Shahpar Sattar hat mit fünf Freunden im Slum Korail im Zentrum von Dhaka die Suppenküche Tripti gegründet. Seit nunmehr fünf Jahren erhalten Bedürftige dort kostenlos täglich eine warme, frisch zubereitete Mahlzeit. „Wir wollten etwas tun für die Bewohner von Korail in unserer Nachbarschaft. Die Kluft zwischen ihrem Leben und dem derjenigen, die in den umliegenden Hochhäusern wohnen, war zu groß, das hat uns nicht gleichgültig gelassen“, sagt Sattar, eine begeisternde Rednerin.
Der Islam betrachte auch Menschen als Nachbarn, die 40 Häuser weiter weg wohnen, sagt Sattar. Sie hätten das Recht auf mildtätige Gaben, wenn sie sie brauchen. „Die Suppenküche haben wir nicht eingerichtet, um uns selbst vor Allah gut darzustellen, sondern um unserer Gemeinschaft zu helfen“, unterstreicht sie. „Wir haben uns entschieden, dem Ruf Allahs zu folgen und den Koran verantwortlich auszulegen. Gute Worte sind unbefriedigend, wenn ihnen keine guten Taten folgen.“
Ihre Freundin Qudsia Mahmood stimmt zu. „Zunächst hat eine Frau die Mahlzeiten in ihrer Küche für uns zubereitet und wir haben sie nur verteilt. Später haben wir mit der Küche von Azad Masjid zusammengearbeitet, der größten Moschee in der Gegend von Gulshan, und täglich Essen für mehr als 200 Leute gekocht.“ Jeder Hungrige konnte hereinkommen und bekam eine Mahlzeit. „Wir waren froh, wenn ein Tagelöhner oder ein Rikscha-Fahrer bei uns gegessen hat und damit sein hart verdientes Geld für das Mittagessen sparen konnte“, sagt Sattar.
Sadaqa und Zakat
Nach den Terroranschlägen im vergangenen Juni, bei denen im Stadtviertel Gulshan 29 Menschen getötet wurden, musste die Suppenküche allerdings aus Sicherheitsgründen vorübergehend schließen. „Wir hoffen, dass wir bald wieder öffnen können“, sagt Mahmood. In der Zwischenzeit verteile man Milch, Wasser und süße Brötchen an Kinder aus Korail. Dort sei vor kurzem ein Feuer ausgebrochen. „Unsere Freunde haben Geld, Kleider und Nahrungsmittel gespendet, damit wir sie an die Slumbewohner weitergeben können, die vom Schicksal so hart getroffen worden sind“, ergänzt Sattar. Der Islam baue auf Vertrauen, Gnade und Mitgefühl. „Allah möchte, dass wir anderen helfen, denn an den Wohltaten, die er uns erweist, sollten alle teilhaben.“
Sattar und ihre Freunde haben mit der Suppenküche eine Möglichkeit gefunden, die Pflicht zu Barmherzigkeit und Nächstenliebe im Islam zu befolgen. Der Islam strebt eine homogene Gesellschaft an, in der jede Person gleich behandelt wird. Das grundlegende Prinzip dieser Religion ist, dass man den Mitmenschen mit Demut begegnen soll. Muslime entnehmen ihre Glaubensvorschriften zum einen dem Koran und zum anderen den Hadithen, den Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed. Darin festgehalten sind auch die Praktiken der Sadaqa, der Spende, und des Zakat, der Abgabe eines bestimmten Anteils des Besitzes an Bedürftige.
Sadaqa ist eine freiwillige Form der Mildtätigkeit. Sie umfasst alle Arten Gaben aus Mitgefühl, Freundschaft, religiösem Pflichtgefühl oder Großzügigkeit und bedeutet nicht nur den Transfer von Geld von Reich zu Arm, sondern auch soziales Engagement. Der Zakat ist hingegen geboten: Er ist eine der fünf Säulen des Islam und die zweitwichtigste Verpflichtung für die Gläubigen nach dem Gebet. „Der Zakat ist obligatorisch, wenn jemand Geldvermögen, Gold, Silber oder Ackerfrüchte und Vieh in einem Wert hat, der eine gewisse Schwelle überschreitet“, sagt Engr Ali Ashraf, ein islamischer Banker im Ruhestand. Eines der wichtigsten Ziele des Zakat sei es, Armut zu lindern. Er sei eine Form, Allah zu verehren, die für soziale Gleichstellung sorge.
Die Moschee als Zentrum der Gemeinschaft
Die Moschee ist in einer idealen muslimischen Gesellschaft nicht nur ein Ort des Gottesdienstes, sondern das Zentrum der ganzen Gemeinschaft. Traditionell war sie auch immer ein Treffpunkt für die Nachbarschaft. Die Menschen versammeln sich dort nicht nur, um zu beten, sondern auch, um sich auszutauschen und Konflikte innerhalb ihrer Gemeinschaft zu lösen.
Der Islam ermutigt die Gläubigen, ihre guten Taten nicht an die große Glocke zu hängen. „Ich spreche nicht über mein mildtätiges Engagement, die Gründe dafür oder wem es zugutekommt“, sagt eine Schriftstellerin, die nicht namentlich genannt werden will. „Ich glaube an das Sprichwort, dass Deine linke Hand nichts von den Almosen wissen soll, die du mit Deiner rechten Hand gibst. Es ist meine bürgerschaftliche Pflicht, Mitmenschen in Not zu helfen.“ Geld für Marken- und Luxusartikel auszugeben hält sie für egoistisch und eigensüchtig. „Ich unterstütze lieber jemanden dabei, Schulbücher zu kaufen oder zu studieren, ohne sich Sorgen um Geld machen zu müssen. So kann er vernünftig in Geschäfte und eine sichere Zukunft investieren“, betont die Autorin.
Für den Zakat stelle sie jährlich genaue Berechnungen an, fügt sie hinzu. Darüber hinaus leiste sie Sadaqa und bitte damit auch um die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Familie. „Das mache ich vor allem, wenn jemand krank ist oder eine große Operation vor sich hat.“ Das tue sie nicht, um in den Himmel zu kommen. „Wenn alles gut läuft und es allen gut geht, helfe ich Menschen einfach, weil ich das Bedürfnis danach habe. Ich beteilige mich an karitativen Aktionen, weil ich an die Mitmenschlichkeit glaube und an unsere Verantwortung, uns gegenseitig zu unterstützen.“
Naziruddin Ahmed, ein ehemaliger Finanzmanager, hat seinen inneren Frieden gefunden, indem er sich für benachteiligte junge Frauen einsetzte. Er ist Präsident der Tahzibul-Banat-Schule für Mädchen und der Jame-e-Masjid-Moschee in Dhakas Stadtviertel Uttara. „Nachdem ich in den Ruhestand gegangen war, hat man mir verschiedene Jobs im Bankengeschäft angeboten, aber ich habe mich für das religiöse soziale Engagement entschieden“, erzählt er. Als er angefangen habe, sei „seine“ Moschee nur ein kleiner Blechverschlag gewesen. Inzwischen verfüge man über ein großes Gebäude, in dem 600 Muslime gleichzeitig beten können.
„Es macht mich glücklich, jungen Leuten einen Ort des Gebets zu schenken“, betont Ahmed. Die Moschee finanziere sich über Almosen von allen, die etwas geben wollten – seien sie Rikscha-Fahrer oder reiche Leute. „Unser Haupteinkommen erzielen wir mit Spenden bei den Freitagsgebeten“, berichtet er. Bei den Freitagsgebeten würden zudem kostenlose Mahlzeiten ausgegeben, weil viele Nachbarn Lebensmittel für arme Leute zur Verfügung stellten.
„Mit Hilfe aller mildtätigen Gaben unterhalten wir außerdem eine kostenlose Schule, in der Mädchen und Jungen unter 14 Jahren im Koran unterrichtet werden“, fügt Ahmed hinzu. Sie erhielten unentgeltlich Bücher und Essen, so dass niemand die Schule aus finanziellen Gründen abbrechen müsse. Während des Ramadan gebe man kostenlos Lebensmittel für das Frühstück an fast 300 Menschen aus.
Die Tahzibul-Banat-Mädchenschule wurde 1996 eröffnet und nimmt Schülerinnen ab fünf Jahren auf. Derzeit werden dort 400 Mädchen unterrichtet. 50 von ihnen sind Waisen und die Hälfte der übrigen stammt aus sehr armen Familien, wo die Eltern keine Arbeit und kein Geld für die Bildung ihrer Kinder haben. Die andere Hälfte der Schülerinnen kommt aus der Mittelklasse und soliden Verhältnissen, sie bezahlen Schulgeld. Auch diese Koranschule finanziert sich vor allem aus Spenden – Sadaqa und Zakat. Eine weitere Einkommensquelle ist der Erlös aus dem Verkauf von Tierhäuten, der einmal im Jahr anlässlich des Opferfestes Eid-ul-Adha stattfindet.
„Für mich ist es ein spiritueller Gewinn, wenn ich benachteiligten Kindern helfe und sie im Koran unterrichte“, sagt der Schulleiter Mohamad Abdur Sattar. „Irgendwann sterbe ich und nur meine guten Taten werden helfen, mich vor der Hölle zu retten.“ Ein anständiges Leben mit seiner Familie sei alles, was er brauche. Zwar lebe er von einem Stipendium der Koranschule und habe wenig Geld, aber das sei in Ordnung. Als Anhänger des Propheten Mohammed sei er schließlich verpflichtet, sich sozial zu engagieren.
###autor###Ein gläubiger Muslim solle jedoch nicht nur barmherzigen Umgang mit verzweifelten Menschen pflegen, sondern mit allen Geschöpfen Allahs, einschließlich Pflanzen und Tiere, sagt der ehemalige Banker Engr Ali Ashraf. Dazu erzählt er eine Geschichte des persischen Gelehrten Imam Bukhari: Ein durstiger Mann kam auf einer Wanderung an eine Quelle und stillte dort seinen Durst. Er bemerkte einen Hund, der hechelte und den nassen Schlamm aufleckte, weil er ebenfalls sehr durstig war. Da ging er zurück zur Quelle, füllte seinen Schuh mit Wasser und gab dem Hund daraus zu trinken. Allah lobte ihn für seine Tat und vergab ihm seine Sünden. Imam Bukharis Schüler fragten: Werden wir denn belohnt, wenn wir den Tieren dienen? Bukhari antwortete: Es gibt eine Belohnung für jeden Dienst an einem lebenden Wesen. Ashraf fügt hinzu, auch wenn ein Muslim einen Baum pflanze oder Saat ausbringe und ein Tier oder Mensch dann davon esse, werde das als freiwillige Wohltat, Sadaqa, betrachtet.
Der Drang, gut zu sein oder Gutes zu tun, geht nicht nur auf die religiösen Schriften zurück. Er wird über das gesellschaftliche Gefüge vermittelt. Wahrscheinlich werden die meisten Menschen, die Bedürftigen eine helfende Hand reichen, von den Handlungen ihre Großeltern, Eltern und Freunde motiviert. Allah gefällt es, wenn seine Geschöpfe sich während ihres kurzen Lebens für andere einsetzen. Der Satz „Die Nächstenliebe beginnt zu Hause“ ist für islamische Gesellschaften genauso wahr wie für jede andere Gemeinschaft.
Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.
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