"Es hängt von den Verbrauchern ab"

Fairtrade
Der faire Handel wächst in Deutschland – im vergangenen Jahr um satte 18 Prozent. Aber es wachsen auch die Zweifel: Wie sehr hilft Fairtrade armen Kleinbauern im Süden? Fragen an Dieter Overath, den Vorsitzenden der deutschen Fairtrade-Organisation Transfair.

Herr Overath, in Deutschland haben Verbraucher 2016 mehr als eine Milliarde Euro für faire Produkte ausgegeben. Hilft Fairtrade den Ärmsten in Afrika, Asien und Lateinamerika?
Der Ansatz von Fairtrade ist zunächst einmal generell begrenzt, wir können nicht alle Unwuchten im Verhältnis von Industrieländern und globalem Süden beheben. Wir versuchen mit Fairtrade,  Best-Practice-Beispiele zu schaffen. Dort, wo der faire Handel über Jahre einen hohen Anteil der Ernte abnimmt und die Prämien in der Region investiert werden, kann sich durchaus eine Wirksamkeit entfalten und der Ansatz des fairen Handels wird sichtbar. Das beweisen viele Wirkungsstudien, egal ob es sich um Kaffee- oder Kakaokooperativen oder Blumenplantagen handelt. Aber es müssen auch Exportprodukte vorliegen, und das ist eine Einschränkung.

Der senegalesische Ökonom Ndongo Sylla kritisiert, die Ärmsten würden nicht profitieren.
Fairtrade hat nie behauptet, dass wir allen Bezugsgruppen im globalen Süden helfen können. Die Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen wie Misereor und Brot für die Welt setzt mit ihren Projekten da an, wo es gilt, eine Basissituation zu verbessern. Aber wir arbeiten mit Kooperativen und Plantagen in Kenia, Äthiopien und Sierra Leone zusammen, wo Sie im Umfeld auch bei den Ärmsten der Armen sind.

Produzenten aus dem Süden beklagen den Preisdruck im Fairtrade-System.
Wir versuchen mit dem Mindestpreis, der immer wieder korrigiert wird, die Kosten für eine nachhaltige Produktion zu decken. Aktuell gehen sowohl Kakao- als auch Kaffeepreise deutlich nach unten.  Mindestpreis und Fairtrade-Prämie sind Kernpunkte, beides ist nicht verhandelbar. Natürlich gibt es Konkurrenz untereinander, und vor allem gibt es die Einkaufsmacht globaler Konzerne im Süßwarenbereich, bei Bananen oder Kaffee, die wir auch durch Fairtrade nicht aufheben können. Es gehört zum Kern des fairen Handels, Produzentengruppen zu stärken, damit sie sich am Weltmarkt besser behaupten können.

Nehmen wir das Beispiel Kakao. Hier verfügen selbst Fairtrade-Produzenten nicht über existenzsichernde Einkommen. Das ist doch ein Problem, oder?
Wir haben 1994 Kakao im System eingeführt, aber über 20 Jahre gab es Absätze von um die 1000 Tonnen pro Jahr auf dem deutschen Markt. Das war Gepa-Schokolade, ein bisschen Zotter und ein paar andere. Ein guter Teil der Kooperativen in der Elfenbeinküste konnte nur  weniger als fünf Prozent ihrer Ernte zu Fairtrade-Bedingungen verkaufen, das war im Verhältnis zu den Zertifizierungskosten und zu den Erwartungen eindeutig zu wenig. Erst mit dem Fairtrade-Rohstoffprogramm seit 2014 haben sich die Fairtrade-Anteile der Kooperativen in Westafrika auf 20 bis 40 Prozent erhöht. Dieser Anteil ist über mehrere Jahre notwendig, um spürbare positive Wirkungen zu haben. In genau der Phase befinden wir uns heute.

Nur mit einer deutlichen Umsatzsteigerung wird es möglich sein, zu existenzsichernden Einkommen zu kommen?
Ja, denn Sie müssen an zwei Dingen ansetzen. Sie müssen die Kooperativen zunächst professionalisieren, denn es gibt hohe Verluste durch mangelhafte Lagerung und Logistik. Aufgrund der Klimaveränderungen brauchen sie robustere Pflanzungen, neues Saatgut und Schulungen, und dafür müssen sie investieren. Das gilt selbstverständlich auch für andere Produkte, beispielsweise Kaffee. Das können sie aber nicht ohne Reserven, das heißt Sie müssen das Umfeld so weit entwickeln, dass es überhaupt eine Chance gibt für höhere Produktivität und bessere Einkommen. Die Herausforderungen sind gewachsen und deshalb bedarf es stabiler Strukturen und einer guten Selbstorganisation.

Wenn ich eine Tafel fairer Schokolade kaufe, gehe ich doch davon aus, dass die Kakaobauern heute schon genug zum Leben verdienen und nicht erst irgendwann.
Die Frage existenzsichernder Löhne ist zentral. Fairtrade hat aber noch nie behauptet, dass diese über Nacht durch den fairen Handel erreichbar seien. Das wäre unseriös. Das kann auch kein Mensch garantieren. Nicht über Nacht in Ländern, in denen desaströse Verhältnisse herrschen, wie etwa in der Elfenbeinküste. Fairtrade ist auch kein Instrument, um alle Probleme von Bildung über Geschlechterungerechtigkeit  bis zu Klimafragen zu lösen. Wir können nur versprechen, dass wir in verschiedenen Themenfeldern schrittweise Verbesserungen erreichen.  Existenzsichernde Einkommen – dieser Anspruch lässt sich nicht allein über eine Tafel Schokolade einlösen, sondern braucht weitere Maßnahmen im Fairtrade-Umfeld.

Haben Verbraucher dann eine zu idyllische Vorstellung vom Leben der Fairtrade-Produzenten?
Die Situation in den Ländern ist entsetzlich. Wir versuchen über Zertifizierungssysteme und Selbstorganisation erst einmal zu stabilen Strukturen beizutragen. Dann hängt es von den Verbrauchern hier ab. Die Diskrepanz zwischen hohen Sympathiewerten für Fairtrade und dem realen Konsum ist in keinem Land so ausgeprägt wie in Deutschland. Warum haben wir einen Fairtrade-Textilstandard, bei dem keine große Firma mitmacht? Warum ist H&M so beliebt? Warum gehen 93 Prozent aller Konsumenten einmal die Woche zum Discounter? Ich plädiere dafür, sich diese Realität anzuschauen. Dann sieht man, wo Fairtrade ansetzt – mit Fairtrade Towns etwa und anderen Kampagnen, um erst einmal aufzuklären. Mit einer Tafel Schokolade ist es ganz bestimmt nicht getan. Das wäre zu einfach.

Das Gespräch führte Claudia Mende.

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