Das Frauengefängnis der pakistanischen Metropole Karachi erscheint auf den ersten Blick nicht als geeigneter Ort für künstlerische Entfaltung. Mörderinnen, Kidnapperinnen und Drogenhändlerinnen sitzen dort teils lebenslange Haftstrafen ab. Trotzdem schwärmt Nida Shams von den Erfahrungen in der Haftanstalt. Sie hat zwei Monate lang jeden Tag drei bis vier Stunden hinter den Kerkermauern Workshops abgehalten, in denen die Frauen lernten, ihre alltäglichen Probleme zeichnerisch zu dokumentieren.
Grassroots Comics nennt sich diese Methode: Menschen mit geringer oder gar keiner Schulbildung sollen lernen, ihre Nöte in einfachen Cartoons auszudrücken. „Die Frauen haben viele Dinge zur Sprache gebracht, die sie nicht einmal ihren Anwälten verraten haben“, sagt die 34-jährige gelernte Werbegrafikerin.
Grassroots Comics wurde vom indischen Zeichner Sharad Sharma entwickelt der zehn Jahre politische Karikaturen für indische Lokalzeitungen gezeichnet und einige Zeit für einen Fernsehkanal gearbeitet hat. Dabei fiel ihm auf, „dass sich 70 bis 80 Prozent der Menschen in Indien in den Mainstream-Medien nicht wiederfinden“. Ihre täglichen Probleme würden nicht thematisiert.
Jeder kann sich über Comics ausdrücken
So kam Sharma auf die Idee, in vernachlässigten Gegenden mit Wandzeitungen zu arbeiten. Doch die meisten Menschen dort können überhaupt nicht oder zumindest keine längeren Texte lesen. Also überlegte er gemeinsam mit entwicklungspolitischen Organisationen, wie man mithilfe von Comicstrips lokale Probleme vermitteln könnte. Er hielt erste Workshops in den Randgebieten der Hauptstadt Neu-Delhi und zeigte, dass jeder imstande ist, sich über Comics auszudrücken.
Das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, doch die Workshops gibt es immer noch. „Da kommen starke Geschichten heraus“, sagt Sharma bei einem Besuch in Wien. Gemeinsam mit Nida Shams hat er im schweizerischen Luzern geholfen, das Fumetto International Comics Festival Anfang April vorzubereiten. Für Grassroots Comics gibt es mittlerweile mehr als 10.000 Trainerinnen und Trainer allein in Südasien.
Bei den Workshops werden keine grafischen Fertigkeiten gelehrt. „Es geht nicht darum, wie ein Künstler zu zeichnen“, stellt Sharma klar. Am Ende eines dreitägigen Kurses hat jeder Teilnehmer einen aus vier Bildern bestehenden Cartoon gezeichnet. Mit oder ohne Sprechblasen. Es wird lediglich darauf geachtet, dass Personen, die mehrmals vorkommen, erkennbar bleiben, etwa durch die Kleidung.
Heikle Themen leicht transportiert
Das Wichtigste sei, dass die Menschen zuerst ihre Probleme identifizieren: Diskriminierung von Minderheiten, sexuelle Aggression, Frauenrechte, Probleme mit Behörden oder Schikanen durch Rebellengruppen. Der Cartoon wird anschließend kopiert, an Mauern oder Bäume geklebt und in der Gemeinschaft diskutiert.
Anders als etwa vorgetragene Reden oder Flugblätter werden Comics selten als aggressives oder aufrührerisches und insofern bedrohliches Medium wahrgenommen. So können selbst in Konfliktregionen heikle Themen angesprochen werden. Bei vielen führe das zum Umdenken oder zum Hinterfragen der eigenen Positionen. Nida Shams hat das bei jungen Männern und ihrer Einstellung zu Frauenrechten beobachtet.
Eva Wallensteiner, Projektreferentin für Indien bei der österreichischen Dreikönigsaktion, hat selbst einen Comic-Workshop für Teepflückerinnen im nordöstlichen Bundesstaat Assam besucht: „Ich habe gespürt, was für eine wirkungsvolle Art von Ermächtigung das ist.“ Man brauche lediglich etwas A4-Papier, Bleistifte und einen Kopierer, den es in Indien selbst in kleinen Gemeinden im Copyshop gibt.
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