Stimme zwischen den Welten

Indigene Kultur
Die Mapuche wurden in Chile lange Zeit nicht beachtet. Sofía Painequeo Tragnolao hat ­geholfen, das zu ändern – nicht nur mit ihren Liedern.

Sofía Painequeo Tragnolao sitzt auf einem beigen Ledersofa. In der großen Lobby des Hotels Galerias im Zentrum Santiagos wirkt sie ein bisschen verloren zwischen Mapuche-Wandteppichen und Moai-Statuen. Dass niemand die Sängerin zwischen der pompösen Dekoration erkennt – geschenkt. „Wie sollte von denen auch jemand wissen, wer ich bin“, sagt die 58-Jährige und lacht. „Ich habe ja noch nicht mal meine Tracht an.“ Ihre schwarz-weiße Bluse, einen „trarilonko“ genannten Gürtel und die „trapelakucha“, eine kunstvoll geschmiedete Silberbrosche, hat sie zwar immer dabei, trägt sie jedoch nur zu besonderen Anlässen. Das können Protestmärsche, Wahlkämpfe, Sprachunterricht, Mapuche-Zeremonien und nach wie vor auch Konzerte sein. Denn bekannt wurde Painequeo in den 1980er Jahren zunächst mit ihren Liedern.

Sie selbst würde sich jedoch nie als Sängerin vorstellen. „Zunächst einmal bin ich Indigena, eine Frau, die die Ethnie der Mapuche repräsentiert. Meine besondere Rolle ist es, mit dem Gesang indigenes Wissen weiterzugeben und für unsere Rechte zu kämpfen.“ Diese Gabe sei ihr in die Wiege gelegt worden. Entdeckt wurde ihr Talent in der Dorfschule von Lumaco, einem 10.000-Einwohner-Städtchen im Süden Chiles. „Ich tat mich schwer, die Nationalhymne auf Spanisch zu lernen. Dafür konnte ich mit neun Jahren bestens in Mapudungun, der Sprache der Mapuche, singen.“ Denn der Gesang ist das kollektive Gedächtnis der Mapuche.

Ständig ein Lied auf den Lippen

Auch in Raiman Pinoleo, der Gemeinde, in der Painequeo aufwuchs, hatte ständig jemand ein Lied auf den Lippen. Ihr Vater Manoel sang von der Natur, wenn er das Feld bestellte, ließ abends am Feuer Erinnerungen an Hungersnöte aufleben oder stimmte traurige Melodien an, die an den Kampf gegen die weißen Siedler erinnerten. Die Kunsthandwerker priesen in ihren Liedern das Kupfer und Silber, das sie zu Ringen und Amuletten schmiedeten. Und die „machis“, die meist weiblichen Schamaninnen der Mapuche, intonierten bei Begrüßungszeremonien oder Heilungsritualen Jahrtausende alte Verse.

Painequeo war mit gespitzten Ohren immer mittendrin. „Diese musikalische Umgebung war mein Eintrittstor zur Mapuche-Kultur, ihren Ausdrücken von Liebe und Schmerz. Die traditionellen Lieder waren die Grundlage dafür, selbst zu komponieren.“

Mit Anfang 20 verließ Painequeo ihre Gemeinde und zog nach Santiago. „Meine Eltern hatten zu wenig Land, das hätte für mich und meine Geschwister nicht zum Leben gereicht. Außerdem wollte ich studieren und neue Lebensweisen kennenlernen.“ 1979 war das, mitten in den Zeiten der Diktatur unter Augusto Pinochet. Die Mapuche waren weder auf der Straße noch in den Medien präsent. Im Fernsehen liefen Pinochet-Propaganda und Dokumentarfilme über Ufo-Sichtungen. Auch Painequeo kam sich in der Großstadt anfangs fremd vor und hatte „Probleme, sich über Wasser zu halten“. Mehr will sie über diese Zeit nicht sagen.

Zeigen, was es heißt, Mapuche zu sein

„Ungefähr nach einem Jahr fing ich an, Mapuche-Treffen zu organisieren, auf denen wir auch gemeinsam Musik machten. Das stärkte mich als Frau, ich hatte plötzlich mehr als das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeit.“ Besonders gern arbeitete sie damals mit jungen Indigenen, die in Santiago aufwuchsen und in ihrem Leben bereits viel Marschmusik, aber noch nie eine „kultrún“-Rahmentrommel gehört hatten. „Es war mir wichtig, ihnen unsere Sprache, die traditionelle Kleidung und Geschichten näher zu bringen. Ich wollte ihnen zeigen, was es heißt, Mapuche zu sein.“ Die Verse, aber auch die vielfältigen Instrumente ziehen die Jugendlichen nach wie vor in ihren Bann, zum Beispiel die aus Bambus und Horn hergestellten „trutruca“-Tröten, die „trope“ genannten metallenen Maultrommeln oder die Muschelbänder, die „cascahuillas“. 

1984 erhielt Painequeo eine unerwartete Einladung: Sie durfte die Mapuche auf dem vierten Weltkongress der Indigenen Völker in Panama vertreten. Zur Eröffnungsfeier sollte sie auch singen. „Irgendwie musste sich herumgesprochen haben, dass wir bereits zwei Jahre vorher die Gruppe Aflaiai gegründet hatten, mit der wir in Chile auf kleinen Bühnen auftraten.“ Das „ewige Ensemble“ war das erste, das mit traditioneller Kleidung und Instrumenten auftrat. Aus Kostengründen mussten die Musiker zu Hause bleiben, und so sang Painequeo allein – mit durchschlagendem Erfolg. „Als ich von der Bühne stieg, wollten viele Presseleute mit mir reden. Sie verfolgten mich bis in die Künstlergarderobe, so interessiert waren sie an meiner Musik.“

Es folgten weitere Konzertreisen, das Ensemble Aflaiai nahm zwei CDs auf. Hauptberuflich als Musikerin leben kann und will Painequeo dennoch nicht – wie etwa das Trio Nahuelpan, das in Kanada lebt und dort sehr erfolgreich war. „Mein Lieblingspublikum waren immer die Mapuchegemeinden und die können mir oft nicht mal die Fahrtkosten erstatten. Aber für mich ist es unbezahlbar, für Menschen zu singen, die meine Sprache verstehen“, sagt sie.

Stört es sie, wenn elektronische Musikgruppen wie AndesGround ihre Songs sampeln? „Nein, ich freue mich darüber, wenn andere mit meiner Musik arbeiten – solange sie uns  als Quelle nennen und nicht versuchen, mit unserer Kultur Geld zu machen.“ Stellt sie ihre Instrumente selbst her? Nein, antwortet sie, das überlasse sie lieber den Meistern des Instrumentenbaus; manche Ausführungen dürften zudem lediglich von den Schamaninnen gefertigt werden.

Sängerin - und Beraterin der Präsidentin

Painequeo ist nicht nur Sängerin, sondern arbeitet auch als Beraterin der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet für indigene Fragen. Diese persönliche Einladung konnte sie nicht ausschlagen „Ich wollte sehen, ob ich auch in der Politik etwas verändern kann.“ Bereits vor elf Jahren kandidierte sie in ihrer Region als Abgeordnete, jedoch ohne Erfolg. In ihrem jetzigen Job sei sie vor allem Vermittlerin zwischen Mapuche-Gemeinden und Regierung. Das erfordert diplomatische Fähigkeiten, und nicht immer fällt es ihr leicht, den richtigen Ton zu treffen: „Denn eigentlich bin ich eine, die auf den Tisch haut und öffentlich sagt, was sie denkt.“

Autor

Nils Brock

ist Journalist in Rio de Janeiro und berät als Fachkraft für Brot für die Welt unabhängige Radios in Brasilien.
Im November endet mit der Amtszeit Bachelets auch ihre eigene. Was sie anfangs einte, war das Versprechen, in Chile eine demokratische Verfassung durchzusetzen, denn gültig ist nach wie vor das Grundgesetz aus der Ära Pinochet. „Endlich sollten die Mapuche und ihre Forderungen anerkannt werden. Aber indigene Angelegenheiten hatten auch in dieser Regierung keinen Vorrang“, resümiert Painequeo enttäuscht. Den Kopf in den Sand stecken wird sie dennoch nicht. Noch in diesem Jahr will sie eine weitere CD mit Aflaiai veröffentlichen, sich erneut als Dokumentarfilmerin ausprobieren, neue Kreationen auf ihrem Webstuhl schaffen, Mapudungun unterrichten und bald auch wieder ohne Blatt vor dem Mund für die Rechte der Mapuche eintreten.

Hoffnung macht ihr das wachsende Interesse an der Mapuche-Kultur. „Viele Chilenen begreifen langsam, dass der Kampf um unser Land und gegen Monokulturen auch ihnen zugutekommt. Denn wenn die Natur weiterhin rücksichtslos ausgebeutet wird, kann es für niemanden hier ein erfülltes Leben geben.“

Das klingt bereits ein bisschen nach Wahlkampf. Painequeo hält sich bedeckt: Sicher werde sie die ein oder andere Demonstration mitorganisieren. „Aber es lag mir noch nie, große Pläne zu schmieden“, meint sie. Eines sei jedoch klar: „Für die Anerkennung unserer Kultur, unserer Sprache und unserer Rechte müssen wir mit allen Chilenen zusammenarbeiten, die sich ebenfalls eine demokratischere Gesellschaft wünschen.“

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erschienen in Ausgabe 4 / 2017: Die Versuchung des Populismus
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