Wie Migration die Hilfe verändert

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Anrechnung der Flüchtlingskosten und eine stärkere Ausrichtung auf Fluchtursachen: Seit die Zahl der Flüchtlinge in Europa steigt, wird die Entwicklungshilfe zunehmend auf ihre migrationspolitische Wirkung reduziert. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, meinen Forscher.

Europa braucht einen gemeinsamen Ansatz für eine Entwicklungshilfe, die Fluchtursachen bekämpft und zugleich zur Bewältigung der Aufnahmekrise beiträgt. Dafür plädiert die entwicklungspolitische Denkfabrik European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Brüssel. Gemeinsame Standards, mehr Austausch und eine bessere Abstimmung unter den Geberländern der Europäischen Union könnten dazu beitragen, dass eine migrationspolitisch motivierte Entwicklungshilfe ihre Ziele besser erreicht und unerwünschte Nebeneffekte vermieden werden. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer aktuellen Studie des ECDPM.

Wohltuend sachlich untersuchen die Autoren, wie sich die Entwicklungspolitik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer in den vergangenen vier bis fünf Jahren als Folge steigender Flüchtlingszahlen und zunehmender Migration verändert hat; als Fallbeispiele dient die Hilfe der EU-Institutionen sowie Deutschlands, Schwedens, Dänemarks und der Niederlande.

Insgesamt ist laut der Studie die Hilfe aus Europa von 2012 bis 2015, als die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte, deutlich um 23 Prozent auf 68 Milliarden Euro gestiegen. Davon entfielen 2015 gut 12 Prozent auf die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Europa; im Jahr davor waren es nur knapp sechs Prozent gewesen.

Diesem Posten, den sogenannten „in-donor refugee costs“, widmet das ECDPM besondere Aufmerksamkeit. Nach den Richtlinien der in der OECD zusammengeschlossenen Geberländer, dürfen bestimmte Kosten im ersten Jahr nach der Aufnahme eines Flüchtlings als öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) verbucht werden. Vor allem zivilgesellschaftliche Entwicklungsorganisationen kritisieren das seit langem mit dem Argument, das Geld bleibe in den Geberländern, statt in die Armutsbekämpfung im Süden zu fließen. Auf diese Weise blähten die reichen Länder ihre Entwicklungshilfe künstlich auf, so die Kritik.  

Jeder rechnet etwas anderes an

Deutschland etwa konnte seine Hilfe in nur einem Jahr von 0,42 Prozent auf 0,52 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung steigern; der Anteil der Flüchtlingskosten stieg von einem Prozent auf stattliche 17 Prozent. Die Autoren der Studie befassen sich nicht weiter mit der Frage, ob diese Praxis legitim ist oder nicht. Sie monieren aber, dass die Geber extrem unterschiedlich davon Gebrauch machen: Manche berücksichtigen nur die Kosten für anerkannte Flüchtlinge, andere auch die für abgelehnte Asylbewerber, manche zählen nur eine Grundversorgung aus Unterbringung und medizinischer Versorgung als Entwicklungshilfe, andere auch Bildungs- und Integrationsangebote. In Deutschland etwa ist der Anteil der Flüchtlingskosten 2015 nicht nur deshalb so stark gestiegen, weil so viele Flüchtlinge kamen, sondern auch weil die Bundesregierung seit diesem Jahr mehr Posten als Entwicklungshilfe verbucht als früher. Von der gesamten öffentlichen Hilfe 2015 in Höhe von 17,7 Milliarden US-Dollar entfielen fast drei Milliarden auf Flüchtlingskosten.

Die Unterschiede in der Berechnung führen laut der Studie dazu, dass 2014 in den Niederlanden die anrechenbaren jährlichen Kosten für einen Asylbewerber bei fast 32.000 US-Dollar lagen, in Deutschland hingegen nur bei knapp 9000 Dollar. Die Folge ist, dass sich die Entwicklungshilfe der Geber nicht sinnvoll vergleichen lässt und die ODA-Statistiken der OECD an Aussagekraft verlieren. Der Entwicklungsausschuss der OECD will diesen Missstand deshalb noch in diesem Jahr beheben und strengere Regeln für die Anrechnung von Flüchtlingskosten beschließen.

Die Autoren der ECDPM-Studie weisen außerdem darauf hin, dass die Entwicklungshilfe aus Europa seit 2014 auch ohne Anrechnung der Flüchtlingskosten gestiegen wäre. Das heißt, dieser umstrittene Posten geht nicht zulasten „echter“ Entwicklungshilfe in den Ländern des Südens. Der Fokus auf Migration sorgt aber für eine inhaltlichen Verschiebung: Mehr Geld fließt in humanitäre Hilfe und in kurzfristig orientierte Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Das ECDPM betont einerseits, die Geber müssten auch in der Entwicklungspolitik flexibel auf Krisen und nicht vorhersehbare Ereignisse reagieren können. Andererseits benötige gerade die Bearbeitung struktureller Probleme, die Flucht und Migration auslösen, eine längerfristige Perspektive.

Aus ihrer Recherche und ihren Gesprächen mit Verantwortlichen schließen die Autoren, dass die Geber sich dessen durchaus bewusst sind. Es werde stärker als früher daran gearbeitet, kurzfristige Nothilfe und langfristig orientierte Entwicklungsarbeit sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Und es werde intensiver darüber nachgedacht, welche Strategien in fragilen Staaten erfolgversprechend sind. Insofern enthält die migrationspolitische Wende aus Sicht des ECDPM nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für die europäische Entwicklungspolitik.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2017: Indigene Völker: Eingeboren und ausgegrenzt
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