Tai liegen die meisten in unmittelbarer Nähe hoher Berge – Orte, die nach Überzeugung der Taoisten dem Himmel am nächsten sind und an denen oft Geisterwesen und Götter wohnen. Es gibt keine offiziellen Angaben zur Zahl der Taoisten in China; in einer Umfrage zur Spiritualität von 2007 bezeichneten sich zwölf Millionen der knapp 1,4 Milliarden Chinesen als überzeugte Taoisten und 173 Millionen berichteten, sie würden den Taoismus gelegentlich praktizieren. Laut Fan Guangchun, einem der renommiertesten Taoismus-Forscher des Landes, erlebt diese Religion in China eine Renaissance. Historisch war sie vor allem auf dem Lande verbreitet, doch Fan sagt, er beobachte, dass auch immer mehr Stadtbewohner – Leute mit einer höheren Ausbildung und mehr Einkommen und Einfluss – die Tempel aufsuchten.

Das war nicht immer möglich: Die Religionsfreiheit wurde unter Mao Zedong immer mehr eingeschränkt; während der von ihm 1966 initiierten Kulturrevolution sollte jegliche Religion in China vollständig ausgemerzt werden. Heute gewährt Chinas Verfassung Religionsfreiheit, aber in der Praxis werden viele religiöse Gruppen gerade eben geduldet. Chinas Präsident Xi Jinping hat erklärt, dass Religionen und ihre Anhänger die Führung der Partei anzuerkennen hätten. Da sind Taoisten, die aktive Einmischung meiden, in China sehr wohlgelitten. Der Taoismus erhält von der chinesischen Regierung offizielle Unterstützung und wird als Chinas einzige einheimische Religion anerkannt.

Mönche ohne Marketingkompetenz?

Eine Kombination aus schlechtem Wetter und Luftverschmutzung hat Tang Naichun und seine Frau nicht von einem Besuch in Mao Shan abgehalten. Dort sagt Tang, er glaube, dass Chinas rasante Entwicklung für die Umweltprobleme des Landes verantwortlich sei. Als jemand, der sich „ein Stück weit“ zum Taoismus bekennt, hat er von der grünen Bewegung der taoistischen Mönche gehört. Auf die Frage, ob sie günstige Wirkungen haben könne, antwortet er mit einem doppeldeutigen „Vielleicht“. Eins der Probleme der Taoisten ist laut Johnson, dass ihnen Marketingkompetenz fehlt. Weil viele Mönche aus unteren sozialen Schichten kommen und einen niedrigen Bildungsstand haben, fällt es ihnen schwer, Anhängern und Touristen ihre Ideen zu vermitteln. Selbst ihr Werbematerial sei schlecht formuliert, sagt Johnson.

Die Mönche machen sich darüber jedoch keine Sorgen. Sie halten sich an ihre selbstgewählte Rolle, mit gutem Beispiel voranzugehen, haben aber in einigen Fällen auch aktiv versucht, das Verhalten der Menschen zu ändern. Ein Beispiel ist laut Yang, dem Vorsteher des Klosters Mao Shan, die „Drei-Stäbchen-Politik“ für das Verbrennen von Räucherwerk.

Autorin

Denise Hruby

ist freie Journalistin in Wien und arbeitet unter anderem für die „New York Times“, „National Geographic“ und CNN. Zwischen 2015 und 2018 arbeitete sie in China, wo ihre Reportagen zahlreiche Journalismuspreise gewonnen haben.
Das wird bei Gebeten in chinesischen Tempeln sehr häufig verwendet. Früher waren dort Kerzen und Räucherstäbe erhältlich, die jeder mehrere Kilogramm wogen. Für die Mönche sind sie eine Einnahmequelle – je größer, desto teurer. Den Besuchern bieten sie die Möglichkeit, Verehrung zu zeigen und, für manche, ihren Wohlstand vor anderen Gläubigen zur Schau zu stellen. Aber die Praxis war Yang zufolge so außer Kontrolle geraten, dass Rauch über dem gesamten Gebiet hing. „Wenn man während des Tempel-Jahrmarkts zum Berggipfel hinaufschaute, sah es aus, als stünde der Gipfel in Flammen“, sagt er und fügt hinzu, dass manchmal Kinder nicht zu husten aufhören konnten und der Tempel Mühe hatte, die riesige Aschemenge zu bewältigen.

Räucherstäbe werden natürlich immer noch verbrannt. Aber heute gibt es nur noch kleine und jede Besucherin und jeder Besucher darf nicht mehr als drei kaufen. Eine Mahnung zur Mäßigung, glauben die Mönche in einer Gesellschaft, in der viele aus dem Blick verloren haben, was wichtig ist. Bis die grüne Tempel-Bewegung wirklich etwas bewirke, werde es einige Zeit dauern. „In zwanzig oder dreißig Jahren könnten wir in China die Vorstellungen vom Umweltschutz verändern“, meinte er. Wie der weise Laotse sagte: „Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt.“

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2017: Religion und Umwelt
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