Der Ministerialrat aus dem Entwicklungsministerium (BMZ) in Berlin und der katholische Priester aus Nigeria sind sich im Grundsatz einig: Ohne Religion ist eine bessere Welt nicht möglich. Bei Wolfram Stierle aus dem Leitungsstab des BMZ klingt das so: Religion sei ein „Werte-Stakeholder“, und Werte seien „entscheidend für einen Paradigmenwechsel zur nachhaltigen Entwicklung“. Religionen seien „soziale Ressourcen“, sie „erhellen Zusammenhänge“ und gäben angesichts heutiger Informationsfluten „Orientierung in Transformationsdebatten“.
Reverend Obiora Ike sagt dasselbe, nur etwas weniger technokratisch: Die gegenwärtige Entwicklungskrise – also dass der reiche Teil der Menschheit deutlich über seine Verhältnis lebt – sei eine „spirituelle Krise“. Die Leute im Norden und Westen hätten den Glauben verloren und die übrige Welt leide darunter.
Die deutsche Entwicklungspolitik hat die Religion entdeckt – endlich, sagen viele. Denn der Glaube prägt in vielen Erdteilen das Leben der Menschen und ihre Sicht auf die Welt viel stärker als im Westen. Dass man das in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen sollte, ist eigentlich selbstverständlich. Vor zwei Jahren haben die Vereinten Nationen nun eine Art globalen Entwicklungsplan vorgelegt, die Agenda 2030.
Nicht immer nur hilfreich
Darin geht es nicht mehr nur um Entwicklungsprojekte hier und da, sondern darum, die ganze Welt in Richtung Nachhaltigkeit umzukrempeln. Es geht um die „Große Transformation“, wie es im Entwicklungsjargon heißt. Kann die wirklich nur mit Hilfe der Religion gelingen? Das war das Thema der diesjährigen Entwicklungspolitischen Konferenz der Kirchen und Werke in Haus Villigst in Schwerte.
Die Begeisterung, mit der BMZ-Mann Stierle dort vom Potenzial der Religionen sprach, sorgte bei einigen Zuhörern für Stirnrunzeln. Stierle sagte, Religionen seien „nicht ambivalent“ mit Blick auf Ziele wie Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Eine kritische Nachfrage dazu lautete: Was versteht das Ministerium überhaupt unter „Religion“? Ein theologisches Lehrgebäude? Oder das, was die Menschen im Alltag daraus machen? Zählt jedes Sinnstiftungsangebot jeder Sekte oder Splitterkirche als Religion? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, könne Religion sehr wohl ambivalent sein – also nicht nur hilfreich, sondern auch hinderlich auf dem Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Welt.
Haben die Kirchen geschlafen?
Vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kirchlicher Werke erinnerten in Schwerte die Vertreter der staatlichen Entwicklungspolitik daran, bei aller Euphorie diese Ambivalenz nicht aus dem Blick zu verlieren. Wer bei Brot für die Welt, Misereor oder einem Missionswerk beschäftigt ist, dürfte jeden Tag neu erfahren, dass Religion manchmal ein Segen und manchmal ein Fluch ist für die Entwicklungsarbeit. Hier sitzen die Fachleute. Umso erstaunlicher ist, dass die Entdeckung der Religion in der deutschen Entwicklungspolitik vor allem dem Ministerium zugeschrieben wird.
Haben die Kirchen und ihre Werke geschlafen? Nein und ja. Nein, denn schon vor zwei Jahren hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Studie zu Leitbildern für eine zukunftsfähige Entwicklung vorgelegt. Und auch bei Brot für die Welt werde seit vielen Jahren über die Frage debattiert, sagte Thorsten Göbel, der dort das Referat für Entwicklungspolitik und globale Fragen leitet. Allerdings ist davon wenig nach außen gedrungen, und auch die EKD-Studie ist auf deutlich weniger Resonanz in der Entwicklungsszene gestoßen als der religiöse Schwenk des BMZ. Deshalb: Ja, man habe das Thema nicht stark genug vorangetrieben, räumte Göbel selbstkritisch ein.
„Kein Hobby eines CSU-Ministers“
Das Ministerium wünscht sich, dass die kirchlichen Werke ihre Expertise stärker einbringen. „Setzt euch an die Spitze der Bewegung. Wir brauchen euch“, rief Martin Mauthe-Käter, im BMZ zuständig für den Arbeitsbereich Religion und Entwicklung, während der abschließenden Diskussion ins Publikum. Und er bemühte sich, den am Rande der EPK immer wieder geäußerten Verdacht zu zerstreuen, die Religion sei nur eine neue entwicklungspolitische Mode und könne wieder in Vergessenheit geraten, wenn der derzeitige Entwicklungsminister nach den Bundestagswahlen im Herbst vielleicht nicht mehr im Amt ist. Der neue Fokus sei „kein Hobby eines CSU-Ministers“, betonte Mauthe-Käter.
Und selbst wenn: Dass das neue Themenfeld und die damit verbundenen neuen Aufgaben und Aufträge nicht so schnell wieder verschwinden, dafür sorgt das Entwicklungsbusiness in gewohnter Weise selbst. Es schafft Strukturen und Institutionen, die sich nicht so einfach wieder abwickeln lassen. Flaggschiff für die religiöse Wende des BMZ ist die Partnerschaft für Religion und nachhaltige Entwicklung, angesiedelt bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Ihr Ziel: religiöse Kräfte und entwicklungspolitische Organisationen aus aller Welt zusammenbringen, um gemeinsam die Agenda 2030 abzuarbeiten.
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