Große Ziele ohne Folgen

Agenda 2030
Wie ernst nehmen die Bundestagsparteien die Agenda 2030? Eine Diskussion der „Berliner Runde“ zeigt: Nachhaltigkeitsziele sind noch kein Maßstab für politisches Denken.

Rund fünf Monate vor der Bundestagswahl sind die Parteiprogramme in der finalen Abstimmung. Welchen Stellenwert dabei die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen einnehmen, wollten die Hilfsorganisationen Misereor und Brot für die Welt von Vertretern der Parteien SPD, CDU, CSU, Grüne und Linke erfahren.

„Noch ist die Agenda 2030 ein Stück Papier“, mahnte die Präsidentin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, und wies auf Zielkonflikte hin, die die Umsetzung behindern. Etwa, wie sich der Hunger in der Welt besiegen ließe, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.

Europas Exporte und Hunger im Süden

„Alle wissen, dass Hunger und Klimawandel Auslöser von Fluchtbewegungen bleiben werden“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Man brauche deshalb eine völlig neue Strategie im Verhältnis zu Afrika. Das werde, wie beim Marshallplan mit Afrika von Entwicklungsminister Gerd Müller, auch in das Wahlprogramm einfließen.

Beim Koalitionspartner SPD erntet der Plan Kritik. Weder habe er die Unterstützung des Kabinetts, noch beinhalte er finanzielle Zusagen, monierte Generealsekretärin Katharina Barley. Sie forderte, die landwirtschaftlichen Subventionen der Europäischen Union zu überdenken. Die Politik solle Anreize für nachhaltiges Wirtschaften schaffen statt für Massenproduktion.

Diese zerstöre mit ihren Exporten die Agrarmärkte in afrikanischen Ländern und trage somit eine Mitschuld an der Entstehung von Hungerkrisen, meinte der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner. Matthias Höhn von der Linken verurteilte zudem deutsche Waffenexporte, die – wenn auch indirekt – Konflikte und damit Hungersnöte befeuerten.

Klimaschutz und erneuerbare Energien

In die Pflicht nehmen die Nachhaltigkeitsziele die Industrieländer auch beim Klimaschutz und damit in der Energie- und Verkehrspolitik. Dass die stockende Energiewende in Deutschland nicht mehr als Erfolgsmodell für andere Länder tauge, musste auch SPD-Frau Barley einräumen. Beim Kohleausstieg müsse man eben auf regionale „Existenzgefährdungen“, wie etwa in der Lausitz, Rücksicht nehmen.

Die Union setzt beim Klimaschutz vor allem auf den technischen Fortschritt: verbesserte Ampelschaltungen, automatisiertes Fahren, mehr saubere Fahrzeuge. „Man muss den Menschen keinen Verzicht abverlangen“, meinte Tauber. Die Brücke zum Süden schlug Thomas Silberhorn, Staatssekretär im Entwicklungsministerium, der die CSU vertrat. Deutschland biete Entwicklungsländern an, in Klimapartnerschaften auf erneuerbare Energie zu setzen, während amerikanische oder asiatische Partner beispielsweise in Tunesien Fracking- oder Kohletechnologie anpriesen.

Globale Ungleichheit und Steuerflucht

Die Agenda 2030 erklärt auch die Verringerung der Ungleichheit zum Ziel: Die unteren 40 Prozent der Einkommen sollen stärker wachsen als der Durchschnitt. Uneinig zeigten sich die Parteien darüber, wie das zu erreichen sei. Michael Kellner von den Grünen geißelte die entfesselten Finanzmärkte sowie die Steuerflucht. Sein Gegenmittel: ein Mindestsatz für Unternehmenssteuern in Europa und gerechtere globale Handelsregeln.

Anders als die CDU fordert die SPD, die Erträge der Konzerne da zu besteuern, wo sie erwirtschaftet werden. Gehe es um die Gewinnoptimierung von Konzernen und deren Transfers aus Entwicklungsländern, dann müsse Finanzminister Wolfgang Schäuble doch eher „zum Jagen getragen werden“, kritisierte Barley. Dort, wo Regierungen Steuererträge für mehr Gleichheit und Chancengerechtigkeit einsetzten, sei am ehesten mit wirtschaftlichem Erfolg zu rechnen.

Dass es am Ende darum gehen müsse, eine Balance in der Verteilung von Chancen und Vermögen herzustellen, darin waren sich alle Parteivertreter irgendwie einig. Eine Schieflage war dennoch unverkennbar: Wer kein Entwicklungspolitiker ist, tut sich schwer, die Folgen des eigenen Handelns auf den globalen Süden abzuschätzen. Diese Folgen mitzudenken, so resümierte der Vorstandsvorsitzende von Misereor, Pirmin Spiegel, finde in den Parteiprogrammen noch keinen Niederschlag.

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