Die Spannungen mit Nordkorea, der Angriff der USA in Syrien: Ist zu erwarten, dass angesichts der Weltlage wieder mehr Menschen an Ostern für den Frieden demonstrieren?
Ich sehe momentan trotz der krisenhaften Zuspitzung im Konflikt um die Nuklearpolitik Nordkoreas und der Situation in Syrien nicht unbedingt ein Potenzial für größere Proteste. Im Fall Syrien sind sich viele Leute nicht sicher, ob der Angriff der USA auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt nicht doch richtig war: Als Signal an das syrische Regime, dass man nicht zuschaut, wenn die Menschenrechte weiter mit Füßen getreten werden.
Viele kritisieren aber auch das Eingreifen der USA und bezweifeln die Verantwortung des Assad-Regimes für den Giftgasangriff. Ist die undurchsichtige Lage nicht auch ein Grund für das Ausbleiben größerer Proteste?
Ja, das ist richtig. Im sogenannten Nebel des Krieges ist es zusehends schwierig, Verantwortlichkeiten klar zuzuordnen. Viele Menschen fragen sich, was eigentlich geschehen ist und wer dafür verantwortlich ist. Diese Unsicherheit erschwert die Mobilisierung.
2003 haben Millionen gegen den Krieg im Irak protestiert: Was war damals anders?
Stark vereinfachend, war das damals vor allem eine Frage der Glaubwürdigkeit. Viele haben den USA nicht abgenommen, dass es ihnen um Chemiewaffen oder den Schutz von Menschenrechten ging, sondern vielmehr um Macht und ökonomische Interessen. Damit war sowohl die Verantwortlichkeit als auch die normative Frage geklärt – wir wollen keine Waffengewalt, um Machtinteressen durchzusetzen. In Syrien ist das heute anders: Zwar heißt es bisweilen, dass US-Präsident Trump mit dem Angriff von innenpolitischen Problemen ablenken wolle, aber in den Medien und der Öffentlichkeit wird der Schritt doch eher positiv als „mutige Entscheidung“ diskutiert, zu der es wenige Alternativen gebe. In Syrien geht es heute darum, wie man in einer verfahrenen Situation überhaupt noch weiterkommt und irgendwann eine politische Lösung erreichen kann.
Die Zahl der Teilnehmer an Friedendemos nimmt seit Jahren tendenziell eher ab. Woran liegt das?
Die Forderung nach genereller atomarer Abrüstung und die grundsätzliche Ablehnung militärischer Gewalt stehen nicht mehr so im Vordergrund. Heute sind es eher konkrete und leider oftmals sehr komplexe Konflikte. Angesichts der Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit fragen sich viele, ob ein militärisches Eingreifen in Konflikten nicht doch in bestimmten Fällen nötig sein kann. Etwa in Syrien, wo Chemiewaffen und verbotene Fassbomben gegen Bevölkerung zum Einsatz kommen und Krankenhäuser gezielt bombardiert werden. Zudem sind die Ostermärsche ein eher antiquiertes Format. Gegenwärtige Proteste sind flexibler, sie nehmen häufig auch neue Formen an, wie Straßentheater oder Online-Kampagnen.
Müssen sich die Ostermärsche verändern?
Die Märsche haben ja mehrere Funktionen. Sie sind einerseits wichtig für das Selbstverständnis und die Identität der Friedensbewegung. Auf die Straße zu gehen, hat ja auch die Funktion, sich als Bürger bemerkbar zu machen, den Herrschenden seine Position entgegen zu brüllen und sich ins Gespräch zu bringen. Aber für eine Massenmobilisierung taugen die Ostermärsche andererseits nur noch bedingt – auch wenn es angesichts der relativ geringen Teilnehmerzahlen immer noch ein recht großes Medienecho gibt. Um mehr Leute zum mobilisieren, müssten sich die Ostermärsche erneuern. Zum Beispiel, indem man sich mit anderen Bewegungen vernetzt und schaut, welche Themen man gemeinsam bearbeiten kann. Sinnvoll wäre auch, das Repertoire an Protestformen zu erweitern.
Wäre die Bewegung „Pulse of Europe“ ein möglicher Partner?
„Pulse of Europe“ ist sicher offen für Mitstreiter, die mit ihnen für die Zukunft Europas kämpfen. Die Friedensbewegung könnte ein interessanter Partner sein, wenn sie die Gemeinsamkeiten sehen würde. Aber das ist ein schwieriger Prozess, weil es innerhalb der Friedensbewegung sehr unterschiedliche Ausrichtungen gibt. Manche vertreten einen generellen Pazifismus und lehnen den militärischen Strang der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik kategorisch ab. Zugleich ist Europa aber das erfolgreichste Friedensprojekt überhaupt. Dass das so bleibt, sollte eigentlich Ziel beider Bewegungen sein.
Nicole Deitelhoff ist Politikwissenschaftlerin an der Goethe-Universität Frankfurt und Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HFSK).
Das Gespräch führte Sebastian Drescher
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