Sie haben für die Fairtrade Labelling Organization (FLO) in Dakar gearbeitet und waren für Senegal und Guinea-Bissau zuständig. Dann haben Sie begonnen, kritische Fragen zu stellen. Aus welchem Anlass?
Ich habe in beiden Ländern Kleinbauern getroffen, die sich nach den Kriterien von FLO zertifizieren lassen wollten, um vom fairen Handel zu profitieren, zum Beispiel Cashew-Farmer in einer abgelegenen Region von Guinea-Bissau. Für diese Bauern war es schon ein Problem, die Dokumente für die Gründung einer Kooperative zu finanzieren. Sie wollten einen Antrag auf Zertifizierung stellen, hatten aber noch nicht einmal das Geld, um in die Stadt zu fahren, wo sie den Antrag einreichen wollten. Das gab mir zu denken.
Aber FLO unterstützt doch besonders benachteiligte Kleinbauern bei der Zertifizierung.
FLO hat auch Daten vorgelegt, wonach es viele Zertifizierungen in den ärmsten Ländern gibt, das konnte ich nicht glauben. Warum sind die Kosten für die Zertifizierung für die Ärmsten gleich hoch wie für Erzeuger in wirtschaftlich stärkeren Regionen? Für mich ergibt das keinen Sinn. Ich habe einige Fragen an meine Vorgesetzten bei FLO geschickt und niemals eine Antwort bekommen.
Es gibt aber Unterstützung für die Zertifizierung, oder?
Ja, trotzdem gehen die Bauern ein großes wirtschaftliches Risiko ein. Denn wenn sie zertifiziert sind, heißt das noch lange nicht, dass sie große Teile ihrer Ernte nach den Konditionen des fairen Handels verkaufen können. Es kann sein, dass sie lange darauf warten müssen. Im fairen Handel wird wesentlich mehr Ware zertifiziert, als verkauft werden kann. Wer diese Durststrecke schafft, gehört nicht zu den Ärmsten. Nur besser gestellte Bauern haben die nötigen Kontakte ins Ausland, zu einer Entwicklungshilfeorganisation oder staatlichen Stellen, um die Hürden der Zertifizierung und der Etablierung am Markt zu nehmen.
Dafür ist nicht FLO verantwortlich. Wenn die Konsumenten mehr fair gehandelte Produkte kaufen würden, könnten die Erzeuger mehr verkaufen.
Aus der Perspektive der Produzenten sieht das so aus: Die Zertifizierung ist teuer. Sie müssen beim Anbau Standards erfüllen, die ebenfalls höhere Kosten verursachen. Wenn sie dann nur einen kleinen Teil ihrer Ernte zu höheren Preisen verkaufen können, haben sie ein Problem. Den Produzenten ist das vorher oft nicht klar. Im Senegal habe ich das bei den Baumwollbauern gesehen. In manchen Jahren haben sie große Teile ihrer Ernte zu den Konditionen des fairen Handels verkauft. Dann konnten sie mit Hilfe der Fairtrade-Prämie Gesundheitsstationen und Schulen bauen. Aber in den Jahren danach haben sie zum Teil gar nichts verkauft.
Konnten die Baumwollbauern dann überhaupt der Armut entkommen?
Sie leben in einer sehr prekären Lage, selbst wenn sie etwas verkaufen. Sie bekommen die Fairtrade-Prämie und den Mindestpreis, der meist über dem Weltmarktpreis liegt. Der Preis ist aber nicht hoch genug für ein Einkommen, mit dem man wirklich der Armut entkommen kann.
Was muss geschehen, um solche Kleinbauern zu fördern?
Das Problem im fairen Handel ist: Wenn die Preise auf einem angemessenen Niveau festgeschrieben werden, dann sind die Waren nicht wettbewerbsfähig und dann können die Produzenten weniger verkaufen. So funktioniert der Markt. Zu den Ursachen ihrer Armut gehören nicht nur der schwierige Zugang zum Markt oder die niedrigen Weltmarktpreise, sondern der Mangel an Möglichkeiten, vor Ort weiter zu verarbeiten. Afrika ist seit 200 Jahren in der Produktion von Rohstoffen gefangen. Damit können die Afrikaner sich wirtschaftlich nicht entwickeln. Sie müssten die Rohware selbst weiterverarbeiten, danach exportieren oder lokal konsumieren. Ein Modell, das darauf aufbaut, weiter Rohware zu exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg aus der Armut führen. Das ist auf jeden Fall eine Grenze des fairen Handels.
Wie könnte der faire Handel die Verarbeitung in Afrika fördern?
Die beste Version von fairem Handel wäre der faire Verkauf von verarbeiteten Produkten aus Afrika. Wenn Afrikaner ihren Kaffee oder Kakao vor Ort weiterverarbeiten und ihn dann in den europäischen Supermärkten verkaufen könnten, dann hätte das eine viel größere Wirkung als der faire Handel, so wie er jetzt praktiziert wird. Es gibt solche Initiativen, aber nicht im Rahmen des fairen Handels.
Fairer Handel verändert also die Strukturen nicht?
Genau, er reproduziert die Logik des internationalen Handels. Auch im System des fairen Handels werden in den wohlhabenderen Ländern des Südens wie in Zentralamerika mehr Bauern zertifiziert als den ärmeren Staaten Afrikas. In der Sahelzone und in Nordafrika gibt es fast keine Fairtrade-Produzenten. Beispiel Baumwolle: Die meisten Zertifizierungen in Afrika gibt es im Senegal, nicht in Mali oder Benin, die wirtschaftlich schwächer, aber stärker von der Baumwolle abhängig sind. Diese beiden Länder sind so gut wie gar nicht im Fairhandels-System vertreten.
Wie wollen Sie dieser Marktlogik entkommen?
Man muss sich stärker den Ursachen ungerechter Handelsbeziehungen widmen. Bis in die 1980er Jahre hinein haben internationale Abkommen die Preise für Rohstoffe wie Kaffee festgelegt, um allzu große Schwankungen zu verhindern. Sie machten es für die Erzeuger möglich, halbwegs zu planen. Es gab auch nationale Mechanismen für den Ausgleich von Preisschwankungen. Aber mit der Politik der Liberalisierung sind die Preise international und national freigegeben worden. Wir brauchen wieder einen globalen Rahmen, der die Bedürfnisse der ärmsten Länder nach angemessenen und stabilen Preisen berücksichtigt, damit sie nicht weiter verarmen.
Sollten die Verbraucher im Norden dann überhaupt fair gehandelte Produkte kaufen?
Ich finde die Idee des Fairen Handels richtig und sinnvoll. Ich glaube an das Prinzip eines gerechten Handels zwischen Erzeugern, Verkäufern und Konsumenten. Aber ich bin kritisch gegenüber der Art und Weise, wie der faire Handel heute umgesetzt wird. Seine ursprüngliche Idee scheint mir stimmiger: als Ausdruck einer Solidarität mit den Ärmsten. Wenn Importeure ausschließlich fair gehandelte Produkte vertreiben, finde ich das überzeugender als den Ansatz von FLO, bestimmte Waren zu siegeln, die dann von allen Unternehmen vertrieben werden können. Die Gefahr ist zu groß, um der Umsätze Willen alles zu tun. Trotzdem zählt für mich weniger der Akt des Kaufens als der „Akt des Bürgers“.
Was meinen Sie damit?
Wenn Sie als Konsument den Bauern in Westafrika helfen wollen, dann ist das gut. Aber dann müssen Sie wissen: In Deutschland, Frankreich und der Europäischen Union werden politische Entscheidungen getroffen, die den afrikanischen Bauern massiv schaden. Dazu zählen die Partnerschaftsabkommen, die die EU den afrikanischen Ländern aufzwingen will. Sie wären der Tod unserer Landwirtschaft und unserer beginnenden Industrien. Wir würden bei unserer Ernährung in die Abhängigkeit von Europa und anderen Regionen geraten. Der Widerstand der Bürger Europas gegen diese Entscheidungen ist für uns tausend Mal wichtiger als der Kauf fair gehandelter Produkte.
Das Gespräch führte Claudia Mende.
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