In Nordkorea herrscht eins der letzten stalinistischen Regime. Was es antreibt, ist oft schwer zu entschlüsseln. Vielleicht sollten die vier Raketen vor allem eine Geste der Stärke an die eigene Bevölkerung senden. Allerdings scheint das Regime im Inneren nicht akut gefährdet. Der Abschuss war wohl vorwiegend das außenpolitische Signal: Nordkorea ist zu einem atomaren Erstschlag fähig und entschlossen, um einen Angriff der USA und Südkoreas abzuwehren.
Den fürchtet das Regime, seit US-Präsident George W. Bush 2003 den Irak angegriffen, Nordkorea öffentlich in die „Achse des Bösen“ eingeordnet und den Nichtangriffspakt von 1994 gekündigt hat. Dieser Pakt und amerikanische Wirtschaftshilfe hatten Nordkorea vorher dazu gebracht, sein Atomwaffenprogramm ruhen zu lassen. Doch mit dem Schicksal Saddam Husseins vor Augen nahm Kim Jong-Uns Vater und Amtsvorgänger das Kernwaffenprogramm 2003 wieder auf. Seit 2006 hat Nordkorea mehrmals Sprengköpfe und Trägerraketen getestet, obwohl der UN-Sicherheitsrat deshalb Sanktionen verhängt und mehrmals verschärft hat – zuletzt im November.
Militärisch hoffnungslos unterlegen
Die Spannungen sind besonders gefährlich wegen der Militärstrategien beider Seiten. Die USA und Südkorea halten zurzeit auf der Halbinsel ihr jährliches großes Manöver ab: Sie proben einen vorbeugenden Schlag gegen eine nicht näher bezeichnete Provokation aus Nordkorea. Im Gegenzug probt Pjöngjang den Einsatz von Kernwaffen gleich zu Beginn eines Krieges – gerade weil es militärisch hoffnungslos unterlegen ist. Wer das für absurd hält, möge sich erinnern: Die Nato-Staaten begründeten in den 1980er Jahren ganz ähnlich, dass sie die Option auf einen atomaren Erstschlag gegen sowjetische Angriffe bräuchten.
Sicher sind heute weder die USA noch Südkorea an einem Krieg in Korea interessiert. Doch kann man erwarten, dass Kim Jong-Un darauf vertraut? Weil also beide Seiten ihre Militärstrategie auf vorbeugende Angriffe abstellen, steigt die Gefahr, dass die eine in einer politischen Krise losschlägt. Um diese Gefahr zu verringern, sollten die USA auf Vermittlungsversuche Chinas eingehen und sich von der Option eines erzwungenen Regimewechsels öffentlich verabschieden. Mehr Diplomatie ist dringend gefragt.
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